So, jetzt habe ich meinen Brief etwas umgestrickt. Habe einige Zitate herausgenommen und die verbliebenen ganz kurz kommentiert:
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin Mutter von 2 Söhnen nach IVF mit Spendersamen und engagiere mich für bessere Bedingungen für ungewollt Kinderlose auf dem Weg zu ihrem Wunschkind. (u.a. Gründungsmitglied von DI-Netz e.V. und Moderatorin im Forum für Heterologe Insemination).
Nachdem ich die Dresdner Rede der o.g. Schriftstellerin gehört hatte, wusste ich nicht, ob ich mich freuen oder ob ich weinen soll. Sibylle Lewitscharoff hat mit ihren Worten nicht nur mich und meinen Mann beleidigt, sondern auch unsere Kinder. Andererseits kenne ich solche Anfeindungen bereits aus zahlreichen Internetdiskussionen, die z.B. oft entstehen, wenn es einen Zeitungsartikel zum Thema gab. Bei solchen Gelegenheiten werden wir Eltern gern als „unreif“, „egoistisch“ und „als Eltern ungeeignet und komplett disqualifiziert“ beschimpft. Wir hätten „Kuckuckskinder“ und die „Würde unserer Kinder verletzt“. Wir würden unsere Kinder verhätscheln und nicht zu lebenstüchtigen Menschen erziehen können. Wenn sie aus dem Babyalter heraus wären, würden wir uns nicht mehr für die Probleme unserer Kinder interessieren und sie allein lassen, wird hin und wieder vermutet.
Die Menschen, die sowas schreiben, begründen ihre Äußerungen fast immer mit einem Gottesbezug. Man soll Gott nicht ins Handwerk pfuschen. „Ich halte diese Einstellung für ganz vernünftig und auch menschlich, werde sie also nicht ablegen. Ich verdanke sie ebenfalls einer maßvollen christlichen Erziehung, für die ich meinen Eltern dankbar bin.“ Oder auch eben das: „Mir kommt die Vorstellung, dass ich Herrin über mein Schicksal wäre …. über das eigene Leben zu verfügen … wie ein Frevel vor.“
Von daher schrieb ich oben, dass ich mich evt. auch freuen kann. Weil nämlich endlich mal einer sich getraut hat, diese Anfeindungen öffentlich auszusprechen und ich nicht mehr als überempfindlich dastehe, wenn ich sage, dass Menschen, die sich aus ihrer Not heraus ihren Kinderwunsch mit Hilfe der Reproduktionsmedizin erfüllen, in unserer Gesellschaft nicht von allen akzeptiert werden. Insbesondere dann nicht, wenn sie durch eine Samenspende oder Eizellspende Eltern geworden sind oder werden wollen. Diese Ablehnung wirkt sich auch auf der Ebene politischer Entscheidungen aus. Sie hat Einfluss auf unsere Gesetze, insbesondere auf das überarbeitungsbedürftige so genannte Embryonenschutzgesetz. Auch bewirkt sie die Diskriminierung bei der Nicht-Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenkassen.
So überspitzt wie Frau Lewitscharoff hat es bisher keiner in der Öffentlichkeit gesagt. Ich kopiere Ihnen aber einige Aussagen von Menschen, die angehört werden, unter meine Mail. Diese Menschen nennen nicht plump ihre religiösen Motive. Sie bedienen sich mit Scheinargumenten, die einer näheren Untersuchung jedoch nicht standhalten bzw. nur Halbwahrheiten beinhalten bzw. nur in einem anderen Zusammenhang richtig sind.
Es ist jedoch nicht Aufgabe unseres Gesetzgebers, die Freiheit von Menschen (hier: Fortpflanzungsfreiheit) aufgrund von religiösen Vorbehalten einzuschränken. Deshalb wünsche ich mir nun eine Debatte in den Medien, die die Motive für Diffamierungen von Eltern nach assistierter Befruchtung in ihrer Entstehung beleuchtet, aber auch in ihrer Wirkung und ihren Konsequenzen für die Betroffenen. Im Rahmen einer Liberalisierung der deutschen Gesetzgebung ist vieles zu bedenken und zu regeln wie z.B. das Recht jedes Menschen auf Kenntnis seiner genetischen Herkunft. Andererseits befürchte ich aber auch, dass die Diskussion jetzt nach hinten los geht. Frau Lewitscharoff bekommt ein Forum, um ihre Ideologie zu verbreiten. So steht nun z.B. in der Berliner Zeitung zu lesen: „Wir brauchen die Bosheit der Dichter“. Da jedoch Kunst einen ganz anderen Weg in die Köpfe der Menschen findet als eine Politikerrede, ist es gefährlich, wenn mit Hilfe der Kunst Hass verbreitet wird. Ich bitte Sie, dazu beizutragen, dass es nun eine Diskussion gibt, die den betroffenen Menschen auch hilft und sachdienlich ist.
Bei Fragen antworte ich Ihnen jederzeit gern.
Mit freundlichen Grüßen
XXXX
(Mein Name steht nicht zur Veröffentlichung zur Verfügung. Einen Zeitungsbericht über meine Familie finden Sie jedoch hier:
http://www.berliner-zeitung.de/politik/ ... 88636.html )
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Zitate:
(1) Die Theologin und Professorin für Moraltheologie und Sozialethik Hille Haker bemängelt die fehlende Beziehung der Mutter zu ihrer befruchteten Eizelle. Sie sagt: „Während in der Schwangerschaft eine Beziehung der Fürsorge zwischen Mutter und Kind beginnt, fördert die in vitro Situation die Distanzierung und Objektivierung des Embryos zu einem „Zellhaufen“. (Haker, Hille (2002): Ethik der genetischen Diagnostik, Paderborn, S. 233)
(2) Regine Kollek, Professorin für Technologiefolgenabschätzung der modernen Biotechnologie in der Medizin mit Forschungsschwerpunkt Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt, spricht von einer Entemotionalisierung des Verhältnisses vom Embryo (Kollek, Regine (2000): Präimplantationsdiagnostik, Embryonenselektion, weibliche Autonomie und Recht. Tübingen, Basel (Ethik in den Wissenschaften, Bd.11), S. 210)
(3) Dr. Ingrid Schneider, ehemaliges Mitglied der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" des Deutschen Bundestages und ausgezeichnet mit dem "Ethikpreis" der christlichen Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur "DS - Das Sonntagsblatt" schreibt sogar: „Zu den "Opfern", die für Fortschritt und Interventionsmöglichkeiten gebracht werden müssen, zählen bei den IVF-Nutzer/innen körperliche Kompetenzverluste, das Fehlen der personalen Begegnung des Zeugungsaktes, das Eindringen in die partnerschaftliche Intimität.“ (Schneider, Ingrid (2002): Embryonen zwischen Virtualisierung und Materialisierung Kontroll- und Gestaltungswünsche an die technisierte Reproduktion, in: Technikfolgenabschätzung, Schwerpunktthema)
(4) Sigrid Graumann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft in Berlin und ehemaliges Mitglied der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" des Deutschen Bundestages, vergleicht den Schwangerschaftskonflikt mit einer Notwehrsituation. Sie sagt, die PID und die IVF wären kein unausweichlicher Konflikt, da es für die Frau Handlungsalternativen gäbe, den Verzicht auf Kinder. (Graumann, Sigrid (2001): Zur Problematik der Präimplantationsdiagnostik. Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 27, S. 17-25
Graumann, Sigrid (2001): Zwischen Zeugung und Erzeugung von menschlichem Leben besteht ein ethisch relevanter Unterschied. In: Graumann, S. (Hg.): Die Genkontroverse. Grundpositionen. Freiburg, S. 88 - 94)
Mein Kommentar:
Zu (1) – (3): Alle 3 Autorinnen zeigen, dass sie keine Ahnung von den Gefühlen einer ungewollt kinderlosen Frau haben, die nach einer IVF oder ICSI ihre Embryonen übertragen bekommt. Diese Embryonen sind ihre potentiellen heiß ersehnten Kinder. Da sind ganz starke Emotionen. Und das zu einem Zeitpunkt, wo herkömmlich Schwangere noch keine Ahnung von ihrem Glück und noch keinen Embryo gesehen haben. Hier werden Frauen zu kaltherzigen Monstern declariert, die in Wirklichkeit keine Minute vergessen zu hoffen, dass ihr Embryo sich auch einnistet.
Zu (4) Sigrid Graumann und auch andere Ablehner medizinischer Hilfe zur Fortpflanzung wollen ungewollt Kinderlosen vorschreiben, dass sie auf Kinder verzichten sollen. Sie mischen sich damit ungerechtfertigt in ein ganz grundlegendes Recht von Menschen ein, nämlich in das Recht, eine Familie zu gründen. Auch Kranke haben die Handlungsalternative, nicht zum Arzt zu gehen. Und viele Menschen haben die Handlungsalternative, nicht arbeiten zu gehen. Und trotzdem verzichten sie auf diese Alternative. …