2 oder 3 Embryonen?

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Chrischn
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2 oder 3 Embryonen?

Beitrag von Chrischn »

Hier ein interessanter Artikel, den ich gefunden habe und der bei der Entscheidungsfindung eventuell hilfreich sein könnte:

in der FachZeitschrift "Geburtshilfe und Frauenheilkunde"
Vom Kinderwunsch zur Drillingswirklichkeit
Aus der Sicht von Müttern
(GebFra Bd.61, 1014-1015, 2001)


Wir kennen sie: Frauen, deren Drillingsschwangerschaft vorzeitig endete; glückliche Mütter und Väter, deren gesunde Drillinge die risikoreiche Frühgeburt gut überstehen und aufholen konnten; Familien, die lebenslang mit Behinderungen ihrer Drillinge leben müssen; Erwachsene, die es toll finden, Drillinge zu sein, wie z. B. meine Söhne; Eltern, die psychisch, physisch und ökonomisch kaum mit ihrer Situation fertig werden; Familien, die in besten wirtschaftlichen Verhältnissen leben, wo "alles kein Problem " ist.
Kinderwunschpaare können sich die bunte Drillingswirklichkeit nicht vorstellen. Trotz ärztlicher Aufklärung über die Risiken der Schwangerschaft und Frühgeburt lassen sich viele Frauen drei Embryonen transferieren - in der Hoffnung auf e i n Kind.
Der " Schock " folgt nach der Diagnose "Drillinge", und wenn der Arzt auf die Möglichkeit des Fetozids hinweist. Hier scheiden sich die Geister: Wer reduzieren lässt, fällt später als Zwillings- oder Einlingsmutter nicht auf. Niemand sieht, wie manche Frau im Stillen leidet. Ich vergesse den Satz nicht: "Die Medizin hat meinem Körper geholfen, aber meine Seele verkrüppelt". Die Frauen, die eine Reduktion ablehnen, die konsequent zu ihrer Entscheidung für drei Embryonen stehen, haben es später mit Drillingen nicht leicht in einer Gesellschaft, die kalt sagt: " selber schuld! Das musste ja nicht sein! "

Im ABC-Club, der von mir 1982 gegründeten Drillingseltern-Selbsthilfe-Initiative, gibt es öfter Nachrichten wie die folgenden: " Lieber ABC-Club, wir sind jetzt in der 7. Woche schwanger mit Drillingen. Wir sind so glücklich! Wir wollten sowieso drei Kinder! Wo bekommen wir nun den Drillingskinderwagen? " Ein anderes Paar schreibt: " Wir haben uns vorgenommen, den bisherigen Lebensstil in keinster Weise durch die Drillingsgeburt zu verändern. "

Mich erschreckt die Ahnungslosigkeit. Die meisten Paare sind doch heute aufgeklärt! Trotzdem unterschreiben sie die Bitte um den Transfer von drei Embryonen auf dem gleichen Blatt, auf dem sie lesen: " Da eine Drillingsschwangerschaft erhebliche Risiken für Leib und Leben von Mutter und Kindern bedeuten kann, sollte diese unbedingt vermieden werden. " Doch wenn davor steht, dass mit einer Schwangerschaftsrate von 30-40% gerechnet wird, sofern entsprechend dem ESG bis zu drei Embryonen auf einmal übertragen werden, - wenn der Arzt für drei plädiert, weil bei den erzielten Schwangerschaften zwar 15-20% Zwillinge, aber "nur" 3-5% Drillinge erwartet werden - dann unterschreibt man - und der Arzt ist juristisch abgesichert.

Das Leben mit Drillingen zu Hause

Wie sieht das Leben mit Drillingen in der ersten Zeit zu Hause aus? Eine Nacht bringt anfangs kaum 4 Stunden mehrfach unterbrochenen Schlaf. Das Füttern und Wickeln der Säuglinge dauert 12-20 Stunden täglich, je nachdem, wie geübt eine Mutter ist, wie die Babys ihre Flaschen trinken, ob sie gestillt werden. Für Haushalt und Kochen bleibt keine Zeit, " Essen auf Rädern " aus der Großküche kann die Rettung sein. Für die Partnerschaft gibt es lange Durststrecken. Scheidungen sind nicht selten.

Für viele Einzelgeschwister ist die Geburt von Mehrlingen eine Katastrophe. Oft kommen erst in der Pubertätszeit Defizite aus Kindertagen als Verhaltensauffälligkeiten, Essstörungen oder andere verdeckte Depressionen zum Vorschein.

Es geht nicht ohne Hilfe

Für Mütter, die "nur" gesunde Drillinge ohne Einzelgeschwister haben, ist die Situation leichter: Sie können sich auf die Bedürfnisse einer einzigen Altersgruppe einstellen, Schlafdefizite evtl. nachholen. Trotzdem geht es nicht ohne Hilfe in den ersten Jahren, sonst drohen mütterliche Zusammenbrüche - bis hin zu Aufenthalten in der Psychiatrie.

Aber - woher das Geld für Hilfskräfte nehmen? Wer es nicht hat, muss ein Netz von Verwandtenhilfe organisieren. Der " Staat " als Geldgeber springt nur bei Sozialfällen ein. Krankenkassen bezahlen große Summen zur Behandlung von Sterilitätsproblemen, aber kaum Hilfe für Mütter mit Drillingen.

Je früher die Geburt, desto schwieriger

Besonders schlimm sind die Probleme der kleinsten Frühgeborenen, die mit Geburtsgewichten um 500g überleben. Für alle "Frühchen" gilt: Je länger sie Intensivpflege brauchen, desto schlechter sind die Prognosen. Ca. ein Drittel aller Drillinge leidet an Entwicklungsstörungen. Bei Kindern mit kurzer Intensivbetreuung können durch konsequentes Trainieren der Motorik, der kognitiven und der sozialen Fähigkeiten Schäden gebessert oder behoben werden. Deshalb turnen viele Eltern täglich mit ihren Kindern nach Techniken von Bobath- oder Vojta. Viele Schäden werden erst durch Lernstörungen in der Schulzeit bemerkt.

Lebenslange Behinderungen

Nicht wenige Eltern müssen lebenslang mit Behinderungen ihrer Kinder leben und sich auf immer neue Operationen einstellen, z.B. bei Hirnproblemen mit dem Shunt. Ein Beispiel: Eine Frau bekam 10 Wochen zu früh Drillinge, jedes wog um 1200 g. Es gab Schwierigkeiten mit der Beatmung und Hirnblutungen. Als die Kinder 5 Jahre alt waren, schrieb mir die Frau folgendes: " Lisa ist Spastikerin, kann krabbeln, ist geistig voll fit, kann reden, selbständig essen und pinkeln. Oliver ist Spastiker, kann robben, hat Hydrozephalus mit Shunt, beherrscht wichtige Wörter, wird als geistig behindert eingestuft, hat 18 Operationen hinter sich. Thomas ist körperlich topfit, schwerhörig, redet verwaschen und lebt tagsüber in einem Heim für Schwerhörige. Wenn ich die Berichte anderer Drillingsmütter im ABC-Report lese, habe ich das Gefühl, nicht dazuzugehören. Warum trauen sich so wenige Familien mit behinderten Kindern, ihre Berichte weiterzugeben? Weil wir das tolle Gefühl, gesunde Drillinge zu haben, nicht kennen - weil wir keine stolzen Eltern sind? Weil wir uns schämen, " gestörte, entstellte " Kinder zu haben? Ich wünsche mir Kontakt zu Eltern mit mehreren behinderten Kindern, zu Eltern, die dadurch in eine Ehekrise gekommen sind. Der Austausch gäbe mir Auftrieb in Stunden der Verzweiflung. Alle meine Kinder, jedes für sich allein, habe ich in mein Herz geschlossen; ich liebe richtig meine Kinder. Aber ich merke oft, alle auf einmal, das steigt über meine Grenzen. "



"Blind vor Kinderwunsch"

Fragt man Drillingsmütter nach Jahren, wie sie rückblickend zu ihrer Sterilitätsbehandlung stehen, sagen viele: " Ich würde alles wieder genauso machen! "Ihren Töchtern wünschen sie auf keinen Fall die gleichen Erfahrungen, sondern raten zur Vorsicht. Stellvertretend für viele andere hier das Zitat einer Mutter:
" Wir sind sehr stolz und glücklich über unsere gesunden Drillinge. Was das heißt, gesunde Drillinge zu haben, wird uns immer bewusster. Als wir uns zur IVF entschlossen, wurden wir über die Risiken aufgeklärt. Aber - ehrlich - wir haben sie gar nicht ernst genommen, weil wir blind waren vor Kinderwunsch!



Verdrängung ernst nehmen

Bei der Aufklärung durch den Arzt muss der Aspekt der Verdrängung bei den Kinderwunschpaaren außerordentlich ernst genommen werden, besonders vor der Entscheidung für den Transfer von zwei oder drei Embryonen. Es kommt darauf an, wie das Paar auf die Entscheidung vorbereitet wird - mit feed back und Bedenkzeit.

Wir, erfahrene Drillingsmütter, plädieren dafür,


· Hormontherapien nur bei Spezialisten zuzulassen;
·
· den IVF-Patientinnen die Drillingswirklichkeit deutlich zu schildern, evtl. mit unserer Hilfe,
·
· ihnen nebenstehende Fragen zum Überdenken mitzugeben;
·
· nicht mehr als zwei Embryonen zu transferieren, unabhängig vom Alter der Frau, denn der Fetozid ist keine Lösung - nur ein Austausch von Problemen.


Wir brauchen auch die Hilfe der Politiker: Eine Neufassung des Embryonenschutzgesetzes unter Einbeziehung des § 218, der Pränatal- und der Präimplantationsdiagnostik.

Helga Grützner
Strohweg 55, 64297 Darmstadt
ABC-Club e. V.,



Info

Punkte, die vor dem Embryotransfer bedacht sein sollten


Bin ich - ist mein Partner - stabil genug, die ungeheure Arbeitsbelastung zu tragen? Würde ich damit fertig werden, wenn meine Beziehung daran scheitern sollte? Werde ich damit fertig, meine Berufstätigkeit für die Kinder aufzugeben? Werde ich damit fertig, jedes persönliche Leben für Jahre zurückzustellen? Könnte ich mit evtl. Einfach- oder Mehrfachbehinderungen eines oder mehrerer Kinder leben? Könnte das mein Partner? Hätte ich die nötige familiäre Unterstützung? Könnten wir allein genügend Haushaltshilfe finanzieren? Kann ich den Zuwachs überhaupt finanzieren (größere Wohnung, Auto, Kleidung etc.)? Wie reagiere ich auf z.T. sehr ablehnende Reaktionen der Umwelt?
Viele Grüße
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** 11.07.2021 - klein-putz ist schon 20 Jahre alt! **
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