Hodenbiopsie vor Genanalyse üblich?

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rebella67
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Hodenbiopsie vor Genanalyse üblich?

Beitrag von rebella67 »

Sehr geehrter Herr Dr. Petsch,

meine Frage bezieht sich zwar auf einen sicher längst verjährten Fall. Trotzdem lässt er mir keine Ruhe.

Als man bei meinem Mann vor 6 Jahren keine Spermien fand, schlug man ihm die TESE vor. Der Androloge hat ihn vorher untersucht. Mein Mann weist typische Merkmale für das Klinefelter Syndrom auf, u.a. erbsengroße Hoden, die bei der Untersuchung aufgefallen sein müssen. Er musste sich damals nur alle 4 Wochen rasieren, ist relativ groß. Ich hatte bereits vor dieser Untersuchung einen Verdacht bei dem Urologen geäußert und um eine Blutuntersuchung gebeten. Dieser wies die Möglichkeit, daß mein Mann ein solcher Fall ist, jedoch weit weg. Dieser Urologe hatte die Überweisung zu dem Andrologen gegeben. Der Androloge machte also auch keine Blutuntersuchung zur Bestimmung der genetischen Konstellation, sondern schritt schnell mit der Hodenbiopsie zur Tat. Er machte meinem Mann große Hoffnungen auf Erfolg. Erst nachdem er selbstverständlich nichts fand, kam er auf die Idee, nach den Ursachen zu forschen und hatte dann auch sofort als erstes den richtigen Verdacht auf das Klinefelter Syndrom.

Ich möchte gern wissen, ob es vorgeschrieben ist und im März 1998 auch schon vorgeschrieben war, daß zumindest bei äußerlichen Anzeichen auf dieses Syndrom zuerst eine Blutanalyse stattfindet bevor zum Messer gegriffen wird. In welcher Vorschrift ist so was geregelt bzw. müsste so was geregelt sein. Ich finde das - heute immer noch - ungeheuerlich, daß Patienten so grob fahrlässig operiert werden.

Vielen Dank für Ihre Antwort, Rebella
Dr. Petsch
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Beitrag von Dr. Petsch »

Hallo Rebella,
ich verstehe Ihren Ärger. Sie meinen, die Diagnose Klinefelter-Syndrom hätte der Arzt damals auf den ersten Blick feststellen müssen; zur Bestätigung hätte eine humangenetische Untersuchung einer Blutprobe ausgereicht. Dann wäre Ihrem Mann die Hodenbiopsie erspart geblieben, und Sie hätten sich auch keine unberechtigten Hoffnungen gemacht.
Sich im nachhinein, wenn man die definitiven Resultate kennt, über den Ablauf einer Diagnostik zu ärgern, das erlebe ich immer wieder. Aber wie heißt es so schön: Hinterher ist man immer schlauer.
Ich kann jetzt natürlich nicht mehr die Befunde von vor einigen Jahren nachvollziehen und Ihnen sagen, ob da alles richtig gelaufen ist. Aber offenbar hatte Ihr Arzt nicht den unmittelbaren Verdacht auf Klinefeltersyndrom und hielt eine Hodenbiopsie für sinnvoll. Es gibt übrigens Klinefelter-Patienten mit einem sogenannten Mosaik-Muster, also auch mit normalen 46,XY Zellen; hier finden sich gelegentlich im Hoden vereinzelt normale Spermien, die äußerlichen Zeichen des Klinefeltersyndroms sind in diesen Fällen oft nur gering ausgeprägt.
Auf jeden Fall sollten Sie sich nach Jahren nicht mehr über in der Nachschau vielleicht überflüssige Maßnahmen aufregen. Und wenn doch: Gehen Sie zu Ihrem Arzt und sprechen Sie ihn darauf an.
Mit freundlichen Grüssen
Dr. Martin Petsch
Urologie, Andrologie
Urologische Chirurgie, Mikrochirurgie
Fellow European Board of Urology
Paracelsus Klinik Golzheim
Friedrich Lau Str. 11
40474 Düsseldorf
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rebella67
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Beitrag von rebella67 »

Sehr geehrter Herr Dr. Petsch,

danke erstmal für Ihre Antwort. Warum sollte ich zu dem Arzt extra noch mal hingehen? Der wird mir doch keine andere Antwort geben als Sie. Wer gibt schon gern seine eigenen Fehler zu? Daher wollte ich ja auch die Antwort eines erfahrenen unbeteiligten Dritten lesen. Ich lese aus Ihren Zeilen, daß Sie die Frage nicht gern direkt beantworten wollen, sicher, um nicht einem Kollegen (übrigens weit weg von Düsseldorf) in den Rücken zu fallen. Vielleicht antworten Sie mir dann lieber per PN? Daß Sie unseren Fall aus der Ferne nicht genau bewerten können, ist mir klar. Vielleicht hätte ich die Frage dann lieber so stellen sollen:

Wie groß muß der Verdacht auf eine genetische Ursache sein, damit zuerst eine Blutanalyse durchgeführt wird? Gibt es irgendwelche Vorschriften, Richtlinien? Begründet ein ?erbsengroßer? Hoden eventuell schon einen Anfangsverdacht? Gehört die Frage nach dem Bartwuchs zum Standard-Fragenkatalog (falls es denn so einen überhaupt gibt)?

Mein Mann hat übrigens nicht dieses von Ihnen beschriebene Muster.

Ich stelle mir solche Fragen nicht deshalb, weil mir gerade nichts besseres einfällt, sondern ich habe dabei immer im Kopf, daß man in der Zukunft etwas tun könnte, was solche Fehl-Operationen bei anderen Betroffenen ausschließt. Die Frage nach dem Bartwuchs z.B. müsste doch einen echten Hinweis geben. Die wäre in 10 Sekunden im Vorgespräch gestellt und beantwortet.

Mit freundlichen Grüßen, Rebella
Dr. Petsch
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Beitrag von Dr. Petsch »

Hallo Rebella,
es gibt zu diesem Zusammenhang keine Vorschriften oder Richtlinien.
Z.Zt. kann ich Sie nur auf die Leitlinie ' Diagnostik der infertilen Mannes, Leitsymptom: Unerfüllter Kinderwunsch' der Deutsche Dermatologischen Gesellschaft verweisen, die vielleicht auch für einige andere hier im Forum ganz interessant ist.
Leitlinien sind für den Arzt nicht bindend, im Konfliktfall wird der Arzt Abweichungen von den Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften allerdings begründen müssen.
Sie finden die o.g. Leitlinie unter:
http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/derm-010.htm
Mit freundlichen Grüssen
Dr. Martin Petsch
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rebella67
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Beitrag von rebella67 »

Sehr geehrter Herr Dr. Petsch,

danke für den Link! Das Merkmal ?Körperproportionen? trifft auf meinen 1,85 m großen Mann sicher nicht zu. Ob ?erbsengroß? kleiner als 3 ml ist, kann ich nicht beurteilen, aber zumindest hatten wir diesen Begriff von dem Urologen gehört und ich habe ihn auch in einem Fachbuch unter dem Kapitel Klinefelter Syndrom gefunden. Wenn die ?sekundären Geschlechtsmerkmale? nur durch äußerliche Betrachtung erfasst werden, kann sicher bei meinem Mann auch nichts Auffälliges festgestellt werden. Da hätte man schon mal fragen müssen, wie schnell der Bart wächst. Ich denke aber, daß die aufgeführten Merkmale im Zusammenhang mit nicht vorhandenen Spermien einen Anfangsverdacht begründen müssten und daß bei einem solchen Anfangsverdacht nicht ohne genetische Analyse hätte zum Messer gegriffen werden dürfen.

Ich freue mich, wenn Sie auf Fachtagungen oder beim Erfahrungsaustausch mit Kollegen dieses Thema mal ansprechen. Es scheint ja ein verbreiteteres Problem zu sein, daß diese Männer trotz verschiedener Anzeichen nicht sofort erkannt werden, denn bei uns hatte auch der Urologe behauptet: ?Diese Männer sehen anders aus.? Die Antwort bekam ich, nachdem ich als Laie, die noch nie etwas von dem Phänomen gehört hatte, nach dem Studium eines Buches zu verschiedenen Ursachen beim Mann selbst diesen Verdacht geäußert hatte und um eine Blutanalyse bat. Diese leichtfertige Antwort hätte fast dazu geführt, daß das Phänomen unerkannt bleibt, denn mein Mann war anfangs gegen die Operation. Wenn man diese Tatsache aber nicht festgestellt hätte, hätte es keine Testosteron-Behandlung gegeben und dann wären jetzt so ganz allmählich seine Knochen zerfallen. Der unnachgiebige Kinderwunsch hat meinem Mann die Gesundheit gerettet.

Mit freundlichen Grüßen, Rebella
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