Hallo!
So, ich habe nun auch eine Antwort von Frau Nahles erhalten. Leider beantwortet sie wie erwartet keine meiner Fragen. Ich hatte sie gefragt, wie denn die Hilfe für Betroffene aussehen soll und was sie mir konkret empfiehlt. Alles wieder nur Blabla:
Sehr geehrte Frau xxx,
besten Dank für Ihre kritische Zuschrift zur aktuellen Diskussion über PID. Ihr Fall hat mich sehr berührt und genau den zentralen "Knackpunkt" getroffen, über den wir alle schon so lange nachdenken.
Denn natürlich ist es eine zutiefst heikle Abwägungsfrage, in der es kein "richtig" oder "falsch" gibt, sondern nur den moralischen Kompass, den jeder von uns in sich trägt.
Natürlich verstehe ich Jede und Jeden, die teilweise aus persönlicher Betroffenheit verärgert oder verzweifelt fragen, warum ich mich öffentlich für ein Verbot der PID ausspreche. Manche schreiben mir und sprechen offen an, dass ich doch verstehen müsse, wie bedeutsam der Wunsch nach einem gesunden Kind ist. Es könne so viel Leid vermieden werden gerade für die, die es schon oft vergeblich versucht haben und medizinische Hilfe brauchen, um überhaupt schwanger werden zu können. Weiß Gott, das lässt mich nicht unberührt. Wer will schon Leid in Kauf nehmen, wenn es nicht sein muss. Die Frage, was ist richtig, was ist falsch, ist dennoch hier nicht so leicht zu beantworten.
Ich ganz persönlich habe für mich entschieden, dass ich gegen den genetischen Check-up im Reagenzglas bin.
Es müssen immer mehr Embryonen erzeugt werden, als eingepflanzt werden können. Was passiert mit den überzähligen Embryonen? Die Frage ist vollkommen unbeantwortet, höre ich. Vielleicht will das aber auch niemand so genau wissen.
Derzeit können medizinisch 120 Erbkrankheiten unterschiedlichen Schweregrades nachgewiesen werden. Ob eine solche Erbkrankheit tatsächlich im späteren Leben ausbricht, ist in vielen Fällen völlig offen. Wir wissen es schlicht nicht, wenn im Labor darüber entscheiden wird. Derzeit reden wir nur über die wenigen Fälle von schweren Erbkrankheiten. Wer sagt aber, dass es dabei bleibt? Ich bin pessimistisch. Heute sind wir im deutschen Parlament weitgehend einig, dass es nur wenige Ausnahmen geben soll. Es ist jedoch ein zutiefst menschlicher Wunsch, ein Kind nach eigenen Vorstellungen zu haben. Ein gesundes Kind. Wenn etwas geht, dann wird es gemacht. Das lehrt uns die Geschichte der Menschheit. Sind wir uns also sicher, dass wir verantwortlich handeln und das auch in Zukunft, wenn wir jetzt Ausnahmen legitimieren? Bisher gibt es hier eine klare Grenze in Deutschland.
Ich sehe es letztlich wie Erzbischof Robert Zollitsch. Hier droht ein „Dammbruch“. Ein Dammbruch, den ich nur schwer erträglich finde. Denn letztlich steht hier die Frage im Raum: Welches Leben ist lebenswert? Wer entscheidet das?
Tatsache ist, dass die verbreitete vorgeburtliche Diagnostik bereits heute ihre Wirkung entfaltet: Eine Freundin von mir, hat ein Kind mit einer kleinen körperlichen Fehlbildung, die in mehreren OPs korrigiert wurde. Der Kleine ist ansonsten munter. Als sie nun ihr zweites Kind bekam und dieses dieselbe Fehlbildung hatte, wurde sie von einer jungen Ärztin gefragt: Ja, aber haben sie sich denn nicht genetisch beraten lassen? Wenn etwas möglich ist, wird es nicht nur gemacht, sondern es wird unterschwellig verlangt werden bzw. zur neuen Norm.
Kann ich mit diesen Abwägungen auf das Leid der Menschen, die betroffen sind und unser Verständnis suchen, eine zufriedenstellende Antwort geben? Nein. Umgekehrt ist die Frage ehrlich zu beantworten, ob wir es den einzelnen Frauen bzw. Paaren überlassen dürfen bzw. sollen, welches Leben lebenswert ist und welches nicht. Meine Antwort: Wir sollten in aller Freiheit des aufgeklärten Geistes ethische Grenzen des menschlichen Handelns anerkennen.
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Nahles
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