Blutsbande - Christina von Braun

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rebella67
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Blutsbande - Christina von Braun

Beitrag von rebella67 »

Christina von Braun: „Blutsbande – Verwandtschaft als Kulturgeschichte“

Hier ist eine Ankündigung des Buches, das dieser Tage erst herausgekommen ist:

https://www.zdf.de/kultur/kulturzeit/bl ... e-104.html

Die Kulturwissenschaftlerin findet in der Auseinandersetzung mit dem Thema "Blutsbande" heraus: "Wir müssen Familie neu denken." und "Entweder die moderne Gesellschaft wird auf sozialen Verwandtschaftsverhältnissen beruhen oder sie wird nicht sein."

Und: "Ein Verständnis, das Verwandtschaft mit Blutsverwandtschaft gleichsetzt, ist ein Spezifikum westlichen Denkens."
Zuletzt geändert von rebella67 am 28 Sep 2018 10:56, insgesamt 1-mal geändert.
Liebe Grüße, Rebella
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free
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Beitrag von free »

sehr spannend und interessant das thema.danke für den tipp rebella.eigentlich ist die eizellspende noch näher an der genetischen verwandschaft als die sammenspende,bedingt der epigenetik. trotzdem wird sie verhement abgelehnt.aber folgt man den gedanken in diesem buch,ist das gut nachvollziehbar.es vermischt sich im wahrsten sinne des wortes durch das blut ,die eigene dna mit der fremden.sehr zu empfehlen dieses buch :prima:
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rebella67
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Beitrag von rebella67 »

„Patchwork, Homo-Ehe, In-vitro-Fertilisation – was die einen als Untergang des Abendlandes bezeichnen, ist für andere eine Öffnung unserer Konzepte von Liebe, Beziehung und Familie. Christina von Braun, eine der renommiertesten Kulturwissenschaftlerinnen des Landes, blickt weit in die Geschichte zurück, um zu erklären, wie sich unsere Vorstellungen von Verwandtschaft entwickelten. Ihr neues Grundlagenwerk wird unseren Blick auf die Gegenwart verändern.“ (Kommentar von Deutschlandradio Kultur unter dem Titel: „Ein intellektueller Genuss“)

Weitere Kommentare und Pressestimmen zu diesem Buch findet ihr u.a. hier: http://www.aufbau-verlag.de/blutsbande.html


Ich habe dieses rund 500 Seiten umfassende Buch gelesen, um mein Wissen über die Zusammenhänge zwischen der Geschichte und der heute teilweise immer noch bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Bevormundung bei der Familiengründung zu erweitern. Dabei bin ich auf sehr viele erhellende Fakten gestoßen. Wenn wir etwas in den Köpfen von Politikern und von unseren Mitmenschen verändern wollen, sollten wir uns der historischen Entwicklung bewusst sein und vielmehr noch: Wir sollten die, die wir davon überzeugen wollen, dass wir ein Recht auf Selbstbestimmung über unsere Familiengründung haben, mit der Geschichte und damit mit den Wurzeln ihrer konservativen Überzeugungen konfrontieren.


Um dies besser zu ermöglichen, möchte ich hier in der nächsten Zeit die aus meiner Sicht wichtigsten Erkenntnisse zur Erreichung des oben formulierten Ziels zusammenfassen:

1. Die Geschichte der Bevormundung bei der Familiengründung
2. Wie hängen heutige konservative Auffassungen zur Verwandtschaftsbegründung noch mit der Geschichte zusammen?
3. Alternative Anschauungen zur Verwandtschaft und Fortpflanzung
4. Versäumnisse der Psychoanalyse

Zu den o.g. Fragen kann ich hier allerdings nur einen Bruchteil des Ganzen abbilden. Wer umfassender informiert sein will, sollte unbedingt das Buch lesen. Es ist in jedem Fall eine Horizonterweiterung.
Zuletzt geändert von rebella67 am 28 Sep 2018 23:17, insgesamt 4-mal geändert.
Liebe Grüße, Rebella
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rebella67
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Beitrag von rebella67 »

1. Zur Geschichte der Bevormundung bei der Familiengründung

gehört bereits Platons Entwurf von Fortpflanzungsregeln, die von einem Zuchtgedanken geprägt waren - „Basis eines gesellschaftlichen Entwurfs, in dem der Staat, gewissermaßen ein geistiger Vater, zum Erzeuger des Nachwuchses wird. In seiner Politea heißt es: <<Es müssen je nach dem Zugegebenen die besten Männer den besten Weibern möglichst oft beiwohnen, und die schlechtesten Männer den schlechtesten Weibern möglichst selten, und die Kinder der einen muss man aufziehen, die der anderen aber nicht, wenn die Herde möglichst vorzüglich sein soll, und alles dies muss geschehen, ohne dass es jemand außer den Regierenden selbst bemerkt.>>“

Platons Schüler Aristoteles in „Über die Zeugung der Geschöpfe“: Darin „heißt es, dass der männliche Same <<von oben her>> komme. Er sei zwar nicht die Seele, aber er sei <<beseelt>> durch <<eine von außen eingedrungene Vernunft>>, die einen immateriellen <<Urstoff der Himmelskörper>> darstelle und göttlich sei. Die Tatsache, dass Frauen überhaupt geboren werden, führte Aristoteles darauf zurück, dass sich der <<beseelte Same>> in vielen Fällen nicht ausreichend gegen die <<Materie>> , also das Irdische, durchsetzen könne und so der Lebensquell <<sich geschlagen geben muss, bevor er die Entwicklung bis zur eigenen Art fördern>> kann.“ – „Wenn man will“, so schreibt Christina von Braun, „kann man [in Aristoteles´Theorie vom unbewegten Beweger] „eine griechische Variante des Monotheismus sehen.“, Aristoteles präfiguriert Christus.

Bei Platon, Aristoteles und anderen Aristokraten ist Bildung angeboren und es gibt unterschiedliche Wertigkeiten von Menschen (z.B. von Mann und Frau, aber auch von Klassen). Bereits bei Platon gab es auch unterschiedliche Gebote und Verbote von Inzest.

Bereits das römische Recht hat Männer und Frauen, die keine Ehe eingingen, unter Strafe gestellt. Die biologische Fortpflanzung gehörte zu den Pflichten des Bürgers gegenüber der Gemeinschaft. Unverheiratete mussten eine Buße entrichten.

Die Ideen aus der griechischen Antike flossen ebenso wie das Judentum in das Christentum ein. Das Christentum brachte den Menschen eine Vielfalt von Vorschriften in Bezug auf ihre Fortpflanzung. Bisher waren Sexualität und Fortpflanzung zum Erhalt der Gemeinschaft da. Im Christentum wird eher die geistige Fortpflanzung angestrebt, die Überwindung der Leiblichkeit, die Enthaltsamkeit.

In Schriftgesellschaften, in denen der Körper durch den Geist beherrscht werden soll, geht es um „Mäßigung“, „Besonnenheit“, „Tugend“.

Die Vorschrift der strengen Monogamie war u.a. auf die Unsicherheit der Vaterschaft zurückzuführen, aber auch darauf, dass die Kirche Vermögen anhäufen wollte (bzw. hatte sie damit ja auch in vielfacher Weise Erfolg). Wer nicht wieder heiratete, vererbte sein Vermögen häufig der Kirche. Es kam dadurch zu einem beträchtlichen Vermögenszuwachs bei der Kirche. Zudem sollte mit dem Monogamiegebot eine Vermischung mit den Blutslinien aus anderen Religionen verhindert werden. Die Ehemetapher diente der Verfestigung der Bünde zwischen Gott und seiner Religionsgemeinschaft.

Die geistige Fortpflanzung galt als wahre Form der Reproduktion. Bereits 306 u.Z. verfasste das Konzil von Elvira 34 Lehrsätze zu Fragen der Ehe und des sexuellen Verhaltens. Die Vorschriften waren insbesondere an Frauen gerichtet. Kirchliche Normen wurden durchgesetzt und allmählich verinnerlicht. Über die Jahre entwickelte sich die Vorstellung, diese Regeln wären naturgegeben und es gäbe kein Recht auf individuelles Bestimmen in vielen Fragen in Bezug auf Sexualität und Fortpflanzung. Frauen, die sich der Familie und der Fortpflanzungspflicht entzogen, galten als Gefahr. Das war eine unbotmäßige Willensfreiheit.

Frauen wurde ab dem 15. Jh. das Erbrecht entzogen. Auch uneheliche Kinder verloren ihr Erbrecht. Witwen durften nicht wieder heiraten. Inzestverbote, die nicht nur biologisch begründet wurden, sondern auch sozial, Adoptionsverbote, das Scheidungsverbot – all das war auf die Gier der Kirche nach dem Vermögen der Betreffenden zurückzuführen.

Der Schwangerschaftsabbruch wurde praktiziert, der Kindsmord wurde stillschweigend von der Kirche geduldet. Es entstanden Einrichtungen zur Aufnahme von Findelkindern, in denen viele Kinder bereits im Säuglingsalter starben. Das Kindeswohl wurde damit zunehmend als Aufgabe der Öffentlichkeit begriffen. Väter konnten sich aus der Verantwortung stehlen, denn die Kirche sorgte für die Kinder. Die unter moralisch verwerflichen Umständen lebenden Mütter mussten ihren eigenen Nachwuchs ins Heim geben. Es kam aufgrund der kirchlichen Versorgung zu einem Geburtenrückgang.

„Das christliche Familienrecht diente der Etablierung und Erhaltung der Kirche als einer gesellschaftlichen Großorganisation.“

Es gab eine Trennlinie zwischen Adel und Nichtadel. Für den Adel gab es ein Inzestgebot. Die Kirche war daran interessiert. Es kam zu einer Verkettung adliger Blutslinien mit kirchlichen Machtpositionen, zu einem „ausgeklügelten, das Leben des Einzelnen weit überschreitenden System der Verwandtschaftsplanung“, einem „praktisch unentrinnbarem System individueller Unterordnung“. Die männlichen Erstgeborenen bekamen darin die Pflicht der Fortpflanzung und wurden innerhalb der Familie verheiratet, damit das Familienvermögen zusammengehalten werden konnte. Weitere Kinder durften keine Familie gründen und bekamen oft kirchliche Ämter. Somit gab es für die einen eine Fortpflanzungspflicht mit vorbestimmten Partnern, für die anderen ein Fortpflanzungsverbot.

Die „überschüssigen“ Töchter adliger katholischer Familien wurden ins Kloster geschickt. Die der evangelischen Familien wurden Gouvernanten, Lehrerinnen, … usw. Sie hatten keine Option auf Familiengründung und wurden selbstverständlich auch nicht danach gefragt. Die geistige Fortpflanzung galt als wahre Form der Reproduktion und war der Sexualität überlegen.

In bäuerlichen Familien hatte der Mann das Recht, im Fall des Ehebruchs die Frau totzuschlagen. In Deutschland galt das bis ins 18. Jahrhundert.

Die Unehelichkeit des Kindes wurde mit gefälschtem Geld verglichen. Die Ehrbarkeit der Frau war eine öffentliche Währung des Rufs.

Ein Topos der „reinen Mutterliebe“ entstand dadurch, dass Frauen als nicht Erbberechtigte als „ethisch Ermächtigte“ für die Erziehung ihrer Kinder begriffen wurden. Dem vorausgegangen war, dass Witwen zunächst das Erziehungsrecht an ihren Kindern verloren hatten und die Erziehung der Kinder zusammen mit dem Vermögen der Familie an einen Onkel väterlicherseits ging. Dieser Onkel hatte oft wenig Interesse an den Kindern, dafür aber mehr Interesse an dem ererbten Vermögen. Viele Kinder starben deshalb. Die Mütter protestierten und bekamen daher das Recht an der Erziehung der Kinder zurück, nicht aber am Vermögen.

Die Unauflösbarkeit der Ehe führte zu einem hohen Maß an Toleranz gegenüber ehelicher Gewalt und hatte sexuelle Untreue zur Folge. In protestantischen Familien, in denen die Mitgift früher entfiel, nahm die häusliche Gewalt oft zu.

1792 nach der französischen Revolution wurde die Scheidung zugelassen (und damals von 3mal so vielen Frauen wie Männern beantragt!) Der Unterschied zwischen ehelichen und unehelichen Kindern wurde vorübergehend aufgehoben. Im 19. Jahrhundert wurde Familienpolitik zur Staatspolitik. Viele Reliquien aus der Vergangenheit und der Bevormundung durch die Kirche wurden jedoch übernommen und weiterentwickelt, weil sie sich in das Denken so eingeprägt hatten, weil sie so sehr Teil der individuellen Gefühlswelt geworden waren, dass sie als naturgegeben erschienen/ erscheinen.
Zuletzt geändert von rebella67 am 28 Sep 2018 19:51, insgesamt 2-mal geändert.
Liebe Grüße, Rebella
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Beitrag von rebella67 »

2. Wie hängen heutige konservative Auffassungen zur Verwandtschaftsbegründung noch mit der Geschichte zusammen?

In vielen Gegenden wird Verwandtschaft als eine Mischung aus Nahrung, Fürsorge und Weitergabe kollektiven Wissens etabliert. „Mit der Vermarktung des Bodens setzte das christliche Europa auch einen Schlussstrich unter eine der wichtigsten bis dahin noch bestehenden sozialen Verwandtschaftsdefinitionen.“

Mitte des 19. Jh. entstanden Ethnologie und Antrophologie als Wissenschaften. Diese empfanden sich zwar als „frei von missionarischen Absichten, doch die Grundlagentexte, in denen sie antike oder fremde Kulturen interpretierten, waren von den Vorstellungen des christlichen Abendlandes durchdrungen. Einer der einflussreichsten Texte war Lewis Henry Morgans (1818 – 1881) im Jahr 1871 erschienenes Werk <<Systems of Consanguinity and Affinity in the Human Family>>“. Er behauptete „die universelle Gültigkeit des Modells der Blutsverwandtschaft. Er ging auch ganz selbstverständlich von Stammesvätern und einer Vaterlinie aus.“

„Die Schwierigkeit, sich der Erkenntnis zu stellen, dass Verwandtschaft durch ein Beziehungsgeflecht entsteht, hat viele Antrophologen dazu verleitet, den sozialen Verwandtschaftssystemen ein genealogisches Modell überzustülpen.“ Sie „unterschieden zwischen echten (biologischen) und fiktiven (sozialen) Verwandtschaftsverhältnissen, wobei den anderen Kulturen genau diese Verzerrung unterstellt wurde - in Umkehrung.“ Das genealogische Modell legt Menschen auf vorgeschriebene Existenzen fest, versperrt den Blick auf andere Modelle und erhebt sich über diese. So hat die westliche Gesellschaft es immer wieder versucht, ihr Konzept von Blutsverwandtschaft anderen Kulturen aufzuzwingen, z.B. bei der Kolonialisierung durch die Britten in Kenia. Zahlreiche andere Beispiele findet man im Buch.

Im Westen werden soziale Beziehungen durch Texte, Gesetz und Dokumente etabliert, nicht durch ein gewachsenes Beziehungsgeflecht.

„Der Glaube an die Blutslinie hat sich so tief in die emotionale Wahrnehmung des Westens eingeschrieben, dass sich viele adoptierte Kinder zwangsläufig auf die Suche nach ihren <<richtigen>> Eltern begeben.“


Christina von Braun beschreibt in ihrem Buch, wie der Abstraktionsschub des körperfernen Zeichensystems (Schrift) seine religiöse Entsprechung im Monotheismus fand. Es war nun der Glaube an einen abstrakten Gott möglich. Als „Wort Gottes“ konnte „die Schrift“ unwiderlegbar Gültigkeit erheben. Der Vater ist das Geistige, weil sich die Vaterschaft nicht feststellen lässt. Die Fähigkeit „Der Schrift“, zu befahren „erhebt ihren Wahrheitsanspruch.“ Der Gedanke der Transzendenz war die logische Weiterentwicklung einer Ermächtigung über die Natur.

Schriften generell schaffen „mentale, soziale und kulturelle Bedingungen, mit denen Menschen umzugehen haben.“

Die griechische und römische Kultur sind in das Christentum eingeflossen. Nach Aristoteles sind Eltern und Kinder dasselbe, nur in getrennten Wesen.

Die Genealogie der Zeichen wurde zur Grundlage des westlichen (griechisch-römisch-christlichen) Konzepts der Patrilinearität. Es beruht auf Tinte (Stammbaum, Amtsträgerschaft) und ererbtem Vermögen.

Dem Männlichen wurde die Kultur, dem Weiblichen die Natur symbolisch zugewiesen. Diese Vorstellungen gab es sogar noch bei S. Freud. (Dazu später unter Punkt 4] Die Mutterschaft ist durch das Zeugnis der Sinne erwiesen, während die Vaterschaft eine Annahme ist. Deshalb ist der Vater das Geistige.

Die Frage nach dem Blut kam und kommt vor allem dann ins Spiel, wenn es darum geht, den Aufstieg anderer Eliten zu verhindern. Bis ins 15. Jh. dienen Abstammungslinien insbesondere der Abgrenzung gegen andere. Statuen über die Reinheit des Blutes um 1500 hatten bewirkt, dass Konvertiten, die keine christliche Genealogie nachweisen konnten, von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen wurden. Ab dem 16. Jh. konnte z.B. nur noch Mitglied des Hohen Rates werden, wer eine Genealogie reinen Blutes nachweisen konnte, ab 1526 kam es sogar zur Beglaubigung des „guten“ adligen Blutes. Im Mittelpunkt des rassistisch geprägten Antijudaismus stand eine Ideologie, die die Angehörigen einer anderen Religion zu „Blutsfremden“ erklärte.

Das Bild einer christlichen Blutsverwandtschaft wurde immer tiefer im kollektiven Unterbewusstsein verankert, von den religiös begründeten dynastischen Ansprüchen bis zum endogamen Liebesideal des 19. Jh. – „Als es auch die widerständigsten sozialen Schichten erreicht hatte und zu einem kollektiven Phantasma geworden war, erübrigte sich sein transzendenter Bezug.“

Heute wird die DNA als Instrument benutzt, das Überleben der alten Blutsmetaphorik zu sichern.
Zuletzt geändert von rebella67 am 28 Sep 2018 20:00, insgesamt 2-mal geändert.
Liebe Grüße, Rebella
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Beitrag von rebella67 »

3. Alternative Anschauungen zur Verwandtschaft und Fortpflanzung

Verwandtschaftssysteme werden auf der Stufe des Unbewussten gebildet. Durch kollektive Prozesse wird die Psyche des Einzelnen beeinflusst und somit auch seine Auffassungen darüber, was akzeptiert werden kann und was nicht.

Die Blutsverwandtschaft ist „ein Spezifikum der westlichen Gesellschaft. Die Mehrheit der Welt geht nicht davon aus, dass sich Verwandtschaft durch Blutsbande konstituiert. Sie wird nach anderen Merkmalen definiert: gemeinsames Wohnen, die Nahrung teilen, sich von demselben Boden ernähren, zusammen arbeiten, zusammen leiden, Erinnerungen teilen, füreinander Verantwortung übernehmen“, sich „von ein und demselben Boden ernähren“.

In Madagaskar haben die Eltern kein absolutes Recht an ihren Kindern. Im Amazonas gilt die Gefühlswelt als natürlich, die Blutsverwandtschaft hingegen als künstlich. In Zombagua ist der Samen Nahrung und nicht generative Substanz, in der indigenen Kultur kennt man den Begriff „echte Verwandtschaft“ nicht. Dort hat jeder Erwachsene mehrere Arten von Eltern und Kindern. In Afrika gibt es fließende Verwandtschaftsmodelle und flexible Geschlechterrollen.

Die westliche Gesellschaft wollte anderen Völkern insbesondere zur Zeit der Kolonialisierung ihre Standards zivilisierten Lebens beibringen, deren Grundlagentexte von Vorstellungen des christlichen Abendlandes durchdrungen waren.

Dem genealogischen Modell steht das Modell der sozialen Verwandtschaft gegenüber.

Sexualität und Genealogie sollen im Judentum den Erhalt der Gemeinschaft sichern, im Christentum die geistige Fortpflanzung.

In Frankreich ist im Gesetzbuch „Code Civil“ nur noch von Elternteil 1 und Elternteil 2 die Rede. Dies können auch 2 Väter oder 2 Mütter sein sowie Menschen, die sich weder im weiblichen noch im männlichen Geschlecht verorten.
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Beitrag von rebella67 »

4. Versäumnisse der Psychoanalyse

Viele „Psy“-Berufe sind in ihrer Orientierung und Methodik selbst in den traditionellen Familiensystemen befangen, an denen viele ihrer Patienten leiden und aus denen diese sich zu befreien suchen. Es wird u.a. das Beispiel eines Psychiaters zitiert, der der Auffassung ist, die psychischen Folgen der IVF würden sich bei den Kindern erst in der 3. Generation zeigen.

Hingegen erkennt die Psychoanalytikerin Sylvie Faure: „ …Die Identität leitet sich vom Begehren der Eltern ab und nicht von der Verwendung der Keimzellen.“

S. Freud war in seinem Denkschema dem der Epoche verwoben, in der die Blutsverwandtschaft ihre letzte große Blüte erlebte.

„Gerade weil die Psychoanalyse ein Gegenstück zur <<medikalisierten Reproduktion>> ist, böte sie aber auch das Modell für die Weiterentwicklung sozialer Verwandtschaftsverhältnisse im westlichen Kulturraum. Das wird freilich dadurch verhindert, dass sie sich erstens am Individuum orientiert und zweitens am <<Familienroman>> der Blutsline festhält. Obwohl die Psychoanalyse eigentlich ein Gegenstück zur Genetik aufstellen könnte – soziale, kulturelle, sprachliche Verwandtschaft versus Blutsverwandtschaft – beharrt sie auf dem ödipalen Dreieck von Vater-Mutter-Kind.“

Wenn die Psychoanalyse „weiterhin von Relevanz sein will … so wird ihr nichts anderes übrig bleiben als sich des Potentials bewusst zu werden, das sie als Modell sozialer, sprachlicher, kultureller Verwandtschaftsdefinitionen bietet.“
Liebe Grüße, Rebella
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Beitrag von rebella67 »

Fazit:

Das deutsche Embryonenschutzgesetz, das z.B. die Eizellspende verbietet, die gesetzliche Regelung im SGB V, nach der reproduktionsmedizinische Behandlungen mit Samenspende gegenüber anderen reproduktionsmedizinischen Behandlungen schlechter gestellt werden, das juristische Gezerre um die Embryonenspende von PN-Stadien, die gerichtliche Traktierung von Familienberaterinnen, die ihren Klienten vielleicht Informationen zur Eizellspende im Ausland gegeben haben – alle haben eines gemeinsam: Sie sind Relikte aus längst vergangenen Zeiten, deren Ursprung auf Tatsachen zurückgeht, die heute nicht mehr unseren Wertvorstellungen entsprechen, die sich jedoch in den Köpfen vieler Menschen – und leider auch Politiker – als naturgegeben festgesetzt haben.

Mit einer Begründung, dass bei der Spende von fremden Spermien oder Eizellen niemand mehr weiß, ob die Spendenden denn auch derselben Religion angehören und nicht evt. „Blutsschande“ betrieben wird, kann heute niemand mehr punkten. Auch wäre es sehr befremdlich, wenn ein Bundestagsabgeordneter seine Stimmenabgabe gegen eine Kostenübernahme von Samen- oder Eizellspenden damit begründen würde, dass die betreffenden Wunscheltern lieber kinderlos bleiben sollten, um ihr Vermögen später der Kirche (oder dem Staat) zu vererben. Daher wird stets nach Ausreden gesucht, die gern als „Argumente“ für eine bestimmte Position herangezogen werden, die aber in Wirklichkeit keine Argumente sind.

Dies sollten wir uns und anderen bewusst machen. Nur so können wir dafür sorgen, dass die bestehenden Denkmuster aus den Köpfen unserer Zeitgenossen, die sich oft selbst nicht im Klaren sind, woher ihre Position eigentlich kommt, verschwinden.
Liebe Grüße, Rebella
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