Der Medizinrechtler Professor Hans-Ludwig Schreiber über die rechtlichen Inkonsistenzen der Reproduktionsmedizin
BERLIN. Für eine Harmonisierung der verschiedenen Gesetze, die den Schutz ungeborenen Lebens garantieren sollen, haben sich führende Medizinjuristen ausgesprochen. Die gegenwärtige Rechtslage, aber auch das Verhalten von Politikern ist inkonsistent.
"Der Wunsch, die Präimplantationsdiagnostik (PID) zu verbieten, besitzt heuchlerische Elemente", sagte Professor Hans-Ludwig Schreiber am Rande eines Symposions der Kaiserin-Friedrich-Stiftung in Berlin. Die Politik wolle vermeiden, das Thema Schwangerschaftsabbruch noch einmal auf die Tagesordnung zu heben. "Der Embryo wird in Deutschland solange geschützt, bis er abgetrieben wird", zitierte Schreiber einen seiner Göttinger Kollegen.
Besserer Schutz in der Petrischale als im Mutterleib
Der zugespitzte Vorwurf Schreibers beruht auf dem Hintergrund, daß sich die Ansätze von Embryonenschutzgesetz und der Neuregelung des Paragraphen 218 im Kern widersprechen. Das Embryonenschutzgesetz schützt ungeborenes Leben in der Petri-Schale. Der Abtreibungsparagraph erlaubt die Tötung eines schwer behinderten Kindes bis zur Geburt.
Gestattet ist Ärzten zur Zeit nicht, eine außerhalb des Mutterleibs befruchtete Eizelle zu untersuchen, geschweige denn für eine künstliche Befruchtung zu verwenden. Erlaubt ist allerdings, eine künstlich befruchtete Eizelle in den Mutterleib zu transferieren, anschließend eine Pränatal-Diagnose (PND) zu stellen und dann das werdende Leben eventuell abzutreiben.
"Es besteht die Möglichkeit, eine befruchtete Eizelle gemäß Embryonenschutzgesetz zu transferieren und diese dann gemäß Paragraph 218 abzutreiben", bemängelte Dr. Christian Dierks, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht, die Inkonsistenz der deutschen Gesetzgebung.
Dierks plädierte dafür, PID nach ausländischem Vorbild auch in Deutschland zuzulassen.
"Der Rubikon ist mit der Zulassung der künstlichen Befruchtung längst überschritten", so Dierks. PND und PID würden in ihrer Zielsetzung kaum zu unterscheiden sein.
Die Inkonsequenz deutscher Gesetze in der Fortpflanzungsmedizin führt auch auf anderem Gebiet zu unerwünschten Nebenwirkungen.
Momentan kann ein Arzt auf Unterhalt verklagt werden, wenn ein ungewolltes Kind (zum Beispiel durch Fehler bei der Sterilisation) geboren wird, wenn das Kind durch Fehler beim Geburtsvorgang geschädigt wurde oder wenn eine Behinderung des Kindes bei der pränatalen Diagnostik übersehen wurde.
"Der Arzt wird zwischen zwei Patienten, die Mutter und das Kind, gestellt", sagte Professor Schreiber. Die Lebenschancen behinderter Kinder würden dadurch gefährdet. Ärzte klärten deutlich mehr über Behinderungsgefahren auf, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche würde in die Höhe gehen, so der Medizinrechtler Schreiber.
Schon vor einigen Jahren hatten Ärzte und Medizinrechtler versucht, die verworrene Gesetzeslage in der Fortpflanzungsmedizin zu ordnen. Verschiedene medizinische Gesellschaften verabschiedeten dazu am 6. Oktober 2000 ein gemeinsames Diskussionspapier.
Die PID soll nicht in den Wahlkampf gezogen werden
Das Bundesgesundheitsministerium nahm die Pläne auf und arbeitete konkret an einem allgemeingültigen Fortpflanzungsmedizingesetz (FMG). Nach dem Wechsel an der Ministeriumsspitze wurde diese Arbeit eingestellt.
Nach der Stammzelldebatte rechnet kaum einer damit, daß noch vor den Bundestagswahlen eine Entscheidung zu PID fällt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Würde man die Gen-Diagnose an befruchteten Eizellen in der Petri-Schale zulassen, müßte das Embryonenschutzgesetz umgeschrieben werden. Die damit verbundene Grundsatzdiskussion eignet sich nicht für ein Wahlkampfjahr.
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