Bericht über „Kinderwunsch in der Krise“ vom DGGG

rebella67
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Bericht über „Kinderwunsch in der Krise“ vom DGGG

Beitrag von rebella67 »

Bericht über die Informationsveranstaltung „Kinderwunsch in der Krise“ vom DGGG am 28. Juni 2005

Tenor dieser Veranstaltung war die Schaffung eines Fortpflanzungsmedizingesetzes, das Mehrlingsproblem und die mögliche Situationsverbesserung durch Einführung des Single Embryo Transfers. Da eine schnelle Lösung notwendig ist und mit der Verabschiedung eines Fortpflanzungsmedizingesetzes frühestens am Ende der nächsten Wahlperiode zu rechnen wäre, wurde eine Dringlichkeitsänderung des Embryonenschutzgesetzes, noch für dieses Jahr, vorgeschlagen. Geändert werden sollten der §1 Abs. 1 Nr. 3 und 5 so:

„3. es unternimmt, innerhalb eines Zyklusses mehr als zwei Embryonen auf eine Frau zu übertragen,“
und
„5. es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten als zum Zweck einer erfolgreichen Behandlung unter Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften nach dem Stand der Wissenschaft erforderlich ist.“


Zu den einzelnen Vorträgen wurde umfassendes Informationsmaterial mit den wichtigsten Aussagen verteilt. Ich gebe hier die wichtigsten Punkte aus meinen Aufzeichnungen zu den Vorträgen wieder.


1. Vortrag von Prof. Dr. Klaus Diedrich: „Die Notwendigkeit eines Fortpflanzungsmedizingesetzes“

- von den 1965 geborenen Frauen bleiben ein Drittel (West) und ein Viertel (Ost) kinderlos.
- 1970 blieben 14,7% aller Ehen kinderlos, davon 20% gewollt.
- 15 - 20% aller Paare (1,2 - 1,6 Mio.) kommen irgendwann in die Situation ungewollter Kinderlosigkeit
- Nach einer Kinderwunschbehandlung sind im Jahr 2002 fünf Prozent aller geborenen Kinder geboren (42.000), davon 18.000 nach assistierter Reproduktion. 200.000 Paare wurden insgesamt behandelt.
- Die Geburtenrate pro Zyklus nach IVF lt. Voraussichtlichem D.I.R. 2004 wird mit 21% angegeben, nach In vivo Fertilisation mit 24%.
- Weltweit wurden 2004 nach IVF 1,9 Mio Kinder geboren und 800.000 nach ICSI.
- Zwischen 1997 und 2002 gab es in Deutschland 2.449 Drillingsgeburten und 31 Vierlingsgeburten nach IVF / ICSI.
- Mit dem SET (Single Embryo Transfer) wird laut Gerris 2005, ESHRE eine Schwangerschaftsrate von 40,3% erreicht, 1% Zwillinge, bereits nach DET (Double Embryo Transfer) steigt die Zwillingsrate auf 32%, die Schwangerschaftsrate auf nur 44,3%.
- Morphologisch ausgewählt wird der Embryo mit der schnellsten Teilung, gleichmäßiger Verteilung der Zellen und möglichst ohne Fragmentierung.
- Forderung: ein abgestufter Lebensschutz des Embryos, anerkennung des Schutzes der Menschenwürde und Zulassung der Forschung für hochrangige tieffundierte Zwecke.
- Bei einer Befragung (die Quelle und vollständigen Ergebnisse konnte ich leider nicht schnell genug notieren) in der Normalbevölkerung zum Thema „Ab wann handelt es sich um einen Menschen? Antworteten 7,9% „schon während der Befruchtung“, 20% „ab der befruchteten Eizelle“, 4% im Vier- bzw. Achtzellstadium, weitere „nach der Einnistung“, …
- Priorität 1 im Zusammenhang mit einem Fortpflanzungsmedizingesetz: Verbesserung der Schwangerschaftsrate, Reduzierung der Mehrlingsrate durch SET, das Möglichmachen der Kyrokonservierung von Embryonen als Voraussetzung für die Auswahl des morphologisch besten Emryos (Auch die mögliche Alternative der Embryonenspende und der Gorschung wurde hier genannt)
- Priorität 2: Schaffung einer Aufsichtsbehörde für Dokumentation, Beratung und Qualitätssicherung und für sozial-rechtlöiche Regelungen ähnlich der HFEA in England
- Regelung der PID unter strenger Indikation
- Prof. Diedrich erwähnte, er bekam mal eine Strafanzeige, weil er ein Paar zur PID nach Belgien geschickt hatte.
- Rheinland-Pfalz hat eine Bioethikkommission, die sich auch mit einem Fortpflanzungsmedizingesetz beschäftigt.
- Die neuen Richtlinien der Bundesärztekammer sollen am 29.6.2005 verabschiedet werden.

Nach dem Vortrag konnten Fragen gestellt werden. Eine Genethikerin von Bündnis 90/ den Grünen meldete sich zu Wort. Den Namen habe ich nicht ganz verstanden, Sabine Rievenhaupt oder ähnlich. Sie fragt nach den neuen Richtlinien der Bundesärztekammer und deren Tragweite. Außerdem will sie wissen, ob es Zweifel daran gibt, dass diese morphologischen Kriterien, nach denen ausgewählt werden kann, zu erhöhten Schwangerschaftsraten führen.


2. Vortrag von Prof. Dr. Ricardo Felberbaum: „Unerfüllter Kinderwunsch: Stand der Fortpflanzungsmedizin in Deutschland“

- Prof. Felberbaum bezeichnet das deutsche Embryonenschutzgesetz und das Gesundheitsmodernisierungsgesetz 2004 als zwei stabile Tiefdruckgebiete.
- Die Paare wissen über die technischen Möglichkeiten bescheid. In Spanien und anderen Ländern spielen deutsche Patienten eine große Rolle.
- Die Begrenzung auf „zwischen 25 und 40“ ist sehr unsinnig. Er führte zwei Beispiele unter 25-jähriger ohne Chance auf eine Schwangerschaft an.
- Das D.I.R. reicht bis 1982 zurück. Damals gab es 750 Behandlungen.
- Im Jahr 2004 gab es ca. 67.000 Behandlungen für IVF / ICSI / Kyro
- Zwei ideale Embryonen führten zu 32,82% Schwangerschaftsrate, zwei nicht ideale nur zu 14,02%. Ein idealer Embryo führte in Deutschland zu 17,87% Schwangerschafsrate, ein nicht idealer zu 6,89%. Zwangsläufig wird nur ein Embryo transferiert, wenn auch nur einer da ist. Daher nicht zu vergleichen mit SET nach Selektion.
- 1998 war der Anteil der Drillingsschwangerschaften bei über 7%, danach aufgrund Aufklärung der Ärzte kontinuierlich abnehmend bis 2002 (2,57%). Nach Bekanntwerden des GMG stieg sie 2003 wieder auf 3,34% und 2004 nach Prognose sogar auf 4,3%.
- Mehrlingsschwangerschaften sind auch ein Faktor für das Solidarsystem. In den USA kosten sie ca. laut Aussage einer Teilnehmerin vom BRZ 160.000 Dollar in den ersten 3 Monaten.


3. Vortrag von Prof. Dr. Hermann Hepp: „Höhergradige Mehrlingsschwangerschaft: Risiko für Mutter und Kinder“

Prof. Dr. Hepp ist ehemaliger Direktor der Frauenklinik Großhadern. Er berichtet über die Erfahrungen in dieser Klinik mit 131 Müttern mit höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften der Jahre 1983 - 2003.

- 26% der Schwangerschaften waren nach alleiniger hormonaler Stimulation entstanden, 25% nach IVF/ICSI, 21% nach GIFT, 16% nach spontaner Empfängnis.
- Aus den höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften resultierten 338 Drillinge, 54 Vierlinge und 20 Fünflinge, also 412 Frühgeborene, welche in der Klinik prä-, peri- und postpartal intensivmedizinisch betreut wurden.
- 46% der Drillinge, 50% der Vierlinge und 55% der Fünflinge hatten ausgeprägte Wachstumsverzögerungen.
- Schwierige ethische Entscheidungssituationen, ob man bei Gefahr eines Kindes zur Rettung aller Kinder den Entbindungszeitpunkt nach vorn verschiebt und damit die weitere Reifung der übrigen Kinder verhindert oder ob man den Tod des retardierten Drillings bewusst in Kauf nimmt. In 24% der Drillingsschwangerschaften führte der Wachstumsstillstand eines oder mehrerer Föten zur vorzeitigen Sectio-Indikation.
- Mit zunehmender Schwangerschaftsdauer sank das Risiko für die Kinder, stieg aber die Gefahr für die Mutter.
- Die perinatale Mortalität liegt bei 3,25% der Fälle. Diese Kinder waren alle vor Vollendung der 30. Schwangerschaftswoche geboren.
- 30% der geborenen Drillinge sind mit leichten bis schweren Handicaps belastet. Nur 70% der Kinder werden nach zum Teil wochenlanger Intensivbetreuung den Eltern gesund übergeben.
- 21% der Mütter haben am Ende mindestens 1 behindertes Kind, 25% fühlen sich dauerhaft überlastet, 86% schlafen jede Nacht nur 4 - 6 Stunden, 74% geratenin die soziale Isolation, 41% leiden unter Depressionen.
- Mütterliche Schwangerschaftsrisiken: vorzeitiger Blasensprung, Thromboembolie, Präeklampsie, Eklampsie, nachgeburtliche Blutungen, …
- Seit Beginn der 80-er Jahre wird die Reduktion höhergradiger Mehrlinge praktiziert. Der Embryo- oder Fetozid dient im Sinne der „Prävention“ einer extremen Frühgeburtlichkeit und mütterlicher Bedrohungen.

- Prof. Hepp geht anschließend detaillierter auf den Embryo- und Fetozid ein, auch auf die rechtliche Seite.
- Berkowitz et al. stellte in einer Studie sechs Monate nach Teilfetozid in 70% der Fälle Trauer und Bedauern und in 18% eine persistierende Depression fest. In einer anderen Studie (Evans) wurde festgestellt, dass nach einer Reduktion von Zwillingen auf Einling in 17% der Fälle auch dieser Einling verloren wurde, bei Drillingen auf Einling in 23% der Fälle und von Vierlingen auf Zwillinge kam es in 15% der Fälle zu einem Totalverlust der Schwangerschaft.
- Es wird vermutet, dass auch der Fetozid ein bislang nicht erkanntes Risiko für die verbleibenden Kinder birgt. Da die Indikation für den Fetozid meist aus der psychosozialen Notlage bestimmt wird und nicht vom Aspekt der evt. möglichen Tragzeitverlängerung, lässt sich vorsichtig schlussfolgern, dass der Nutzen auch im Hinblick auf die drohende Frühgeburtlichkeit überschätzt wird.
- Die Konfliktsituation für die Mutter und das Paar ist besonders schwierig, wenn es sich um eine gewünschte Schwangerschaft handelt.

- Im dritten Teil des Vortrages geht es um die Prävention höhergradiger Mehrlinge. Hauptforderungen sind das Zyklusmonitoring nach jeder Stimulation und der Transfer von maximal zwei Embryonen.

- Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz, nach dem die Kosten zu 50% von den kinderlosen Paaren zu tragen sind und die Reduzierung auf 3 Versuche konterkariert den Aufruf der Prävention.

- Forderung: Die alleinige hormonelle Serilitätstherapie darf nur durch einen qualifizierten Arzt durchgeführt werden. Die Eltern sind auf das erhöhte Risoko detailliert aufmerksam zu machen. Die Aufklärung muß dokumentiert werden. Es darf niemals Standard werden, die spätere Korrektur einer möglichen Mehrlingsschwangerschaft in den Therapieplan mit einzubeziehen.

- Rechtliches:

- Die Interpretation von „Sollen“ im ESchG §1, Abs. 1 Nr. 5 („5. es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen,“) bedeutet in der juristischen Interpretation durch Monika Frommel lediglich eine „Absicht“. Nach ihrer Interpretation ermöglicht das ESchG die Erzeugung von mehr als 3 Embryonen und ihre Auswahl. Diese Auffassung wird von anderen Rechtsexperten aber nicht geteilt.

- Die Reproduktionsmediziner sind bei strikter Beachtung des ESchG mit sich widersprechenden Zielen konfrontiert. Einersets das Gebot des Embryonenschutzes mit Vermeidung überzähliger Embryonen, andererseits der Gesundheitsschutz der Mutter und ihrer künftigen Föten. Wenn sie weiter den Weg der Vernunft missachten und nicht alle präventivmedizinischen Steuerungsmöglichkeiten einsetzen, sind sie konsequenterweise zur „Korrektur“ der „Fehlleistung“ ausgesetzt.



4. Vortrag von Prof. Dr. theol. Hartmut Kreß: „Morphologische Beobachtung und Transfer eines Embryos aus Sicht der Ethik“

Prof. Dr. Kreß arbeitet an der Evang.-Theologischen Fakultät, Abt. Sozialethik, Universität Bonn. Er ist auch an der Ausarbeitung der Richtlinien der Bundesärztekammer beteiligt.

- manche Juristen meinen, die Selektion und der SET wären jetzt nach deutschen Gesetz schon möglich (dabei bezieht er sich auf Monika Frommel und die Aussage seines Vorredners)
- Der Gesetzgeber sollte die Verunsicherungen ausräumen, Normenklarheit, Rechtssicherheit und Rechtsvertrauen schaffen.
- Arztethisch sprechen viele Gründe für dieses Verfahren (SET nach Selektion). Es steht im Einklang mit der ärztlichen Pflicht, Schaden zu vermeiden und das Wohl der Patienten zu stützen. (EU Verfassungsvertrag, Grundrecht
- Die Reproduktionsmedizin hat die Normen des Embryonenschutzes zu bewahren, dasjenige Leben, das entwicklungsfähig ist, zu schützen.
- Ethische Theorie, die auf Aristoteles zurück geht: „Leben zu bewahren …???“
- Die entwicklungsfähige menschliche Eizelle soll geschützt werden - die morphologische Beobachtung wahrt diesen Grundsatz. Das neue Verfahren steht im Einklang mit dem Schutz des entwicklungsfähigen Embryos als ethischer und rechtlicher Norm, da es darauf abzielt, einen Embryo, der voraussichtlich entwicklungsfähig ist, zur Existenz zu verhelfen.
- Es müssen aber mehr als 3 Embryonen kultiviert werden.
- Es entsteht ein Zielkonflikt zwischen dem ersten Embryo, der ausgewählt werden soll, und dem zweiten, der ebenfalls entwicklungsfähig ist. Man kann aber diesen zweiten Embryo kyrokonservieren.
- Das Embryonenschutzgesetz nimmt es jetzt schon hin, dass umständebedingt Embryonen übrig bleiben dürfen. Sie sind bereits jetzt in begrenzter Zahl in kleiner 3-stelliger Größenordnung vorhanden. (Anmerkung: Diese Zahl wurde später von Frau Riewenherm (Bü90/Grüne) nach unten korrigiert. 2002 sollen es 71 gewesen sein.)
- Für Deutschland wird von Ärzten diskutiert, ob man die Kultivierung von maximal 6 Embryonen zulassen sollte, so dass dieser Zielkonflikt stark eingegrenzt wäre.
- Wer den Sachverhalt Güterabwägung bedenkt, kann nicht viel gegen einen Menschenwürdeverstoß sagen.
- Gesetzlich sollten dann aber nur maximal 2 Embryonen übertragen werden.
- Ein evt. übrig bleibender Präimplantationsembryo ist noch ganz unterentwickelt. Dem Gesundheitsschutz der Schwangeren und des erhofften Kindes kommt existentiell sowie grundrechtlich ein sehr hohes Gewicht zu. Eine Güterabwägung kann letzterem daher den Vorrang einräumen.
- Der übrig gebliebene Embryo kann einer Frau in einem späteren Zyklus übertragen werden oder u.U. zur pränatalen Adoption freigegeben werden.
- Die Qualität dieser neuen Methode sollte fortlaufend evaluiert werden.
- Es sollte in einer pluralistischen Gesellschaft auf die Paare selbst ankommen, ob sie dieses Verfahren nutzen wollen. Die medizinische Aufklärung sollte weiter ausgebaut werden.

Diskussion:

Ein Herr Scholz? Von der katholischen Nachrichtenagentur sagte: „Es stellt sich durchaus die Frage nach den übrig gebliebenen Embryonen.
Kreß: Das Statusproblem der Embryonen stellt sich hier nicht so dramatisch.
Scholz: ist es unklar, warum das nicht so dramatisch ist.
Kreß: In anderen Ländern gibt es eine fünfstellige Größenordnung kyrokonservierter Embryonen. Die Statusfrage wäre erst bei einer Benurtzung der Embryonen für Forschungszwecke relevant.
Herr Kreß vertrat im Gespräch mit Herrn Scholz auch die Ansicht, daß in einer pluralistischen Gesellschaft es nicht gelingen wird, ein Extrem ("wie es die katholische Kirche fordert" blieb ungesagt, lag aber in der Luft ) nicht durchzusetzen sei.

Frau Riewenherm fragt nach den Selektionskriterien. Gibt es Erfahrungen aus Schweden, wie viele überzählige Embryonen da jetzt existieren und wie oft diese dann auch wirklich später transferiert werden? - Auf diese Frage gab es keine direkte Antwort.

Frau Riewenherm behauptet, in Belgien würde es kritisch diskutiert werden, ob die morphologische Beobachtung überhaupt was bringt. Die PID brächte höhere Erfolge. - Diese Aussage wird von den Ärzten aufgrund vorliegender Fakten zurück gewiesen. Prof. Diedrich sagt, eine prospektive Studie aus Brüssel hätte keine Nachteile in der Schwangerschaftsrate gegenüber der PID gezeigt.

Kreß: Auch die Anzahl der jetzt unzählig vorhandenen kyrokonservierten Eizellen könnte so verhindert werden.


(Anmerkung Rebella: Prof. Dr. Kreß vertritt mit seinen Aussagen nicht die gängige Meinung der Kirche, auch nicht der evangelischen.)



5. Vortrag von Dr. jur. Rudolf Neidert: „Vorschlag für eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes“

- Das Embryonenschutzgesetz ist nicht nur als Embryonenschutzgesetz konzipiert, sondern auch als Fortpflanzungsmedizingesetz. So haben seine Paragraphen auch die Rechte der Frau zu berücksichtigen. Daraus folgen notwendige Güterabwägungen.
- §1 Abs. 1, Nr. 3 und 5 des ESchG sind relevant. In Nr. 3 heißt es, dass nicht mehr als 3 Eizellen übetragen werden dürfen, in Nr. 5, dass nicht mehr Eizellen befruchtet werden als übertragen werden sollen.
- Mit dieser Formulierung im ESchG hätte man nach seinem prognostischen Ansatz die Chance, auch 4 Eizellen zu befruchten. So zumindest ist die Auffassung der Strafrechtlerin Frommel. Von mehreren Ärztekammern und Landesministerien - weitgehend auch in der juristischen Literatur - wird dieses Verfahren nach geltendem ESchG für verboten gehalten. Nach dem damaligen Stand, dass nur 80% der Eizellen auch befruchtet werden, hat der Gesetzgeber 1990 schon eine Art Vierer-Regel vertreten: Vier Befruchtungsversuche und 3 Embryonen übertragen. Dieser prognostische Ansatz des ESchG lässt sich auf den aktuellen Stand der Wissenschaft fortentwickeln, wobei sich die Prognose heute auf die Implantationsfähigkeit befruchteter Eizellen erstreckt, wesentlich weniger als 80%.
- §8 ist in der Auslegung der Nr. 5 zu rate zu ziehen, denn Embryonen, denen die Entwicklungsfähigkeit fehlt, dürfen ohne Transfer bleiben.
- Welche Prognosegenauigkeit (ob der Embryo Entwicklungsfähigkeit besitzt) muß einem rechtmäßigen Handeln zugrunde liegen? Systembedingt bleiben sowieso immer Embryonen übrig, die dem Absterben überlassen werden müssen.
- Der Gesetzgeber muß klären, welchen Spielraum das Gesetz schon heute besitzt. Die Rechtsunsicherheit in bezug auf das SET Verfahren und auf andere Einzelfragen muß damit verschwinden. Schon wegen dieser offenen Auslegungsfragen bedarf es für die rechtlich zweifelsfreie Durchführung des SET in Deutschland eine Änderung des ESchG.
- Deshalb Vorschlag dieser Formulierung: „ … mehr Eizellen zu befruchten als zum Zweck einer erfolgreichen Behandlung unter Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften nach dem Stand der Wissenschaft erforderlich ist.“

Diskussion:
Frage von Prof. Dr. Diedrich: Macht es mehr Sinn, ein Fortpflanzungsmedizingesetz zu schaffen oder eine Aufsichtsbehörde ähnlich der HFEA?
Dr. Neidert: Wir sollten ein Fortpflanzungsmedizingesetz mehr als Rahmengesetz anstreben. Wir sollten nicht den Fehler des ESchG machen, allzu detailliert Dinge gesetzlich regeln zu wollen.

Frage von Prof. Dr. Diedrich: Wie sollen wir in dieser schwierigen Zeit mit dem Entwurf umgehen?
Dr. Neidert: Es war gut, die Chance zu nutzen, den Politikern schon heute klar zu machen, dass hier ein dringliches Problem besteht, das relativ bald in der nächsten Wahlperiode dran kommen muß. In der Zeit des Wahlkampfes würde das Gesetz aber untergehen.


Nach meiner Erinnerung war es auch Dr. Neidert, der vor seinem Vortrag in einer Diskussionsrunde die verfassungsrechtliche Sicht beleuchtete:

Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist eine klarstellende gesetzliche Regelung dringend erforderlich.
Es geht hier sowohl um die Grundrechte und körperlicher Unversehrtheit des Kindes als auch der Mutter.
Es geht nicht um ein verfassungsrechtliches Recht auf ein Kind, aber um ein Fortpflanzungsrecht.
Es geht nicht darum, was darf erlaubt werden, sondern was ist gerechtfertigt zu verbieten.
Verfassungsrechtlich ist die morphologische Beobachtung und der Single Embryo Transfer nicht geboten. Das ist keine derartig schwerwiegende Frage.
Bemerkung von Prof. Dr. Hepp: Ab der Nidation greift §218. Zu der Zeit davor hat sich der Verfassungsrechtler bis heute nicht geäußert.





Zusätzlich zu den Vorträgen wurden die Aussagen der Vortragenden in Schriftform jedem Besucher ausgehändigt. Ein „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum Schutz von Embryonen (ESchGÄndG)“ mit ausführlicher Begründung (9 Seiten) wurde verteilt. Ich gehe davon aus, dass sich diese Unterlagen bei der DGGG anfordern lassen.
Zuletzt geändert von rebella67 am 30 Jun 2005 22:59, insgesamt 4-mal geändert.
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Beitrag von rebella67 »

Zu den anderen 3 Vorträgen morgen.
Liebe Grüße, Rebella
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Beitrag von rebella67 »

Ich füge heute nur einen weiteren Vortrag (Protokoll) ein, weil ich jetzt doch etwas länger gebraucht habe, um mich durch die mir nicht ganz so vertraute Materie durch zu arbeiten. Ich habe in meine eigenen Aufzeichnungen Ausschnitte aus dem zu diesem Vortrag ausgehändigten Schriftstück einfließen lassen, weil ich darin weitere Fakten gefunden habe, die ich für sehr wichtig halte.
Liebe Grüße, Rebella
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Beitrag von rebella67 »

Auch interessant: In der anschließenden Fragenrunde meldete sich eine Frau vom Familienministerium. Wenn ich es richtig verstanden habe, war es "unsere" Frau Stomper. ...
Liebe Grüße, Rebella
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Zieglergaby
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Beitrag von Zieglergaby »

Boaaaaaaaaaaahhhhhhhhhh Rebella, da haste aber geschrieben. Ich les es doch lieber morgen in Ruhe - bin jetzt zu müde für soooooooooo einen langen Bericht. Freu mich auf mehr
danke für deine Mühe
Knuddler
Gaby
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Beitrag von rebella67 »

So, jetzt habe ich noch den Theologen dazu geschrieben. Für morgen bleibt dann noch der Jurist.
Liebe Grüße, Rebella
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Gast

Beitrag von Gast »

Rebella, vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht :D
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Mondschaf
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Beitrag von Mondschaf »

hallo rebella,

vielen dank für den interessanten bericht! besonders interessant finde ich die zahlen zu den frühgeburten bei mehrlingen. ich finde, da wird deutlich, wie scheinheilig das derzeitige ESchG ist.
ja, das hätte mich auch interessiert. habe ja nochmal überlegt, aber derzeit muss ich nachts bis zu 5 mal stillen :o da möchte ich lieber keine zusätzliche unruhe durch von der regel abweichende schlafenszeiten.

liebe grüße
mondschaf
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Zieglergaby
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Beitrag von Zieglergaby »

Hi Mondschaf- schön, dich mal wieder zu treffen. Jetzt sag nicht euer Süßer wird schon bald 1 Jahr alt? Das kann doch nicht sein - so schnell kann ich doch garnicht älter werden :wink: :P
Lieben Gruß bis bald mal und denkt dran am 5.11. sind wir zum Wuki Feiern in Berlin - wer Lust hat - immer herzich gern.
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atonne
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Beitrag von atonne »

Hallo, Rebella,

toll, wie Du das alles aufgeschrieben hast :D.

Ich habe noch zwei Anmerkungen zum Vortrag von Herrn Kreß:

1. Ein sehr interessanter Artikel von dem Herrn ist bereits im Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie erschienen: Ethische Argumente zur morphologischen Beobachtung früher Embryonen mit nachfolgendem Transfer eines Embryos, zu lesen unter http://www.kup.at/kup/pdf/5024.pdf. Er gibt im Wesentlichen den Inhalt des Vortrags wieder.

2. Herr Kreß vertrat im Gespräch mit Herrn Scholz auch die Ansicht, daß in einer pluralistischen Gesellschaft es nicht gelingen wird, ein Extrem ("wie es die katholische Kirche fordert" blieb ungesagt, lag aber in der Luft :wink:) nicht durchzusetzen sei. In diesem Sinne ist meiner Ansicht auch das Statement "Es sollte auf die Paare selbst ankommen, ob sie dieses Verfahren nutzen wollen" zu verstehen.

Viele Grüße, Atonne

TESE im Februar 2005 (D) und August 2009 (D) und PESA (TR) im Juli 2012 erfolgreich
-- 1. Praxis (D)
2 ICSIs April/Mai 2005 und Juli 2005, 1 Kryo Dezember 2005, TF von insgesamt 4 Embryos - NEGATIV
-- 2. Praxis (D)
4 ICSIs Juli 2006, März 2007, September 2007 und November 2007, TF von insgesamt 8 Embryos - NEGATIV
-- 3. Praxis (D)
3 ICSIs Oktober 2008, März 2009 und September 2009, 1 ICSI ohne TF Juli 2009, 1 Kryo ohne TF Juli 2009, TF von insgesamt 7 Embryos - 1x biochemische SS, sonst NEGATIV
-- 4. Praxis (Ö)
2 ICSIs April/Mai 2010 und November 2010, 1 ICSI ohne TF Februar 2011, 3 vor PU abgebrochene ICSIs März 2010, September 2010 und August 2011, TF von insgesamt 3 Embryos - 1x biochemische SS, sonst NEGATIV
-- 5. Praxis (D)
4 ICSIs Dezember 2011, Februar 2012, April/Mai 2012 und Juli 2013, 1 vor PU abgebrochene ICSI April 2012, TF von ingesamt 5 Embryo - 2x biochemische SS, sonst NEGATIV
-- 6. und letzte Praxis (TR)
- 2 ICSIs Juli 2012 und Mai 2013, 1 ICSI ohne TF Dezember 2012, 2 vor PU abgebrochene ICSIs November 2012 und April 2013, TF von insgesamt 4 Embryos - 1x biochemische SS, sonst NEGATIV


Wir stellen uns auf einen langen Atem ein...

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Mit dem besten Hund der Welt für immer im Herzen - Du hast uns in schweren Zeiten begleitet und fehlst uns auf Schritt und Tritt :cry:!
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