Wieso denn immer "künstlich"???

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NocheinGast

Wieso denn immer "künstlich"???

Beitrag von NocheinGast »

Hallo, liebe Mitstreiter! Schon seit einiger Zeit störe ich mich an dem Begriff "künstliche" Befruchtung.

In unserer Sprache ist es doch so, dass der Begriff "künstlich" einen ausgesprochen negativen Beigeschmack hat und das Gegenteil von positiven Begriffen wie "ehrlich" oder "natürlich" bezeichnet.
Ein Joghurt, der "künstlich" schmeckt, steckt voller Chemie, ist nicht unbedingt lecker, er ist billig hergestellt und tendenziell ungesund. Ein Mensch, der "gekünstelt" spricht, ist lächerlich und sehr wahrscheinlich unehrlich. Ein "künstliches Hüftgelenk" oder "künstliche Intelligenz" kann sich selbstverständlich nicht mit dem Original messen.

An unseren Kindern ist absolut nichts "Künstliches" dran!!! Es sind ganz normale, "natürliche" Kinder, die ja schließlich auch nicht "künstlich" erzeugt worden sind (im Sinne von Klonen, Genmanipulation oder Selektion). Sie sind genauso aus Eizelle der Mutter und Spüermium des Vaters entstanden (wenn auch nicht am üblichen Ort), sind von ihrer Mutter ausgetragen und geboren worden wie jeder andere Mensch auf dieser Welt auch.

Warum sprechen wir (und unsere Docs) nicht lieber von "assistierter Befruchtung", "Reproduktionsmedizin" oder schlicht "IVF" und lassen den Begriff "künstliche" Befruchtung in der gleichen Schublade verstauben, in der das abfällige Wort vom "Retortenbaby" zum Glück schon fast verschwunden ist???
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Stefine
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Beitrag von Stefine »

:?:

Vielleicht weil es ein "künstlich" erzeugter Zyklus ist ? Weil der ganze Ablauf gesteuert wird ?

Ich persönlich störe mich nicht so sehr an dem Begriff. Wenn ich ihn benutze, dann eher auch, weil dann mein Gegenüber zumindest ein wenig weiß, wovon ich spreche (meist ganz wenig... :lol: ).

Wir Kinderwünschis sehen doch unsere Kinder und wissen, daß sie ganz so sind, wie andere Kinder auch. Wer was anderes redet, kann mir echt gestohlen bleiben...... Ahnungslose........... :P

Gruß Stefine
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Maggie + Tim
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Beitrag von Maggie + Tim »

Hallo Gast,

dies liegt daran, dass es eben keine "assistierte", sondern wirklich eine "künstliche" Befruchtung ist.

Zunächst werden die natürlichen Hormone, welche für die Eientstehung und -reifung zuständig sind, per Medikament unterdrückt. Daraufhin werden verwandte Hormone zugeführt, welche die Produktion und Reifung einer Vielzahl von Eiern auslöst... in einer Zahl, die auf natürlichem Weg nie erreicht werden könnte.

Also alles ab stimulierter IUI aufwärts als "assistierte Befruchtung" zu bezeichnen, wäre dann doch eine ziemliche Untertreibung...
Gruß und Gung ho von Tim

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Frosch;o)
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Beitrag von Frosch;o) »

In meiner alten Praxis wurde nur von assisierte Befruchtung geredet. Weil am Befruchtungsprozess selber überhaupt nichts künstlich ist - zumindest bei der IVF und selbst das Verschmelzen bei ICSI, wenns denn Befruchtung ist, ist ja natürlcih. Nach Aussage der Docs dort war das ein Hilfsbegriff v.a. von Gegnern - so wie auch das Retortenbaby.
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Maggie + Tim
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Beitrag von Maggie + Tim »

naja, aber man kann den Befruchtungstag selbst ja nicht von der ganzen Prozedur davor loskoppeln... das wäre ja sonst doch etwas Augenwischerei.

Warum kann man denn das nicht künstliche Befruchtung und Retortenbaby nennen? Schliesslich stimmt das ja irgendwo. Ich sehe das nicht so als Problem an... sind nur Bezeichnungen...
Gruß und Gung ho von Tim

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ZH33
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Beitrag von ZH33 »

Hallo
Nun, jedes Baby ist ein Wunder, aber ein IVF, ICSI oder HI- Babys sehe ich persönlich eben als ganz spezielles Wunder an. Für eben diese "künstlichen Babys" musste das Paar oft sehr, sehr lange kämpfen und daher sind sie eben für mich so speziell. Daher habe ich mit diesem Ausdruck keine Mühe.

LG ZH37
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Mondschaf
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Beitrag von Mondschaf »

Hallo allerseits,

habe noch nie darüber nachgedacht, aber ich finde den Gedanken von gast interessant.

Aus politischer Korrektheit (die man sicher auch übertreiben kann, aber trotzdem) werden ja auch andere Begriffe nicht mehr verwendet. Da lohnt es sich doch, darüber nachzudenken, ob wir den Begriff "künstliche Befruchtung" weiterhin verwenden sollten.

Ich halte die Unterscheidung zwischen "künstlich" und dem hier ja wohl implizit geltenden Gegenteil "natürlich" für absolut subjektiv. gast hat auch recht, dass mit den Begriffen "künstlich" und auch "natürlich" zudem eine implizite Wertung verbunden ist.

Tim, wenn man das so interpretiert wie Du: wo ist denn da die Grenze? Wenn man so will, ist jegliche Form von Medizin außer vielleicht Kräutertees "künstlich", weil da mit letzlich Chemikalien etwas beeinflusst wird, was "natürlich" - also ohne menschliche Beeinflussung - anders ablaufen würde. Und selbst bei Kräutertees werden die Pflanzen vom Menschen schon in einem Sinne verwendet, der nicht ihren eigenen natürlichen Abläufen entspricht.

Wieso ist es "künstlich", wenn Eizelle und Spermium außerhalb des Körpers zueinander finden und im Körper ist es natürlich? Wieso sind dann aber z.B. Tomaten aus dem Gewächshaus "natürlich", obwohl sie auch ihrer "natürlichen" Umgebung beraubt sind (es würde wohl keiner drauf kommen, das als "künstlich" zu bezeichnen)?

Man könnte doch umgekehrt argumentieren, dass es wohl ein natürlicher Vorgang sein muss, denn wenn das ganze so gegen die menschliche Veranlagung wäre, würde die Befruchtung bei der IVF doch garnicht zustande kommen.

Für Gast ist die Grenze zwischen natürlich und künstlich offenbar bei Klonen und Selektion erreicht. Auch das halte ich für eine subjektive Definition, letztlich ist das wohl Bauchgefühl, wo man die Grenze zieht. Klonen vielleicht noch, dazu gibt es in der "natürlichen" menschlichen Reproduktion ja wirklich kein Gegenstück, sondern es ist etwas komplett Neues. Aber Selektion? Die findet in der Natur doch dauernd statt. Wahrscheinlich würden die meisten Embryonen "natürlich" als Fehlgeburten enden, die bei der PID schon im Vorfeld "künstlich" aussortiert werden.

Wie auch immer, ich denke schon, dass man durch eine neutralere Wortwahl manche Vorurteile besser angehen könnte. Denn allein durch die Wortwahl liefert man gerade Leuten, die wenig über das Thema wissen doch schon Gegenargumente. Froschs Vorschlag mit der assistierten Reproduktion finde ich z.B. besser, weil er sachlich und nicht tendenziell wertend ist.

Liebe Grüße

Mondschaf
Mit zwei Jungs geboren 2004 und 2007

„Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“ – J. W. von Goethe

„Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es (zu) dir - für immer.“ - Konfuzius

*** Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. ***
rebella67
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Registriert: 10 Jan 2002 01:00

Beitrag von rebella67 »

Ich habe den Begriff ?Künstliche Befruchtung? bisher auch gedankenlos verwendet. Aber auch mir leuchten die Argumente von Gast ein. Habe das in der letzten Zeit auch schon 2 oder 3mal irgendwo gelesen, daß Betroffene sich gegen diesen Begriff wehren. Und genau wie Mondschaf sehe ich es nun auch so, daß es für unsere politische Argumentation nicht besonders sinnvoll ist, diesen Begriff zu verwenden.

Ich werde mir zukünftig Mühe geben, diesen Begriff aus meinem Sprachgebrauch zu entfernen.

Liebe Grüße, Rebella
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Katharina
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Beitrag von Katharina »

Hallo zusammen,

ich habe mir auch schon des öfteren Gedanken um diesen Ausdruck gemacht und z. B. in meinen Protestbriefen bewußt nie erwähnt. Vielmehr ist es doch sogar paradoxer Weise so, dass der gesamte Vorgang der medizinischen Zeugung (oder wie man es auch immer nennen will) tatsächlich nach dem benannt wurde, was als einziges natürlich abläuft :wink: .

Tim hat ja recht, wenn er angibt, dass der gesamte Zyklus künstlich ist, aber die Befruchtung klappt halt nur natürlich oder garnicht, der Begriff ist da schon irreführend.

Ich halte es aber für wichtig, einen einheitlichen Begriff zu finden, der neutral ist und bei dem klar wird, was gemeint ist und nicht einfach nur einen negativ besetzten Begriff zu streichen.

Liebe Grüße

Katharina
Wenn die Hoffnung aufwacht, legt sich die Verzweifelung schlafen!

2 IUI in 2003 negativ
1. + 2. ICSI im Nov. 04 + Jun/Jul 05 in Nijmegen negativ, 2. kein TF
weiter mit HI in Arnheim, 1. Gesprach Feb. 06
4 HI Juli, Okt., Nov., Dez. 06 negativ
5. HI mit Stimu Januar 07 positiv, bei 5+4 ß-HCG nur 235, noch keine FH bei 6+0 ß-HCG 270, FH nur 3,3mm, Abgang bei 6+5
6. HI mit Stimu Nov. 07 negativ
7. HI 12.02.08, Pipi(LH)Test positiv 01.03.08 bei 4+3
1. US 10.03.08 bei 5+5 Flöckchen ist 4,2 mm
2. US 18.03.08 bei 6+6 Flöckchen ist 9 mm, Herz schlägt!!
3. US 28.03.08 bei 8+2 Flöckchen ist 17 mm, alles in Ordnung!
4. US 11.04.08 bei 10+2 Flöckchen ist 37 mm, alles dran und schon am strampeln
5. US 09.05.08 bei 14+2 Flöckchen misst SSL 80 mm
6. US 06.06.08 alles O.K.
23.06.08 Organ-US bei 20+5 unser Junge mißt 22 cm bei ca. 370 g
21.08.08 unser Prinz kommt bei 29+1 mit 995 g zur Welt
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Bigi
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Beitrag von Bigi »

Hallo,
ich finde,Gast hat irgendwie Recht,aber ich kann wie Tim auch nix Verwerfliches finden,dass es künstlich heisst.Künstlich kommt von Kunst,und das ist doch nix Negatives!!! :wink: :roll:
Finde ich zumindest.Die Befruchtung mag insgesamt natürlich sein,aber die SS wird künstlich herbeigeführt,so ist es nun einmal.Hormone,Eingriffe etc...eigentlich alles gegen die Natur,denn die wollte ja keine SS auf dem natürlichen Weg,so ist es also unnatürlich :o (das Wort ist ja noch viel schlimmer :help: )
Es gibt kein schönes Wort,die Kinder sind das Schöne!In diesem Zusammenhang fällt mir grad der Film "Gattaca" ein,indem natürlich gezeugte Kinder als Individuen 2.Klasse gesehen werden........
LG,
Bigi
Liebe Grüsse,
Bigi
+ mehr...: www.ebel-project.de


z.Zt. im Projekt Nestbau :dance:

Alles andere liegt in Schicksals Händen.....*knuddel* *dd* *knuddel* *dd*
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