Stammzellforschung
Forscher wollen mehr Freiheiten
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Stammzellforschung
Forscher wollen mehr Freiheiten
Parkinson, Diabetes, Querschnittslähmung - mit embryonalen Stammzellen kann man vielleicht einmal viele Krankheiten heilen. Doch für ihre Herstellung werden Embryonen zerstört. Deutsche Forscher wollen nun eine Lockerung der Gesetze.
Embryonen als menschliches Ersatzteillager, gezüchtet und getötet, als Spender der begehrten embryonalen Stammzellen - das war und ist die Horrorvision einer Forschungsdisziplin, auf die seit Jahren große Hoffnungen gesetzt werden: die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des deutschen Stammzellgesetzes ist klar: Die Horrorvision ist nicht eingetreten. Aber auch erhoffte Therapien lassen noch auf sich warten. Deutsche Stammzellforscher fordern: Lockert die forschungsfeindlichen Gesetze!
Embryonale und adulte Stammzellen
Embryonale Stammzellen sind Alleskönner, die sich noch in alle Organe des Körpers differenzieren können - Forscher sprechen von Pluripotenz. Man kann sie aus menschlichen Embryonen gewinnen, der Embryo wird dabei allerdings zerstört - ein ethisches Dilemma. Zwar gibt es auch im erwachsenen Körper so genannte adulte Stammzellen, die man - ethisch unbedenklich - gewinnen kann. Aus diesen lassen sich aber nicht mehr alle Gewebearten züchten, sie sind nur noch multi- und nicht pluripotent. Zudem sammeln sich im Laufe der Zeit Mutationen im Erbgut aller Körperzellen an. Sollte man also einmal in der Zukunft die Möglichkeit haben, aus adulten Stammzellen neues Gewebe zu züchten, wäre es dennoch immer nur so jung - und damit funktionstüchtig - wie das Erbgut der adulten Stammzelle.
Derzeit laufen in Deutschland 20 Forschungsprojekte mit humanen embryonalen Stammzellen. Am 9. Mai gibt es im Bundestag eine Anhörung - eine Mehrheit für eine Änderung des Stammzellgesetzes gilt aber als unwahrscheinlich.
Forschen unter strengen Auflagen
Seit Juli 2002 hat Deutschland eines der strengsten Gesetze weltweit, das die Forschung an embryonalen Stammzellen regelt. Das Stammzellgesetz, nach langem politischen Tauziehen endlich zustande gekommen, ist ein Kompromiss zwischen Menschenwürde und Forschungsfreiheit: Es verbietet die Herstellung embryonaler Stammzellen, gestattet deutschen Wissenschaftlern aber die Forschung an solchen Zellen. Allerdings unter Auflagen: Humane embryonale Stammzellen dürfen aus dem Ausland zu Forschungszwecken importiert werden, wenn diese vor dem 1. Januar 2002 erzeugt wurden. Mit dieser Stichtagsregelung sollte verhindert werden, dass deutsche Stammzellforschung einen Bedarf schafft, für den eigens menschliche Embryonen hergestellt und getötet werden müssten.
Nun, fünf Jahre später, machen deutsche Stammzellforscher Druck. Sie fordern eine Lockerung des seit je her umstrittenen Gesetzes. Mit denen vor dem Stichtag erzeugten Stammzellen kann man nicht mehr vorne mit forschen, glauben die Wissenschaftler: Zu alt, mit zu vielen Mutationen belastet und wahrscheinlich auch nicht mehr fähig, sich in alle Körperzellen verwandeln zu können. Damit wären diese embryonalen Stammzellen für die Forschung wertlos. Sollten sich die Voraussetzungen nicht ändern - so befürchten sie - würden immer mehr junge Forscher abwandern und Deutschland von der internationalen Forschung isoliert.
Stammzellkulturen stammen aus überschüssigen Embryonen
Im Oktober 2006 konzentrierte sich der Unmut der Wissenschaftler in einer Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Darin empfahl sie, die Stichtagsregelung abzuschaffen und den Import aller embryonalen Stammzellen ohne Beschränkungen zu gestatten - sofern sichergestellt sei, dass zur Produktion "überzählige" Embryonen verwendet und nicht eigens hergestellt wurden.
Dies habe eine umfangreiche Recherche ergeben, die die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages in seinem Auftrag durchgeführt hatten. Dazu wurden wissenschaftliche Datenbanken und Fachliteratur ausgewertet, die den gegenwärtigen Stand der Forschung mit embryonalen und adulten Stammzellen sowie Stammzellen aus Nabelschnurblut wiedergibt.
Weltweit gibt es mittlerweile rund 500 verschiedene Kulturen humaner embryonaler Stammzellen. Anna Wobus vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung hat die Linien ausgewertet. "Wir haben keine Hinweise, dass Embryonen auf anderem Wege als nach künstlicher Befruchtung gewonnen und eingesetzt wurden."
Das deutsche Stammzellgesetz
Am 1. Juli 2002 trat das "Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz)" in Kraft. Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen für hochrangige Forschungsziele sind nur erlaubt, wenn Stammzellen verwendet werden, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden. Forscher, die sich nicht an diese Auflagen halten, machen sich strafbar - auch im Ausland. Heikel, denn viele deutsche Stammzellforscher gehen gerade aufgrund der strengen Regelungen ins Ausland, um dort forschen zu können.
Weil eine künstliche Befruchtung meist nicht auf Anhieb gelingt, werden für eine Behandlung mehrere Eizellen befruchtet und tiefgefroren aufbewahrt. In Deutschland ist die Erzeugung von Embryonen durch das Embryonenschutzgesetz streng geregelt. Überschüssige Embryonen dürfen hierzulande nicht produziert werden. Im Ausland ist der Umgang mit Embryonen bei der künstlichen Befruchtung wesentlich laxer: Nicht mehr benötigte Embryonen werden entweder auf Eis gelegt oder einfach weggeworfen.
Künstliche Befruchtung produziert viele überschüssige Embryonen
Die Zahl der durch künstliche Befruchtung überschüssig erzeugten Embryonen ist gewaltig: Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2003 berichtet von 400.000 nicht mehr benötigten Embryonen alleine in den USA. So sehen sich die Stammzellforscher zu Unrecht zur Verantwortung gezogen:
"Wir Stammzellforscher müssen den Kopf dafür hinhalten, was die IVF produziert", sagt Hans Schöler, Direktor am Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster. Die Argumentation der Kritiker der Stichtagsregelung lautet: Grund für die Stichtagsregelung war die Sorge, dass Embryonen für die Forschung sterben müssen. Diese Sorge hat sich als unbegründet erwiesen. Kein Embryo musste für die Stammzellforschung sterben. Stattdessen sterben Embryonen ohnehin - als Überbleibsel der IVF. Diese Argumentation lässt Hubert Hüppe nicht gelten: "Auch ein von der IVF überschüssiger Embryo verliert doch nicht seine Menschenwürde."
Doch womöglich könnte sich die ganze Debatte irgendwann von selbst erledigt haben. Hans Schöler sieht Auswege aus dem ethischen Dilemma: Aus Nabelschnurblut oder Fruchtwasser lassen sich Stammzellen gewinnen, die womöglich genauso potent sind wie embryonale. Erste Ergebnisse mit diesen Zellen sind hoffnungsvoll, und eine deutsche Firma, die das Einfrieren von Nabelschnurblut als Dienstleistung anbietet, geht bald an die Börse.
Lässt sich einmal jede Körperzelle reprogrammieren?
Vielleicht aber wird man die Sache eines Tages noch viel eleganter lösen: Forscher sind auf der Suche nach Faktoren, mit denen sich beliebige Körperzellen genetisch so "reprogrammieren" lassen, dass sie sich wieder in alle Gewebearten verwandeln lassen. Vier Reprogrammierungsfaktoren wurden schon entdeckt.
Doch eventuell handelt man sich mit der Reprogrammierung noch gravierendere Probleme ein: Wenn sich tatsächlich einmal aus jeder Zelle des Körpers nicht nur alle Gewebetypen, sondern sogar ein völlig neuer Organismus entwickeln ließe, müsste auch jede Zelle des Körpers, von der Nerven- bis zur Schleimhautzelle, unter Schutz gestellt werden - als potenzieller Embryo.
Artikel vom 26. März 2007