Hast du schon einmal in der Öffentlichkeit wahrgenommen, dass gezielt vom „Markt der Orthopädie“ oder vom „Markt der Psychologie“ gesprochen wurde? Ich meine nicht, dass z.B. über evt. unnötige Operationen oder über Psychologisierungen, über Fehldiagnosen oder IGEL-Leistungen gesprochen wurde, sondern dass das – wegen des Angebots ansich - direkt als Markt bezeichnet wurde. – Wenn man Gesundheitsangebote als „Markt“ bezeichnet, meint man damit eigentlich, es geht um Unnötiges. Weil, nötige Gesundheitsangebote als Markt zu bezeichnen, das würde die Assoziation wecken, entweder das Angebot war ebenfalls unsinnig, weil vom Patienten generell nicht benötigt. Es wurde ein Scheinbedürfnis beim Patienten geweckt. Oder der Arzt hat Teilleistungen angeboten, die ihm zwar Geld eingebracht haben, dem Patienten aber keinen Nutzen.Nera hat geschrieben: Natürlich ist die Medizin (im Allgemeinen, nicht nur die Reproduktionsmedizin) ein Markt und selbstverständlich wird auch darüber gesprochen. Auch dort werden bestimmte Sachverhalte kritisiert und in Frage gestellt.
Im Unterschied zu anderen Therapien zur Heilung von Krankheiten ist eine Samen- oder Eizellspende jedoch keine „Behandlung“ oder gar "Heilung" der zugrunde liegenden Unfruchtbarkeit bzw. Zeugungsunfähigkeit. Es ist eine Form der Familiengründung. Mit einer dritten Person im Bunde.
Übertragen auf die Reproduktionsmedizin will man doch mit der Bezeichnung als „Markt“ nichts anderes sagen als, das Angebot wäre völlig nutzlos. Es werden Scheinbedürfnisse geweckt. Damit degradiert man diejenigen, die das nutzen, als Menschen mit nur Scheinbedürfnissen. Kinderwunsch als Scheinbedürfnis. – Das ist das, wogegen ich mich wehre. Dass einige Ärzte durchaus über das tatsächlich Notwendige hinaus auch noch zusätzliches Geld machen und DAS dann als „Markt“ bezeichnet werden kann, das ist eine ganz andere Geschichte. Eine IVF ohne vorherige ausreichende Diagnosestellung wäre sowas zum Beispiel. Das ist aber nicht in dem Kontext gemeint, wenn vom „Markt der Reproduktionsmedizin“ gesprochen wird. Auch nicht bei den autoren des hier diskutierten Buches.
Die Spenderkinder, die sich in den Rezensionen geäußert haben, die freuen sich mit ihrer Rezension insbesondere über die Veröffentlichung ihrer Geschichte und darüber, dass das Buch Aufklärung und offene Spender befürwortet. Warum die betreffenden Menschen des unter die Gürtelinie gehende Vokabular nicht mit bewertet haben, darüber kann ich nur spekulieren.Nera - ironisch hat geschrieben: ja, das wäre echt fatal, wenn sich das Kind bzw. der Teenager in dem Buch vielleicht sogar wider erkennt und verstanden fühlt. *Kopfschüttel*
Wie man anhand der im Internet geäußerten Reaktionen auf das Buch erkennen kann, findet das Buch gerade von den Spenderkindern regen Zuspruch. Und die scheinen das Teenager-Alter schon überschritten zu haben.
Entweder haben sie dieses selbst noch nicht hinreichend reflektiert. Oder sie nehmen es eben inkauf, weil ihnen das andere wichtiger ist. Es könnte auch eine Parteiergreifung dahinter stecken, weil das Vokabular von der Vereinsführung für richtig befunden wird. Oder aber Herr Oelsner oder Herr Lehmkuhl war in der Interviewsituation so freundlich, dass man de ja nichts Schlechtes nachsagen will. – Frage sie doch mal nach ihren Gründen.
Die wenigen Menschen in euerm Verein stehen eben nicht stellvertretend für die vermutlich über 100.000 in unserem Land. Sie sind vielleicht gerade diejenigen, die zum Teil ein schwieriges Elternhaus hatten oder zum Teil die charakterliche Eigenschaft haben, besonders viel zu grübeln. Eure Geschichten geben kein generelles Bild der anderen über 100.000. Sie können allenfalls erzählen, dass es eben auch so werden kann.
Ein Buch mit Geschichten anderer Spenderkinder hätte ich meinen Kindern zum Lesen gegeben, wenn ich spüren würde, dass sie das interessiert. Ein Buch hingegen, das ihnen sagt, sie wären die Kinder von Eltern, die sie selbst als „Objekt“ betrachten, die einem Wahn erlegen sind und die sie selbst aus einem Konsumdenken heraus bekommen haben, … usw. halte ich deshalb für schädlich, weil es für Kinder auch wichtig ist, dass ihre Familie und damit auch ihre Eltern anerkannt sind.
[quote ="Nera"] weil ich nämlich nicht nur als "Betroffene" schreibe, sondern auch als ein Mensch mit gesundem Menschenverstand.[/quote]
Ich glaube, ich habe auch einen gesunden Menschenverstand und schreibe nicht nur als doofe Spenderkinder-Mutter.
Kann es sein, dass deine Eltern deshalb „dazu stehen“, weil du es ihnen übel nehmen würdest, wenn es nicht so wäre? Und weil ihnen die Beziehung zu dir wichtiger ist?Nera hat geschrieben:Dass meine Eltern meinen biologischen Vater "aus dem Katalog" ausgewählt haben bzw. es dem Arzt überlassen haben, … Auch meine Eltern stehen dazu. …Verübeln würde ich es ihnen eher, wenn sie diesen Aspekt aberkennen, sogar beleidigt darauf reagieren oder ihn "zensieren" würden. Das würde ich nicht ehrlich finden, das wäre eine Vertuschung, die der Beziehung zwischen ihnen und mir nicht gut tun würde.
Vielleicht haben aber auch deine Eltern die Bezeichnung „Katalog“ in dem Zusammenhang tatsächlich noch nicht im abwertenden Zusammenhang gehört? Vielleicht haben sie die unzähligen Medienberichte nicht wahrgenommen, in denen immer wieder auf die Eltern eingedroschen wurde, weil sie sich den Spender aus einem Katalog aussuchen würden? Vielleicht ist deinen Eltern dadurch noch nicht bewusst geworden, dassdamit ihre eigene Entscheidung vor x Jahren für ein Kind, die aus einem Ur-Bedürfnis heraus kam, als eine Konsumentscheidung degradiert wurde?
Liebe Nera, wenn wir uns mal treffen, freue ich mich auch, wenn ich mal deine Eltern kennenlernen darf. Das wäre eh ein Hammer-Wunsch von mir. Mal die Eltern von einem von eurem Verein kennenzulernen.
Das verstehe ich. Da war aber die Bruchstelle nicht die Spende ansich, sondern die fehlende Möglichkeit, den Spender kennenzulernen.Nera hat geschrieben:Auch ich bin jemand, bei dem bestimmte Kannbruchstellen wohl eingetreten sind. Z.B. äußert sich das bei mir darin, dass ich sehr rastlos bin. Meine Herkunft nicht zu kennen, beschäftigt mich, weil ich wohl nie erfahren werde, wer mein biologischer Vater ist. Diesen Vorwurf mache ich dem Arzt, der sich nicht an geltendes Recht hält.
Genauso war es. Sprichst du in deinem letzten oben zitierten Halbsatz über den Arzt, der in deinem Fall aktiv war oder über alle Ärzte? Letzteres wäre unfair, weil in der Tat heute nicht mehr alle Ärzte so beraten. Da müsste man mehr differenzieren.Nera hat geschrieben:Als ich gezeugt wurde gab es nämlich keine wirklichen Möglichkeiten der Auseinandersetzung zu dem Thema wie heute, geschweige denn Bücher, wie das von Oelsner und Lehmkuhl, wo man sich über die Auswirkungen für die Kinder hätte informieren können oder Spenderkinder, die öffentlich auftreten und ihre Erfahrungen teilen. Stattdessen gab es nur die Meinung eines Arztes, der zu anonymen Spenden und der Geheimhaltung der Herkunft gegenüber dem Kind geraten - letzteres übrigens auch bis heute nicht geändert - hat.