GKV / "schlechtes" Spermiogramm, aber nicht "

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RA Wagner
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GKV / "schlechtes" Spermiogramm, aber nicht "

Beitrag von RA Wagner »

Hier zur Info für die übrigen Teilnehmer des Forums der Inhalt meiner Rückantwort auf eine PN. Die persönlichen Angaben wurden anonymisiert. Die Fragesteller haben der Veröffentlichung im Forum zur Information der übrigen Teilnehmer ausdrücklich zugestimmt.

1. Sachverhalt
Verheiratetes Paar. Alter unter 40 Jahren. Die GKV hatte eine Kostenübernahme abgelehnt, da in den zwei Spermiogrammen die Gesamtmotilität (Gesamtanzahl der beweglichen Spermien) über 30 % lag. Konzentration war jeweils unter 3 Mio./ml. Die Progressivmotilität (WHO A) betrug 21 % bzw. 5 %.

2. Rechtliche Bewertung
Grundlage für eine Kostenerstattung der GKV sind die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (GBA) über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung. Diese regeln, wann eine GKV eine Kostenübernahme für eine Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) vornehmen muss. In Ziffer 11.5 der vorgenannten Richtlinie werden folgende Voraussetzungen aufgestellt:

„Für die Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) mit - gegebenenfalls intratubarem Embryo-Transfer (ET bzw. EIFT): männliche Fertilitätsstörung, nachgewiesen durch zwei aktuelle Spermiogramme im Abstand von mindestens 12 Wochen, welche unabhängig von der Gewinnung des Spermas folgende Grenzwerte – nach genau einer Form der Aufbereitung (nativ oder swim-up-Test) – unterschreiten.

Merkmal Indikationsbefund
Alternativ: Nativ / swim-up
Konzentration (Mio./ml) < 10 / < 5
Gesamtmotilität (%) < 30 < 50
Progressivmotilität (WHO A in %) < 25 < 40
Normalformen (%) < 20 < 20

Sind nicht alle Kriterien gleichzeitig erfüllt, so ist das entscheidende Kriterium die Progressivmotilität.
Sofern diese unter 15 % im Nativsperma oder unter 30 % im swim-up-Test liegt, so liegt eine Indikation für die Intracytoplasmatische Spermieninjektion vor. Die Beurteilung des Spermas hat nach den gültigen WHO-Vorgaben zu erfolgen.“

Voraussetzung für eine Kostenübernahme der GKV ist somit, dass alle vorgenannten Werte der Richtlinie unterschritten werden. Die mitgeteilten Spermienbefunde weisen hingegen eine Gesamtmotilität (Beweglichkeit aller Spermien) von über 30 % aus. Somit findet hier die Regelung Anwendung, dass das Kriterium der Progressivmotilität (WHO A) unter 15 % liegen muss. Dieses war jedoch nur in einem Spermiogramm der Fall. Voraussetzung ist jedoch, dass in zwei Spermiogrammen dieser Wert unterschritten wurde. Nach der Richtlinie liegen somit die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nicht vor.

Ein vergleichbarer Sacherhalt wurde im vergangenen Jahr von dem Bundessozialgericht (Urteil des BSG vom 21.06.2011 – B 1 KR 18/10 R) entschieden. Entgegen der vorherigen Instanz (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht) wurde entschieden, dass Versicherte gegen ihre Krankenkasse keinen Anspruch auf eine künstliche Befruchtung mittels ICSI haben, wenn die in den Richtlinien über künstliche Befruchtung festgelegten Grenzwerte nicht erfüllt sind. Gleichzeitig wurde die Rechtmäßigkeit der Richtlinie bestätigt.

3. Schlussfolgerungen
Die in der Richtlinie getroffene Einstufung der Progressivmotilität als entscheidendes Kriterium ist nach Einschätzung von Fachleuten zweifelhaft, da insbesondere bei sehr geringer Spermienkonzentration trotzdem eine hohe prozentuale Progressivmotilität gegeben sein kann.

Werden beispielsweise nur 10 Spermien gewonnen und sind davon 3 Spermien progressiv beweglich, so ergibt sich nach der Statistik ein Wert von 30 % mit der Folge, dass – obwohl eine ICSI-Behandlung notwendig wäre – die Richtlinie eine Kostenübernahme ausschließt.

Ob eine Änderung der Richtlinie des GBA vor dem Hintergrund der aktuellen Vorgaben der WHO (www.aerzteblatt.de/nachrichten/50116) erfolgen wird, ist unklar. Bis zu einer Änderung der Richtlinie wird die GKV jedoch die aktuelle Richtlinie für ihre Entscheidung zugrunde legen.

Ergebnis ist somit, dass die Werte der Spermiogramme für eine erfolgreiche Behandlung ohne ICSI zu „schlecht“ waren; aber für eine Kostenübernahme bei der GKV zu „gut“.
Die erteilte Auskunft kann eine Rechtsberatung unter Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht ersetzen. Es handelt sich somit nur um eine vorläufige erste Einschätzung. Für eine verbindliche Rechtsauskunft fragen Sie bitte hierzu einen Rechtsanwalt Ihrer Wahl. Aktuelle Meldungen und Urteile (News) zum Kinderwunschrecht sowie zu meiner Person unter www.ra-kinderwunschrecht.de
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