Hallo Reb,
du schreibst: „Aber lässt sich denn die "persönliche Meinung" und das, was man gerne umgesetzt hätte für die Allgemeinheit immer so ganz trennen?“ -
Ich finde, damit hast du etwas ganz Wichtiges formuliert. Ich bin dir dankbar, dass du das so schreibst und auch in deinen Antworten auf den letzten Seiten ja bereits schon gezeigt hast, dass es da für dich keine wirkliche Trennung gibt. Dankbar deshalb, weil du damit das demonstrierst, was in dem Meinungsbildungsprozess in unserer Gesellschaft und auch im Gesetzgebungsprozess abläuft.
Ich versuche das mal am Beispiel des Embryonenschutzgesetzes zu verdeutlichen. Nach der von den christlichen Kirchen propagierten Meinung ist bereits die befruchtete Eizelle ein Mensch. Viele Anhänger des Christentums nehmen diese Meinung als ihre an und übertragen sie zunächst auf ihr eigenes Leben, was ja erstmal so legitim ist. Weil das ja nun aber mal die bestehende Wahrheit für sie ist, sehen sie sich bemüßigt, dafür zu sorgen, dass auch alle anderen Menschen danach leben müssen. Sie verbreiten also diese Ansicht. Und das nicht nur mit der Begründung, weil ja sonst Mariä unbefleckte Empfängnis beleidigt werden würde (vielen von euch ist dieser Ursprung bestimmt nicht mal klar; außerdem wisst ihr auch sehr gut, dass DIESES Argument gesellschaftlich nicht herhalten könnte), nein, ihr sucht euch Scheinbegründungen. Beliebt in der Argumentation ist hier zum Beispiel die Leerformel der Menschenwürde. Auch in der Politik sind viele Christen. Die christlichen Politiker stimmen natürlich für den Beginn eines absoluten Lebensschutzes ab Befruchtung der Eizelle, weil es ja ihre persönliche Meinung und darüber hinaus „die einzige Wahrheit“ ist. Viele eigentlich nichtchristliche Politiker stimmen auch dafür, weil sie es ja schon so verinnerlicht haben und gar nicht mehr trennen können. Ihnen ist der Ursprung dieser Meinung nicht bewusst. Darüber hinaus haben die Kirchen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Politiker mit einer zu sehr entgegen den Kirchen geäußerten Meinung laufen bei uns Gefahr, raus geworfen zu werden. Des Weiteren konnte sich diese Ansicht („dank“ kirchlicher Propaganda) recht gut in der öffentlichen Meinung verbreiten und ein Politiker, der Erfolg haben will, sollte sich immer der Mehrheitsmeinung anschließen.
Unter diesen Prämissen ist es natürlich schwer, mit den Mitteln der Vernunft noch eine vernünftige Lösung politisch zu etablieren … Deshalb finde ich es sehr wichtig, dass jedem Menschen in unserer Gesellschaft der Unterschied bewusst wird, dass zwischen der persönlichen Meinung und dem, was politisch zum Wohle der gesamten Bevölkerung durchgesetzt werden soll, klar getrennt werden muss! Mit dieser Erkenntnis würde ich als Politikerin immer eine Lösung anstreben, die möglichst allen Gruppen gerecht wird. Im Falle des Embryonenschutzgesetzes wäre das eine Lösung, bei der die potentiellen Eltern selbst über den Umgang mit ihren Embryonen bestimmen können. Wer meint, das Leben beginnt mit der Befruchtung, darf zum Beispiel nicht zum Verwerfen von befruchteten Embryonen gezwungen werden. Wer diesen Zeitpunkt für sich persönlich später oder früher ansetzt, muss aber auch die Möglichkeit haben, nach dieser Auffassung zu handeln.
Weitere Zitate: „dass der Staat etwas vorgeben muss, was sie schützt und ihnen den bestmöglichen Start ins Leben ermöglicht. … Regeln auszudenken, die denen, die keine Stimme haben, das beste Leben ermöglichen, was möglich ist.“-
Völlige Übereinstimmung. Die Frage ist nur oft: Was ist wirklich das Beste? Auch hier darf man nicht von einer einzigen Glaubensrichtung aus gehen!
Noch ein Zitat: „Damit will ich ja in Bezug auf homosexuelle Familien noch nichtmal sagen, dass es die Kinder dort schlecht haben - ganz im Gegenteil!!! Aber dennoch ist es meines Erachtens nach BESSER wenn sie in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen.“ -
Für ein Kind ist es (fast) immer besser, in der Herkunftsfamilie aufzuwachsen. Das hat herzlich wenig was mit Homosexualität zu tun. Welche Kinder kommen für Homosexuelle als Kinder in Frage? Das sind erstmal adoptierte Kinder oder Pflegekinder. Diese wachsen ja nun mal sowieso nicht in ihrer Herkunftsfamilie auf. Bei Lesben kämen eigene Kinder einer der beiden Partnerinnen infrage. Das ist einmal möglich durch eine Spendersamenbehandlung. Der zweite mögliche Weg ist der, dass sich Lesben und Schwule zur Zeugung eines Kindes zusammen tun. Im letzten Fall wird das Kind möglicherweise zwei Elternpaare haben, aber doch vorwiegend bei einem Elternpaar aufwachsen. Immerhin mit einem genetisch verwandten Elternteil. Ohne diese Möglichkeit GÄBE ES DIESES JEWEILIGE KIND NICHT. Wäre es besser, es würde diese Kinder nicht geben? Im Fall der Spendersamenbehandlung hat dann das Kind nur ein Elternpaar, wie (fast) alle anderen Kinder auch. Ein Elternteil ist genetisch verwandt. Auch dieses Kind würde es ohne diese Methode nicht geben. Was wäre denn besser für dieses Kind?
Letztes Zitat: „Unsere Grundgesetze basieren auf der Bibel.“
In der Tat müsste an unserem Grundgesetz was geändert werden. Du hast Recht, es ist zu christentumslastig. Bereits in der Präambel steht ja ein Bekenntnis zum christlichen Gott. Das empfinde ICH als eine Zumutung. Auch widersprechen natürlich die Passagen zum Religionsunterricht einem Staat, in dem Staat und Kirche getrennt sein sollen. Dass ein Teil eurer Gebote auch mit den Menschenrechten übereinstimmen und deshalb im Grundgesetz fixiert sind, ist selbstverständlich kein Aufdrängen christlichen Glaubens. Den Schutz des Lebens halte ich beispielsweise für wichtig. Zum Glück steht im Grundgesetz nicht (wie in der Bibel), dass man Hexen nicht am Leben lassen soll …