engagierter Einspruch / Widerspruch -> !
Verfasst: 17 Nov 2003 09:41
Hallo Rebella und Interessierte,
durch Zufall habe ich eine Rede zum Thema Bioethik, Eschgesetz v. Prof. H. Markl gefunden. Sie ist in dem Piper-Taschenbuch * Denkanstösse 2004*, enthalten ( gestern in Bahnhofsbuchhandlg gekauft )
..aber auch bei der *Max-Planck-Gesellschaft* als pdf-download (11 Seiten).
Mir gefällt das sehr, daß ein prominenter dtsch. Wissenschaftler seine andere Sicht der Dinge engagiert erläutert und sich auch nicht scheut, dem Bundespräsidenten zu widersprechen:
Dazu nachstehend Zitate aus der Ansprache (Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., Berlin, 22. Juni 2001)
des (damaligen) Präsidenten Hubert Markl :
>>Freiheit, Verantwortung, Menschenwürde:
Warum Lebenswissenschaften mehr sind als Biologie<<
Quelle: http://www.mpg.de/pdf/redenPraesidenten ... 1Markl.pdf
>>..Dabei kann es allerdings leider nicht ausbleiben, dass ich mich in dem einen oder anderen Streitpunkt nicht völlig in Übereinstimmung mit dem wiederfinde, was der Herr Bundespräsident in seiner beeindruckenden Grundsatzrede - manche sprachen gar von Levitenlesung - vom 18. Mai dieses Jahres dazu gesagt hat, obwohl ich vielen seiner Aussagen sehr zustimme. Glaube niemand, dass es mir leicht fällt, gleichzeitig den ökumenisch vereinten deutschen Bischofskonferenzen, den Partei- und Fraktionsvorsitzenden von CDU, CSU und Grünen, dem biopolitisch gleichgeschalteten Gesamtbioethikrat deutscher Tageszeitungen, und dann sogar auch noch dem Bundespräsidenten zu widersprechen, als frecher Hecht im dicht an dicht besetzten Karpfenteich moralischer Hochgesinnung.<<
>>....Selten haben Biologen oder Mediziner in so kurzer Zeit so viel Neues über die Grundlagen des Lebens und über unsere ..Möglichkeiten, solches Wissen anzuwenden, gelernt. Und niemals zuvor hat eine so breite Öffentlichkeit zumindest soweit davon Notiz genommen, dass so viel Neues und Unverstandenes die ureigensten Privatentscheidungen von Essensauswahl bis Kinderwunsch, von Lebensversicherung bis Arbeitsplatz betrifft und daher alle gemeinsam angstvoll und hoffnungsvoll verunsichert.
Da der rasche, auch für die Wissenschaftler selbst kaum überschaubare Fortschritt der Forschung diese Wechselgefühle von Angst und Hoffnung hervorruft, müssen wir diese Verunsicherung ernst nehmen und Verständnis dafür aufbringen. Mehr noch: Die kontroverse öffentliche Debatte darüber ist unumgänglich. Die sich manchmal überschlagenden Stimmen der Medien sind unvermeidlicher, sogar unverzichtbarer Teil einer öffentlichen, freien Auseinandersetzung mit den sich überstürzenden Neuerungen. Viele Befürchtungen werden sich als übertrieben herausstellen, viele Hoffnungen genauso.<<
>>..Wir sollten uns auch nicht darüber wundern, wie groß das Verlangen vieler nach klaren Wegweisungen und Grenzziehungen ist, möglichst aus berufenem Mund und möglichst unbezweifelbar in ewigen Werten und Wahrheiten verankert. Der Wunsch danach ist einsichtig, aber er wird die Menschen von den Zweifeln und Mühen eigenen kritischen Urteils nicht befreien können. Kein noch so sorgfältig argumentierender Ethikrat, dessen Argumente wir übrigens doch erst einmal hören sollten, ehe wir sie gleich vorweg verdächtigen, kann uns davon befreien, uns selber in entscheidenden Fragen für eigenes Urteil kundig zu machen. Und wer mit gut gemeintem moralischen oder juristischen Machtwort die verwirrten Debatten beenden möchte, wird merken, dass sie gerade deshalb weitergehen. Denn wo ein jeder Mensch im eigenen Innersten berührt ist, da ist er letztlich selbst für seine Gewissensentscheidungen verantwortlich, solange wie wir in einer Gesellschaft leben, die darauf begründet ist, in der Gewissensfreiheit jedes einzelnen den Kern der Würde jedes Menschen zu achten. Letzten Endes geht es dabei immer
darum: Was ist der Mensch?<<
>>...Denn der neue Mensch ist nicht fertig in der Zygote, wie es ein fast schon vorwissenschaftlich präformatorisches Denken manchmal hinstellt; er kann aus ihr werden und zwar nur unter bestimmten Bedingungen, für die die Verbindung zum Mutterorganismus für Säugetiere nicht etwa nur so etwas wie die eines Untermieters in einer Biowohnung, sondern für eine normale Entwicklung absolut konstitutiv ist.
Ich habe diesen Punkt aus anderer Sicht schon kurz berührt. Er hat biologisch jedoch weiterreichende Bedeutung. Für eine Säugetiermutter (und in solcher Hinsicht ist und bleibt der Mensch ein Säugetier) bedeutet die Aufnahme eines Embryos in die symbiotische Wechselbeziehung mit ihr eine für den gesamten Lebenserfolg ungemein folgenreiche Entscheidung, weil sie - im Falle widriger Umstände - ihre Leibesfrucht nicht etwa wie eine Vogelmutter ihre Eier verlassen kann. Für langlebige Spezies wie die unsere mit nur wenigen Chancen, überhaupt Nachkommen aufzuziehen, ist diese Entscheidung daher besonders lebensentscheidend. Es darf daher sehr wohl angenommen werden, dass die von Menschen und anderen Säugetieren bekannte Tatsache, dass sich nur ein
Bruchteil befruchteter Eier tatsächlich im Uterus einnisten kann - beim Menschen wird berichtet, dass mehr als jede zweite Leibesfrucht durch spontanen Frühabort verloren geht, - schon von Natur aus dazu dient, um möglichst nur gesunde und voll entwicklungsfähige Keime zur Entwicklung kommen zu lassen. Die eigentliche "biologische Entscheidung" zur Menschwerdung fällt daher tatsächlich mit der Einnistung des Keimes im Uterus, nicht schon mit der Befruchtung. Dies wird besonders deutlich daran, dass die spontan frühabortierenden Embryonen besonders häufig von genetischen Anomalien betroffen sind.<<
>> ..Mich schreckt am meisten der Geist erbarmungsloser Moral und zugleich
des rechtlichen Zwanges auf betroffene Einzelne im Dienste vermeintlicher
Gemeinschaftsinteressen. So als gehörten eine Frau und ihr Reproduktionsverhalten und sogar die dabei instrumentalisierten Behinderten zu allererst einmal dem Staat, der dieser Frau in von Mehrheitsmeinung abhängigen Grenzen Freiheiten hinsichtlich ihres ureigensten Menschenrechts, nämlich der Entscheidung über die eigene Fortpflanzung, einräumt oder versagt, und sie gegebenenfalls dazu zwingt, ein schwerst behindertes Kind sozusagen als Exempel für andere auszutragen und aufzuziehen. Je älter ich werde, umso falscher finde ich es nämlich, wenn alte Männer - wie ich - junge Männer gegen ihren Willen für den Krieg und junge Frauen gegen ihren Willen zur Fortpflanzung verpflichten wollen. Es mag schon zutreffen, dass Eltern keinen Rechtsanspruch auf ein gesundes Kind haben - allerdings sehr wohl ein Menschenrecht, danach zu streben!<<
Besonders den letzten Satz habe ich früher, so ähnlich formuliert, leider häufiger in Online-Foren schreiben "müssen" (!), weil immer wieder unterstellt wird, man würde irgendwo ein >>Recht auf ein eigenes Kind einfordern<<, was ich immer als gehässig empfand, insbesondere wenn es von selbst ungewollt Kinderlosen Frauen in dieser Weise gegenüber mitbetroffenen Frauen ausgesprochen wurde...
...hätte früher nie gedacht, daß man das *Recht auf den Wunsch*, eine Familie zu gründen, verteidigen muss...
LG Birgit
durch Zufall habe ich eine Rede zum Thema Bioethik, Eschgesetz v. Prof. H. Markl gefunden. Sie ist in dem Piper-Taschenbuch * Denkanstösse 2004*, enthalten ( gestern in Bahnhofsbuchhandlg gekauft )
..aber auch bei der *Max-Planck-Gesellschaft* als pdf-download (11 Seiten).
Mir gefällt das sehr, daß ein prominenter dtsch. Wissenschaftler seine andere Sicht der Dinge engagiert erläutert und sich auch nicht scheut, dem Bundespräsidenten zu widersprechen:
Dazu nachstehend Zitate aus der Ansprache (Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., Berlin, 22. Juni 2001)
des (damaligen) Präsidenten Hubert Markl :
>>Freiheit, Verantwortung, Menschenwürde:
Warum Lebenswissenschaften mehr sind als Biologie<<
Quelle: http://www.mpg.de/pdf/redenPraesidenten ... 1Markl.pdf
>>..Dabei kann es allerdings leider nicht ausbleiben, dass ich mich in dem einen oder anderen Streitpunkt nicht völlig in Übereinstimmung mit dem wiederfinde, was der Herr Bundespräsident in seiner beeindruckenden Grundsatzrede - manche sprachen gar von Levitenlesung - vom 18. Mai dieses Jahres dazu gesagt hat, obwohl ich vielen seiner Aussagen sehr zustimme. Glaube niemand, dass es mir leicht fällt, gleichzeitig den ökumenisch vereinten deutschen Bischofskonferenzen, den Partei- und Fraktionsvorsitzenden von CDU, CSU und Grünen, dem biopolitisch gleichgeschalteten Gesamtbioethikrat deutscher Tageszeitungen, und dann sogar auch noch dem Bundespräsidenten zu widersprechen, als frecher Hecht im dicht an dicht besetzten Karpfenteich moralischer Hochgesinnung.<<
>>....Selten haben Biologen oder Mediziner in so kurzer Zeit so viel Neues über die Grundlagen des Lebens und über unsere ..Möglichkeiten, solches Wissen anzuwenden, gelernt. Und niemals zuvor hat eine so breite Öffentlichkeit zumindest soweit davon Notiz genommen, dass so viel Neues und Unverstandenes die ureigensten Privatentscheidungen von Essensauswahl bis Kinderwunsch, von Lebensversicherung bis Arbeitsplatz betrifft und daher alle gemeinsam angstvoll und hoffnungsvoll verunsichert.
Da der rasche, auch für die Wissenschaftler selbst kaum überschaubare Fortschritt der Forschung diese Wechselgefühle von Angst und Hoffnung hervorruft, müssen wir diese Verunsicherung ernst nehmen und Verständnis dafür aufbringen. Mehr noch: Die kontroverse öffentliche Debatte darüber ist unumgänglich. Die sich manchmal überschlagenden Stimmen der Medien sind unvermeidlicher, sogar unverzichtbarer Teil einer öffentlichen, freien Auseinandersetzung mit den sich überstürzenden Neuerungen. Viele Befürchtungen werden sich als übertrieben herausstellen, viele Hoffnungen genauso.<<
>>..Wir sollten uns auch nicht darüber wundern, wie groß das Verlangen vieler nach klaren Wegweisungen und Grenzziehungen ist, möglichst aus berufenem Mund und möglichst unbezweifelbar in ewigen Werten und Wahrheiten verankert. Der Wunsch danach ist einsichtig, aber er wird die Menschen von den Zweifeln und Mühen eigenen kritischen Urteils nicht befreien können. Kein noch so sorgfältig argumentierender Ethikrat, dessen Argumente wir übrigens doch erst einmal hören sollten, ehe wir sie gleich vorweg verdächtigen, kann uns davon befreien, uns selber in entscheidenden Fragen für eigenes Urteil kundig zu machen. Und wer mit gut gemeintem moralischen oder juristischen Machtwort die verwirrten Debatten beenden möchte, wird merken, dass sie gerade deshalb weitergehen. Denn wo ein jeder Mensch im eigenen Innersten berührt ist, da ist er letztlich selbst für seine Gewissensentscheidungen verantwortlich, solange wie wir in einer Gesellschaft leben, die darauf begründet ist, in der Gewissensfreiheit jedes einzelnen den Kern der Würde jedes Menschen zu achten. Letzten Endes geht es dabei immer
darum: Was ist der Mensch?<<
>>...Denn der neue Mensch ist nicht fertig in der Zygote, wie es ein fast schon vorwissenschaftlich präformatorisches Denken manchmal hinstellt; er kann aus ihr werden und zwar nur unter bestimmten Bedingungen, für die die Verbindung zum Mutterorganismus für Säugetiere nicht etwa nur so etwas wie die eines Untermieters in einer Biowohnung, sondern für eine normale Entwicklung absolut konstitutiv ist.
Ich habe diesen Punkt aus anderer Sicht schon kurz berührt. Er hat biologisch jedoch weiterreichende Bedeutung. Für eine Säugetiermutter (und in solcher Hinsicht ist und bleibt der Mensch ein Säugetier) bedeutet die Aufnahme eines Embryos in die symbiotische Wechselbeziehung mit ihr eine für den gesamten Lebenserfolg ungemein folgenreiche Entscheidung, weil sie - im Falle widriger Umstände - ihre Leibesfrucht nicht etwa wie eine Vogelmutter ihre Eier verlassen kann. Für langlebige Spezies wie die unsere mit nur wenigen Chancen, überhaupt Nachkommen aufzuziehen, ist diese Entscheidung daher besonders lebensentscheidend. Es darf daher sehr wohl angenommen werden, dass die von Menschen und anderen Säugetieren bekannte Tatsache, dass sich nur ein
Bruchteil befruchteter Eier tatsächlich im Uterus einnisten kann - beim Menschen wird berichtet, dass mehr als jede zweite Leibesfrucht durch spontanen Frühabort verloren geht, - schon von Natur aus dazu dient, um möglichst nur gesunde und voll entwicklungsfähige Keime zur Entwicklung kommen zu lassen. Die eigentliche "biologische Entscheidung" zur Menschwerdung fällt daher tatsächlich mit der Einnistung des Keimes im Uterus, nicht schon mit der Befruchtung. Dies wird besonders deutlich daran, dass die spontan frühabortierenden Embryonen besonders häufig von genetischen Anomalien betroffen sind.<<
>> ..Mich schreckt am meisten der Geist erbarmungsloser Moral und zugleich
des rechtlichen Zwanges auf betroffene Einzelne im Dienste vermeintlicher
Gemeinschaftsinteressen. So als gehörten eine Frau und ihr Reproduktionsverhalten und sogar die dabei instrumentalisierten Behinderten zu allererst einmal dem Staat, der dieser Frau in von Mehrheitsmeinung abhängigen Grenzen Freiheiten hinsichtlich ihres ureigensten Menschenrechts, nämlich der Entscheidung über die eigene Fortpflanzung, einräumt oder versagt, und sie gegebenenfalls dazu zwingt, ein schwerst behindertes Kind sozusagen als Exempel für andere auszutragen und aufzuziehen. Je älter ich werde, umso falscher finde ich es nämlich, wenn alte Männer - wie ich - junge Männer gegen ihren Willen für den Krieg und junge Frauen gegen ihren Willen zur Fortpflanzung verpflichten wollen. Es mag schon zutreffen, dass Eltern keinen Rechtsanspruch auf ein gesundes Kind haben - allerdings sehr wohl ein Menschenrecht, danach zu streben!<<
Besonders den letzten Satz habe ich früher, so ähnlich formuliert, leider häufiger in Online-Foren schreiben "müssen" (!), weil immer wieder unterstellt wird, man würde irgendwo ein >>Recht auf ein eigenes Kind einfordern<<, was ich immer als gehässig empfand, insbesondere wenn es von selbst ungewollt Kinderlosen Frauen in dieser Weise gegenüber mitbetroffenen Frauen ausgesprochen wurde...
...hätte früher nie gedacht, daß man das *Recht auf den Wunsch*, eine Familie zu gründen, verteidigen muss...
LG Birgit