Der programmierte Misserfolg

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Chrischn
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Der programmierte Misserfolg

Beitrag von Chrischn »

Die Dilemmasituation der deutschen Reproduktionsmedizin
H.W. Michelmann – Unversitätsfrauenklinik Göttingen



Die In-Vitro-Fertilisation (IVF) und die intrazytoplasmatische Spermatozoeninjektion (ICSI) haben sich als Substitutionstherapie bei Kinderlosigkeit durchgesetzt und werden z.Z. in Deutschland in etwa 100 Kliniken bzw. gynäkologischen Praxen durchgeführt. Trotz 16.763 IVF- und 23.578 ICSI-Behandlungen im Jahr 1998 kann die Tatsache nicht geleugnet werden, dass die Schwangerschaftsraten pro Embryotransfer so unbefriedigend sind (IVF = 22,6%; ICSI = 23,5%), dass ernsthaft darüber nachgedacht werden muss, ob es noch zu verantworten ist, Kinderwunschpaare in Deutschland zu behandeln. Diese Frage ist gerechtfertigt, wenn man erstens die deutschen Zahlen mit denen des Auslands vergleicht, wo teilweise Schwangerschaftsraten von 80% und mehr pro Embroytransfer erreicht werden und man sich zweitens vergegenwärtigt, dass Paare bei der ICSI-Behandlung bis zu 10.000 DM aus eigener Tasche bezahlen müssen, ohne dafür eine optimale Behandlung zu erhalten.

Die Gründe für die niedrigen Erfolgsraten in Deutschland sind bekannt. Es sind sicher nicht solche limitierenden Faktoren wie de schlechte hormonelle Reaktion einer Patientin auf die Stimulationsbehandlung oder das mütterliche Alter, die auch außerhalb Deutschlands den Erfolg begrenzen.

Seit 1991 hat Deutschland ein Embryonenschutzgesetz, das den Umgang mit menschlichen Gameten und Embryonen im Rahmen der Kinderwunschbehandlung regelt. Es sind die Vorgaben dieses Gesetzes, die die Dilemmasituation der deutschen Reproduktionsmedizin hervorrufen und den Misserfolg vorprogrammieren. Es soll im Folgenden der Versuch gemacht werden, den Zusammenhang zwischen Misserfolg und Embryonenschutzgesetz aufzuzeigen.

Das Deutsche Embryonenschutzgesetz schreibt detailliert vor, welche Tätigkeiten im IVF/ICSI-Labor verboten sind. Unter anderem dürfen sich nicht mehr als drei Embryonen entwickeln. Das setzt den Embryologen im Labor in die Zwangslage, von den mehr als drei vorhandenen Vorkernstadien die drei auszuwählen, die sich seiner Meinung nach am besten entwickeln werden.

Es steht heute zweifelsfrei fest, dass der entscheidende Faktor für den Erfolg einer IVF/ICSI-Behandlung die Qualität der transferrierten Embryonen ist. Dies wird durch alle Analysen der Daten von Schwangeren und Nicht-Schwangeren bestätigt. Dabei scheint die Qualität der Embryonen von der Qualität, d.h. von der Befruchtungsfähigkeit der Oozyten abzuhängen. Eine Metaanalyse von 44.236 IVF-Zyklen, die Templeton und Morris (1998) durchgeführt haben, macht deutlich, dass die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit einer Patientin mit de Zahl ihrer befruchteten Oozyten ansteigt.

Eine Beurteilung der Embryoqualität ist nur über die Entwicklungsgeschwindigkeit und Morphologie der einzelnen Embryonalstadien möglich. Das im Ausland deshalb routinemäßig praktizierte Verfahren ist die Embroynenselektion. Das bedeutet, dass aus der Gesamtheit aller über 3 bis 6 Tage kultivierten Embryonen die am weitesten entwickelten und morphologisch am unauffälligsten aussehenden selektiert und transferiert werden. Das bevorzugte Stadium ist die nach einer Kulturdauer von 5 bis 6 Tagen entstandene expandierte Blastozyste.

Auch die Bedeutung der Schnelligkeit in der Embryonalentwicklung ist von verschiedenen Arbeitsgruppen bestätigt worden. Zygoten, die bereits 25 bis 27 h nach Insemination das 2-Zellen-Stadium erreichen, führen zu signifikant mehr Schwangerschaften als sich langsamer entwickelnde Embryonen.

In Deutschland ist jede Art der Selektion verboten. Nur maximal drei ausgewählte Vorkernstadien dürfen sich zu Embryonen entwickeln und müssen übertragen werden, egal wie gut oder schlecht diese Entwicklung abgelaufen ist. Eine Kultur über länger als 2 Tage ist sinnlos, da eine Selektion zu keinem Zeitpunkt stattfinden darf.

Nur etwas 40% aller befruchteten Eizellen erreichen das Stadium der expandierten Blastozyste. Werden durch eine Kultur von 5 bis 6 Tagen in sequenziellen Medien diese Stadien erreicht und dann transferiert, lassen sich Schwangerschaftsraten von über 50% erreichen, auch dann, wenn nur 2 Embryonen übertragen werden. Das hat weiterhin zu Folge, dass die normalerweise hohen Mehrlingsraten nach IVF/ICSI signifikant reduziert werden können.

Den IVF/ICSI-Gruppen in Deutschland ist dieses nicht möglich. Sie können lediglich auf die Selektion von qualitativ hochwertigen Vorkernstadien zurückgreifen. Dies wurde in der Vergangenheit als unmöglich angesehen. Neueste Untersuchungen haben jedoch ergeben, dass es auch im Stadium der Zygote Beurteilungskriterien gibt, die auf eine gute Entwicklungspotenz hinweisen. So sollten die beiden Vorkerne von gleicher Größe sein und sich berühren. Weiterhin sollte die Nukleoli bzw. die pränukleolären Körper in den Vorkernen in einer ganz bestimmten Weis verteilt sein.

Eine noch frühere Qualitätsklassifikation, die auch in Deutschland möglich ist, ist die Beurteilung der Eizellqualität. Unter den Betriff „Eizellqualität“ fallen so viele Einzelfaktoren, dass es unmöglich ist, alle aufzuführen und zu bewerten. An erster Stelle steht sicher der Reifezustand der Zelle, der aber wieder in chromosomale und zytoplasmatische Reife unterteilt werden muss. Die genetische Kompetenz sowie die Zahl und Verteilung der Bindungsrezeptoren auf der Oberfläche der Zona pellucida spielen ebenfalls eine große Rolle. Es bleibt im IVF-Verfahren nur die mikroskopische Kontrolle der Morphologie des Eizell-Kumuluskomplexes, deren Aussagekraft aber äußert gering ist. Die ICSI-Technik erlaubt eine etwas genauere Analyse der Eizellqualität. Die chromosomale Reife (Metaphase-II) wird durch das Vorhandensein des ersten Polkörpers sichtbar, und die Struktur de Zytplasmas gibt Hinweise auf die zytoplasmatische Reife. Die Dicke der Zona pellucida ist kein Qualitätskriterium und für eine Befruchtungsprognose ungeeignet.

Da in Deutschland eine Embryonenselektion nicht möglich ist, wird sei Jahren daran gearbeitet, diejenigen Faktoren zu optimieren, die nach dem Entstehen der maximal drei Embryonen den Ausgang der Behandlung beeinflussen. Hierunter fallen der Embryotransfer und alle Möglichkeiten der Implantationsverbesserung.

Techniken wie der doppelte, zweizeitige Embryotransfer, der Transfer unter Vollnarkose oder der tubare Transfer (transvaginal oder per Laparoskopie) haben sich als nicht vorteilhaft erwiesen. Auch der Einsatz verschiedener Kathetertypen ist ohne große Bedeutung. Ein Katheterwechsel während des Transfers beeinträchtigt ebenso wenig die Schwangerschaftsrate wie die Manipulation an der Zervix (Dilatation; Anhaken der äußeren Muttermundslippe), die Länge und Lage des Uterus sowie der Ort im Uterus, wo die Embryonen abgesetzt werden.

In seinem Ablauf setzt der Transfer ein Zusammenarbeiten zwischen Arzt und Embryologe voraus. Dieses Zusammenarbeiten enthält viele Komponenten, die zum Erfolg oder Misserfolg der Behandlung führen können, Das Erkennen der Schritte, die letztendlich zum Misserfolg führen, ist jedoch ausgesprochen schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Eine über Jahre durchgeführte Analyse der Schwangerschaftsraten die aus der Zusammenarbeit bestimmter Arzt / Embroyloge-Kombinationen beim Embryotransfer resultieren macht deutlich, dass bestimmte Kombinationen zu höheren Raten führen als andere.

Es ist unbekannt, wie sich ein Embryo nach dem Transfer im Uterus verhält. Bekannt ist nur, dass er großen Wanderungsbewegungen unterworfen ist, was das gehäufte Auftreten von Tubargraviditäten nach IVF / ICSI erklärt. Am Tag 6 nach Befruchtung findet normalerweise die Implanation statt. Voraussetzung dafür ist, dass die expandierte Blastozyste aus der Zona pellucida schlüpft (Hatching). Einige Untersucher glauben, dass durch eine In-vitro-Kultur die Zona pellucida aushärten kann und daher nicht mehr zum Hatchen aufbricht. Seit Jahren wird deshalb versucht, mit Enzymen, Säuren oder den Mikroskoplaser die Zona entweder auszudünnen (Zona thinning) oder ihr eine Sollbruchstelle zuzufügen (Zona drilling). Die in der Literatur vorliegenden Ergebnisse übe den Erfolg solch einer Behandlung sind extrem kontrovers, so dass eine abschließende Bewertung des „Assisted Hatchings“, auch nach Einsatz an Oozyten älterer Frauen, nicht gegeben werden kann. Es hat ebenfalls Versuche gegeben, die Implantationsbedingungen am Endometrium in vivo zu verbessern. Alle bisher eingesetzten Verfahren haben jedoch nicht zu einer Erhöhung der Schwangerschaftsrate geführt. Das gilt auch für die tägliche Gabe von Aspirin zur Erhöhung der Durchblutung des Endometriumstromas.

Schlussfolgerung
Die in den letzten Jahren auseinander driftenden Schwangerschaftsraten zwischen Deutschland und vielen anderen Ländern sind auf die im Ausland praktizierten verlängerten Kulturzeiten mit sequenziellen Medien und anschließender Embryoselektion zurückzuführen. Da die Auswahl von expandierten Blastozysten aus einem Pool sich entwicklender Embryonen in Deutschland nicht möglich ist, werden wir auch in Zukunft mit Schwangerschaftsraten von unter 30% leben müssen.
Viele Grüße
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** 11.07.2021 - klein-putz ist schon 20 Jahre alt! **
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