Stellungnahme der evangelischen Kirche
Verfasst: 13 Jun 2003 23:03
Sehr geehrte Frau ...,
vielen Dank für Ihre e-mail von Anfang der Woche, die wir sehr
aufmerksam wahrgenommen und zum Anlass einer intensiven
Auseinandersetzung mit dieser Frage genommen haben. Zur Beantwortung
muss ich kurz auf zwei Themen eingehen, die Sie angeschnitten haben:
Da ist zuerst die Frage der Haltung der EKD zur künstlichen
Befruchtung und zweitens das Vorgehen der EKD angesichts der geplanten
Veränderungen im Gesundheitswesen.
Mit der ersten Frage nach dem Anliegen ungewollt kinderloser Paare und
den Möglichkeiten, die die künstliche Befruchtung (IVF) bietet, hat
sich die Evangelische Kirche schon seit langem intensiv
auseinandergesetzt. Wir sind dabei zu der Überzeugung gekommen, dass
aus theologischer Sicht Kinderlosigkeit zwar eine große persönliche
Enttäuschung für die betroffenen Paare sein kann, dass es sich aber
auch bei ungewollter Kinderlosigkeit nicht unbedingt um ein Unglück
handelt. Nicht zuletzt angesichts der Risiken und der immensen
phsychischen und physischen Belastung, die eine IVF mit sich bringen
kann und, wie ich persönlich weiss, in aller Regel auch mit sich
bringt, sind wir zu der Überzeugung gelangt, IVF zwar keineswegs
abzulehnen, betroffenen Paaren aber von dieser Möglichkeit abzuraten
und eher zu versuchen, sie darin ermutigend zu begleiten, ihr Leben
ohne eigene leibliche Kinder zu gestalten. Zu den einzelnen
Stellungnahmen finden Sie einen kleinen Vermerk mir weiterführenden
Hinweisen in der Anlage. Mir ist bewusst, dass diese Entscheidung für
Ihre Familie, die nun gerade auch aktuell allen Grund hat, Gott für
die Geburt Ihres eigenen Kindes zu danken, und der wir
selbstverständlich alles Gute und Gottes Segen für Ihren gemeinsamen
Weg wünschen, unbefriedigend ist. Deswegen liegt mir daran, Ihnen
ausdrücklich zu versichern, dass wir Ihre persönliche Entscheidung,
diesen Weg zu gehen, absolut respektieren, diesen Weg aber nicht für
den einzig möglichen und auch im allgemeinen nicht zu bevorzugenden
halten.
Die zweite Frage betrifft das Verhalten der EKD gegenüber dem
Gesetzentwurf für ein Reformgesetz im Gesundheitswesen, der ja nun
ausgesprochen umfangreich und vielfältig geraten ist. Die EKD sieht
grundsätzlich die Notwendigkeit von Reformen im Bereich der sozialen
Sicherungssysteme und möchte allen Mut machen, diese Reformen
anzugehen. Dabei wird es notwendig sein, immer auch Kompromisse
einzugehen, so dass es eine bewusste Entscheidung der EKD ist, in
dieser Situation sich tendenziell zurückhaltend zu äußern, also Kritik
wirklich nur dort zu üben, wo sie nach unserer Einschätzung dringend
notwendig ist.
Auf der Grundlage unserer oben angedeuteten Überlegungen zur IVF sehen
wir die Notwendigkeit einer Intervention der EKD an dieser Stelle in
der gegenwärtigen Situation daher nicht. Wir haben nie gefordert, die
IVF aus dem Leistungskatalog der GKV zu streichen, halten dies aber
für eine denkbare Massnahme, gegen die nun keine so durchgreifenden
ethischen Bedenken sprechen würden, dass wir uns hier protestierend
engagieren möchten.
Ich bitte Sie um Verständnis für diese Entscheidung und wünsche Ihnen
und Ihrer Familie Gottes Segen für Ihren weiteren Weg.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Jens Kreuter
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Dr. Jens Kreuter
Referent für sozial- und gesellschaftspolitische Fragen
Kirchenamt der EKD
Herrenhäuser Str. 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0049 511 2796 410
Fax: 0049 511 2796 709
E-Mail: jens.kreuter@ekd.de
http://www.ekd.de
Anlage:
Zur IVF-Problematik
1985 hat sich erstmalig der Rat der EKD in einer Handreichung unter dem Titel "Von der Würde werdenden Lebens" (veröffentlicht in: EKD-Texte 20, S. 8-16) mit der Extrakorporalen Befruchtung auseinandergesetzt:
<a href=http://www.ekd.de/EKD-Texte/2078_achtun ... 87.html</a> (im Anhang)
Die Synode der EKD hat am 6. November 1987 diesen Text weitergeführt und eine "Kundgebung zur Achtung vor dem Leben" verabschiedet (veröffentlicht in: EKD-Texte 20, S. 2-7):
<a href=http://www.ekd.de/EKD-Texte/2078_achtun ... _1987.html </a>
Der Rat hat zu den einschlägigen Fragen zuletzt in der Erklärung "Gott ist ein Freund des Lebens. Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens" (veröffentlicht 1989 im Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, s. dort insbesondere S. 63ff.) Stellung genommen.
<a href=http://www.ekd.de/EKD-Texte/2064_gottis ... lcome.html
</a>
Diese Erklärung wurde gemeinsam vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz abgegeben und von den übrigen Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) mitgetragen. Insgesamt kann festgehalten werden:
1. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hält Eingriffe an Embryonen, die ihre Schädigung oder Vernichtung in Kauf nehmen, für nicht verantwortbar. Kein Forschungsziel, wie hochrangig es auch sein mag, kann es rechtfertigen, diesen Grundsatz aufzugeben.
2. Der Rat rät vom Verfahren der In-Vitro-Fertilisation ab. Daraus folgt nicht, dass er ein rechtliches Verbot dieses Verfahrens fordert. Wohl aber setzt er sich dafür ein, der Anwendung des Verfahrens enge rechtliche Grenzen zu setzen.
Der Rat der EKD hat in den letzten Jahren immer auf den so erreichten Stand (Wir raten ab) zurückverwiesen.