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Schnellchen
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Diesen Artikel hat Barbara in der WELT gefunden:


Vom Los der Kinderlosen

Das restriktive deutsche Embryonenschutzgesetz erschwert die Erfolge durch
künstliche Befruchtung - Debatte

Von Kathrin Spoerr

In keinem Industrieland der Welt wird ungewollt kinderlosen Paaren so schlecht geholfen
wie in Deutschland. Dies veranlasste den österreichischen Reproduktionsmediziner H. W.
Michelmann zu folgendem Satz: "Die Schwangerschaftsraten pro Embryotransfer sind in
Deutschland so unbefriedigend, dass ernsthaft darüber nachgedacht werden muss, ob es
noch zu verantworten ist, Kinderwunschpaare in Deutschland zu behandeln." Behandeln
heißt in der Regel In-vitro-Fertilisation (IVF), also die Befruchtung der weiblichen Eizelle
außerhalb des Körpers und die Rückgabe einer befruchteten Eizelle direkt in die
Gebärmutter.

Fünfzehn Prozent aller Paare sind Schätzungen von Ärzten zufolge ungewollt kinderlos.
Fast allen ist inzwischen mit den Methoden der Reproduktionsmedizin zu helfen. So
liegen die Erfolgsraten in den USA bei 60 bis 70 Prozent pro Embryotransfer. Bei
Wiederholung steigt die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit noch mehr. In Deutschland
jedoch stagnieren die Erfolgsquoten bei etwa 20 Prozent. Bei den kassenfinanzierten vier
IVF-Wiederholungen wird eine kumulierte Schwangerschaftswahrscheinlichkeit von
gerade 50 Prozent erreicht.

Diese frappierende Diskrepanz liegt indes nicht daran, dass deutsche Ärzte die
IVF-Technik nicht verstünden. Schuld ist das geltende Embryonenschutzgesetz (in der
Schweiz ähnlich lautend und auch mit vergleichbar niedriger Erfolgsquote). "Das deutsche
Embryonenschutzgesetz erschwert eine optimale Behandlung der Paare", kritisiert der
Berliner Reproduktionsmediziner Heribert Kentenich.

Tatsächlich werden in deutschen Kinderwunschpraxen Frauen systematisch Embryonen
eingesetzt, die keine Chance haben, sich zu einem Baby zu entwickeln. Warum? Das
Embryonenschutzgesetz verbietet es, mehr als drei Eizellen pro Zyklus einer Frau zu
befruchten, und genau diese müssen in den Uterus zurückgegeben werden - unabhängig
von ihrem Entwicklungspotenzial. Aber nur etwa jede zehnte befruchtete Eizelle hat das
morphologische Potenzial, sich zu einem Menschen zu entwickeln. Das ist die Ursache
der hohen Misserfolgsrate. Im Ausland werden mehr Eizellen befruchtet; nach einer
Beobachtungszeit kann der Arzt genauer sagen, welcher Embryo geeignet ist. Nur solche
werden zum Transfer in den Uterus ausgewählt.

Mit hohem ethischen Anspruch verbietet das deutsche Embryonenschutzgesetz, unter
befruchteten Eizellen eine Auswahl zu treffen. Zu schützen ist der Embryo vor Forschern
(Stammzellenforschung), aber auch vor seinen eigenen Eltern
(Präimplantationsdiagnostik). Ziel der Forscher ist die Heilung von Krankheiten. Ziel der
Eltern ist ein gesundes Kind. Beide Ziele sind gesellschaftlich konsensfähig und ethisch
unbedenklich. Allerdings gilt jedes Hantieren mit Embryonen außerhalb des weiblichen
Körpers als Einfallstor für "verbrauchende" Forschung und für Selektion unperfekten
Lebens. Die Gesellschaft wandelt hier auf dem schmalen Grat zwischen
Heilung/Gesundheit und Tötung.

Es war also notwendig, dass der Gesetzgeber die Mittel definierte, welche zum Erreichen
der legitimen Ziele von Eltern und Forschern erlaubt und welche verboten sein sollen. Die
Definition der Mittel lieferte 1990 das Embryonenschutzgesetz. Ähnliche Gesetze gibt es
in allen Industrieländern. Doch schießt das deutsche Gesetz weit über das Ziel hinaus:
Die theoretische Absicht, dem Embryo maximalen Schutz zu gewähren, zeitigt in der
medizinischen Praxis zweierlei Folgen: Das Entstehen von Leben wird behindert, die
Gesundheit werdender Mütter wird beeinträchtigt. Das abstrakte Schutzbedürfnis der
befruchteten Eizelle steht hier dem recht konkreten Schutzbedürfnis der Frau gegenüber,
und der Gesetzgeber hat sich entschieden, den Schutz eines Embryos über den der Frau
und deren körperliche Unversehrtheit zu stellen. Die schlechteren Erfolgsquoten führen
dazu, dass die mit belastenden Eingriffen verbundenen Behandlungen mehrfach
wiederholt werden müssen.

Zugleich verhindert die strikte deutsche Regelung, was sie zu schützen vorgibt: das
Entstehen von Leben. Das Verbot, bei der IVF diejenigen Embryonen auszuwählen, aus
denen tatsächlich ein Mensch entstehen kann, verhindert jährlich zigtausendfach das
Entstehen IVF-unterstützter Schwangerschaften - und die Geburt von Kindern. Mit dem
Schutz des Embryos ist das wohl kaum zu rechtfertigen. Denn dieser Schutz würde zum
genauen Gegenteil dessen zwingen, was das Embryonenschutzgesetz vorschreibt:
Auswahl ausschließlich der lebensfähigen Embryonen.

Der Gesetzgeber verbietet es einerseits, vor dem Transfer des Mehrzellers in den
Mutterleib das Erbgut des Embryos auf Schädigungen zu untersuchen. Er stellt es
andererseits der Frau allein frei, eine bestehende Schwangerschaft - sei sie in vitro oder
in corporae entstanden - bis ins hohe Stadium hinein abzubrechen, wenn eine pränatale
Untersuchung denselben Befund zeigt. Dies mag man widersprüchlich und zynisch
finden. Es offenbart aber mehr. Dass die Schutzmechanismen, die der Staat seinen
Bürgern gewährt, nicht aufeinander abgestimmt sind: Der drei oder fünf Monate alte Fötus
zählt weniger als der Vierzeller. Der Wille der abtreibungswilligen Frau steht höher als der
Wille der Frau mit Kinderwunsch. Der Arzt, der eine Abtreibung vornimmt, steht unter
geringerem ethischen Druck als der Reproduktionsmediziner.

Es ist heute nicht mehr klar zu sagen, ob dies 1990 die Absicht des Gesetzgebers war.
Klar ist, dass deutsche kinderlose Paare dem diffusen Schutzkanon ihres Staates nicht
auf Dauer ausgeliefert sein wollen. Bleibt der Erfolg hier zu Lande aus, steht die Reise
nach Österreich, Italien, Holland oder Amerika offen. Die dortigen Kliniken haben die
Deutschen als Kundengruppen erkannt und tun - von der Internet-Beratung bis zur
Anfahrtsbeschreibung - alles, um den Paaren den Aufenthalt im Ausland so kurz und so
erfolgreich wie möglich zu gestalten.


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Erscheinungsdatum: 22. 08. 2001


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Schnellchen
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Beitrag von Schnellchen »

Hier noch etwas, was ich im Focus gefunden habe. Prof. Dr.Dr. Würfel ist ein anerkannter Reproduktionsmediziner aus München... Ich denke mal, es könnte hilfreich sein, wenn man sich mit dem mal in Verbindung setzt.


Focus Magazin vom 25.06.01

Titel: Neue Chance für Embryonen

Vorspann: Fortpflanzungsärzte in Deutschland fordern mehr Rechtssicherheit für den Einsatz neuer Verfahren bei der künstlichen Befruchtung


Text: FOCUS: Reproduktionsmediziner von fünf führenden Fachgesellschaften fordern jetzt erstmals geschlossen ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz. Dieses soll unter anderem die Adoption von Embryonen rechtlich regeln. Warum setzen Sie sich dafür ein?


Würfel: Eine umfassende moderne Rechtsprechung, die auch die Bedürfnisse von Paaren mit Kinderwunsch ernst nimmt, ist längst überfällig. Schließlich erfasst das Embryonenschutzgesetz von 1991 einige Bereiche der Reproduktion nur sehr mangelhaft und lässt vielerlei Wildwuchs zu. Wir halten die Präimplantationsdiagnostik in einigen Fällen für segensreich, schließen uns aber den restriktiven Vorgaben der Bundesärztekammer an.


FOCUS: Wie stehen Sie zum Vorwurf der Selektion von Leben durch die Präimplantationsdiagnostik?


Würfel: Schon heute geschehen jährlich viele Tausend Schwangerschaftsabbrüche aus genetischen Gründen - weil das Kind behindert wäre. Wenn das keine Selektion ist, was dann? Wer heute am Fortbestand des strikten Embryonenschutzgesetzes festhält, argumentiert doch fadenscheinig und ethisch doppelbödig. Dabei scheinen gerade jene Politiker die hehre Moral entdeckt zu haben, die damals den Paragraf 218 so stark liberalisierten, dass heute unter praktisch allen Bedingungen und zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft ein Abbruch möglich ist. Auch bei der "Pille danach" und bei der Spirale wird die Verfügbarkeit des frühen entstehenden Lebens längst akzeptiert.


FOCUS: Was muss ein neues Gesetz noch klären?


Würfel: Wir könnten heute den jährlich immerhin 250 000 Paaren mit Kinderwunsch in Deutschland viel effektiver zu Nachwuchs verhelfen, aber nach dem bisherigen Gesetz sind uns die Hände gebunden. Im Moment liegen wir bei 20 Prozent Schwangerschaftswahrscheinlichkeit bei jeder künstlichen Befruchtung. 60 Prozent wären möglich, wie die klinische Praxis etwa in Österreich oder Belgien belegt.


FOCUS: Wodurch könnten Sie höhere Erfolgsraten erzielen?


Würfel: Im Moment dürfen in Deutschland legal nur drei Eizellen pro Behandlungszyklus befruchtet werden. Doch von zehn Embryonen entwickeln sich nur etwa zwei so regelrecht weiter, dass sie es zum Kind schaffen. Dürften wir mehr Eizellen befruchten und abwarten, welche von ihnen zu besonders regelmäßigen Embryonen heranwachsen, könnten wir die Chance auf eine Schwangerschaft wesentlich steigern.


FOCUS: Zu welchem Preis?


Würfel: Im Einzelfall könnten dabei Embryonen übrig bleiben. Was machen wir mit denen? Eine Antwort sehen wir in der Embryonenadoption. Wenn man in Deutschland den Embryo schon so stark schützt und ihm Menschenwürde zubilligt, dann soll er auch leben.

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