Hier nun also mein Vorschlag für ein Antwortschreiben:
Sehr geehrter Herr Prof. Brähler,
wir freuen uns, daß Sie uns doch noch so ausführlich geantwortet haben. Wir begrüßen Ihren Beitrag zur Entpathologisierung ungewollt Kinderloser genauso wie Ihr geplantes Projekt zur Prävention ungewollter Kinderlosigkeit, denn mit Sicherheit ließe sich auf einem solchen bisher kaum praktizierten Weg die Anzahl der ungewollt kinderlosen Paare reduzieren. Wir haben uns auch mit einem solchen Anliegen bereits an das Familienministerium gewandt, bisher ohne Erfolg. Trotz alledem können wir nicht ignorieren, daß bei einem erheblichen Anteil der ungewollt kinderlosen Paare altersunabhängige Ursachen vorliegen. Und die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Nils Shakkebaek, der 1940 eine durchschnittliche Spermiendichte von 113 Mio/ml dokumentierte und 1990 nur noch 66 Mio/ml und von Pierre Jouannet, der feststelllte, daß die Spermiendichte gesunder Spender von 1973: 89 Mio/ml bis 1992 auf 60 Mio/ml sank, können wir nicht als ?falsches Argument? wegwischen.
Ich möchte gern noch auf ein paar Zahlen, die Sie genannt haben, eingehen. Zu der Erkenntnis, daß jede 3. Frau, die irgendwann ein Kind bekommen hat, länger als 1 Jahr
darauf warten musste, wäre es schön, wenn Sie mir dazu genauere Angaben machen könnten, am besten einen direkten Link zu der Studie. Ich finde nämlich im Netz immer nur Aussagen, die sich darauf beziehen, nicht aber die Studie selbst. Da diese Erkenntnis im großen Widerspruch zu der Studie: Time to pregnancy: results of the German prospective study and impact on the management of infertility; Gnoth C, Godehardt D, Godehardt E, Frank-Herrmann P, Freundl G.; Hum Reprod. 2003 Sep;18(9):1959-1966. steht, bei der ja ?nur? 10,4% der untersuchten Paare nach 12 Zyklen keine Schwangerschaft vorweisen konnten, hätte ich gern nähere Angaben zu dem Alter der Probandinnen der englischen Studie und dazu, ob diese wirklich in dem einen Jahr alle 12 Zyklen zum optimalen Zeitpunkt genutzt haben. Interessant wäre auch, ob die Kinder letzten Endes wirklich alle von dem Partner waren, mit dem die Frauen sich anfangs darum bemüht haben. Wie Sie richtig schreiben, kommt es immer sehr auf die begriffliche Abgrenzung an. ?Länger als 1 Jahr auf ein Kind warten? heißt nicht automatisch, daß sich alle diese Frauen auch stets intensiv darum bemüht haben. Häufig folgt der Entscheidung für ein Kind zunächst (zum Glück) eine Phase, in der die Paare die Entstehung dieses Kindes eher dem Zufall überlassen als sich z.B. mit nervenaufreibenden Temperaturmessungen und Ähnlichem um den Zeitpunkt des Eisprungs zu kümmern.
Ob nun die ungewollte Kinderlosigkeit nach ein oder zwei Jahren definiert werden sollte, sehe ich daher nicht als wichtigstes Kriterium an. Es kommt immer noch darauf an, wie intensiv sich jemand darum bemüht. Außerdem gibt es auch Fälle, bei denen von vornherein (so gut wie) klar ist, daß es auf dem natürlichen Weg nichts mit dem Nachwuchs wird, z.B., wenn handfeste Ursachen (z.B. verschlossene oder entfernte Eileiter, zu spät operierter Hodenhochstand oder bestimmte genetische Konstellationen) bereits festgestellt wurden oder nach einer Strahlenbehandlung. In solchen Fällen machen ein oder zwei Jahre Wartezeit keinen Sinn. Ob nun gerade in Deutschland die Grenze stillschweigend auf ein Jahr herabgesetzt wurde ? das glaube ich nicht. Umfangreiche Korrespondenzen mit anderen Betroffenen, speziell über die einschlägigen Internetforen, zeigen mir eher, daß viele Paare sehr lange, oft sogar mehr als zwei Jahre vergeblich versuchen Nachwuchs zu bekommen, ehe sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Ich meine auch, eine Grafik gesehen zu haben, bei der die Anzahl der Jahre ungewollter Kinderlosigkeit vor Beginn einer IVF oder ICSI dokumentiert war und daß nur ein verschwindend geringer Teil der Paare sich weniger als zwei Jahre vorher um Nachwuchs bemüht hat. Wenn ich dazu noch mal etwas finde, sende ich es Ihnen zu.
?Dass nur 3 % schließlich endgültig ungewollt kinderlos blieben? passt eher mit den anderen vorhandenen Daten zusammen. Wenn es bei 10% aller Paare nicht auf dem natürlichen Weg klappt, sich etwa 20% davon sowieso keine Kinder wünschen, bleiben noch 8%. Wenn man dann berücksichtigt, daß in Deutschland jedes Jahr etwa 40.000 ? 50.000 Kinder durch ärztliche Hilfe in irgendeiner Form entstehen und wenn man mal annimmt, daß auch solche Paare im Schnitt 1,4 Kinder (wie der deutsche Schnitt) bekommen, könnte man annehmen, daß so etwa 30.000 Paare vor ungewollter Kinderlosigkeit bewahrt werden, rund 6% der derzeitig in Deutschland lebenden Frauen im reproduktionsfähigen Alter. Wenn es aber keinerlei Hilfe gäbe, könnte man mit etwa 8% endgültig ungewollt kinderlosen Paaren rechnen. Und diese Erkenntnis passt ebenfalls mit Ihren im deutschen Familiensurvey publizierten Daten zusammen, nach der weniger als 5% der ostdeutschen Frauen zwischen 35 und 39 keine Kinder hatten und in Partnerschaft leben. Dabei möchte ich gar nicht bestreiten, daß ein in der Vergangenheit niedrigeres Alter bei der ersten Geburt bei den Frauen in Ostdeutschland zu einem geringeren Anteil ungewollt kinderloser Paare beitrug.
Wenn 3,2% Ihrer Probandinnen der Altersgruppe 18 ? 50 Jahre (ich setze einfach mal voraus, daß die Altersverteilung bei den von Ihnen befragten Personen gleichmäßig war) einen derzeit sehr starken Kinderwunsch angegeben haben, dann liegt das wohl in den Augen des Betrachters, ob das wirklich ?aktuell nur ganz wenige Paare? sind. Ich denke, wenn Sie hier nur die Altersgruppe 25 ? 35 untersucht hätten, hätte das Ergebnis ganz anders ausgesehen. 3,2% von 32 Jahren (32 Jahrgänge haben Sie untersucht) sind immerhin ein gutes Jahr. Es ließe sich also aus dieser Erkenntnis ableiten, daß jede der befragten Frauen im Schnitt 1 Jahr ihres Lebens einen sehr starken Kinderwunsch hatte. Allgemein Kinderwunsch bestand sogar im Schnitt mehr als 8 Jahre.
Ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung (Quelle:
http://www.sueddeutsche.de/sz/wissensch ... tikel2473/ ): ?Ein Hauptergebnis der Analyse: Lediglich ein bis zwei Prozent der Befragten litten unter Unfruchtbarkeit. ?Das ist sehr wenig?, kommentiert die Ko-Leiterin der Untersuchung Yve Stöbel-Richter. Denn in der Fachliteratur werde oft davon gesprochen, dass ? bei steigender Tendenz ? 15 bis 20 von hundert Paaren ungewollt kinderlos blieben. Die Schätzung stammt aus einer Veröffentlichung des Jahres 1978, betonte Brähler. ?Diese Zahlen geistern dann in den Medien herum, werden für Werbezwecke benutzt und beeinflussen die Wahrnehmung des Problems.?? ? Steht in der Veröffentlichung des Jahres 1978 tatsächlich, daß 15 ? 20% der Paare ungewollt kinderlos b l i e b e n ? Unsere Recherchen haben bisher nur ergeben, daß in verschiedenen Quellen angegeben wird, 10 ? 15% der Paare wären von Problemen mit der Fruchtbarkeit betroffen. D i e s e Aussage lässt sich aber mit den oben genannten Daten nicht widerlegen. Auch hier kommt es wieder sehr auf die Begrifflichkeiten an. Der normale Zuhörer / Leser merkt diesen Unterschied leider meist nicht.
Weiteres Zitat von Ihnen aus der Ärztezeitung (Quelle:
http://www.aerztezeitung.de/docs/2004/0 ... den_medien ): "Tatsächlich wird gemäß Daten aus dem deutschen ivF-Register nach dem ersten Behandlungszyklus nicht einmal jede achte Frau schwanger", so Brähler.? - Gemäß D.I.R. 2002 (
www.deutsches-ivf-register.de) ist die Schwangerschaftssrate pro Embryonentransfer bei IVF/ICSI bei 27% gewesen, d.h. mehr als jede vierte Frau. Selbst bezogen auf alle plausiblen Zyklen ? auch die, bei denen es zu keinem Embryonentransfer gekommen ist ? lag die Schwangerschaftsrate noch bei gut 20%, jede 5. Frau. Angaben dazu, in dem wievielten Behandlungszyklus die Schwangerschaften jeweils eintraten, gibt es dort bisher leider nicht, jedoch ist davon auszugehen, daß die Schwangerschaftsrate im ersten Zyklus noch etwas höher liegen müsste, da die Erfolgswahrscheinlichkeit ab dem 6. Behandlungszyklus rapide abnimmt und auch diese Zyklen mit in der Statistik enthalten sind. Die Geburtenrate pro Embryonentransfer liegt bei etwa 17%, immer noch fast jede 7. Frau. Bezogen auf die Anzahl der plausiblen Zyklen liegt sogar die Geburtenrate noch leicht über 12,5%. ?Nicht einmal jede achte? würde dann heißen, unter 12,5%! ? Wir finden es ärgerlich, daß die Allgemeinheit mit solchen Aussagen (bewusst?) falsch informiert wird.
Wir meinen, daß weniger die Reproduktionsmedizin mit falschen Argumenten operiert als daß eine Reihe von Gegnern der Reproduktionsmedizin falsche Argumente geschickt verpackt über die Medien in Umlauf bringt, um bei dem unbedarften Konsumenten negative Assoziationen in Bezug auf diesen Weg zum Wunschkind zu wecken. Betroffene und potentielle Nutzer der Reproduktionsmedizin haben einen Anspruch darauf, die Fakten realistisch vermittelt zu bekommen, so daß sie einerseits keine unverhältnismäßig hohen Erwartungen daraus ableiten, sich andererseits aber auch nicht durch zu viel künstlich erzeugten Pessimismus von einer erfolgversprechenden Behandlung abhalten lassen.
Mit freundlichen Grüßen