Verfasst: 05 Jan 2002 15:03
Teil 1
Reproduktionsgenetik
Zusammenfassung
Habituelle Aborte sind wie sporadisch auftretende Aborte etwa zur Hälfte durch Chromosomenstörungen bedingt. Ein nicht klar definierter Anteil der anderen Hälfte ist vermutlich auf immunologische Ursachen zurückzuführen. Grundlage dieser Annahme ist die Überlegung, daß das mütterliche Immunsystem die vom Vater stammenden Antigene als fremd erkennt und abstößt. Unter der Annahme einer unzureichenden Erkennung des Feten durch das mütterliche Immunsystem und einer daraus folgenden insuffizienten Schutzreaktion wurde die aktive Immuntherapie mit Partner und Drittspenderlymphozyten entwickelt. Inzwischen liegen mehrere plazebokontrollierte Studien zu dieser Therapie vor. Die Ergebnisse der einzelnen Studien sind aufgrund der geringen Fallzahlen nicht signifikant. Metaanalysen ergeben jedoch einen signifikant positiven Effekt der aktiven Immuntherapie bei primär abortierenden Paaren. Die Risiken der aktiven Immuntherapie führten zur Entwicklung der passiven Immuntherapie mit Immunglobulinen (IVIG). Die Behandlung ist relativ kostspielig. Plazebokontrollierte Studien ergaben divergierende Resultate. In einer Metaanalyse ließ sich gegenüber der Plazebobehandlung kein signifikanter Therapieeffekt nachweisen. Die Indikation zu beiden Formen der Immuntherapie sollte streng gestellt werden. Es sollten nur Patientinnen mit drei oder mehr Aborten nach Ausschluß erkennbarer anderer Abortursachen behandelt werden. Zumindest für die aktive Immuntherapie sind offenbar nur primär abortierende Patientinnen geeignet.
Schlüsselwörter
Habituelle Aborte ± Abortursachen ± Immunologie ± Immuntherapie
Immuntherapie habitueller Aborte
B. Hinney 1 , H. Neumeyer 2
1 Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe
im Zentrum für Frauenheilkunde der Universität Göttingen
2 Abteilung für Immunologie im Zentrum für Hygiene
und Humangenetik der Universität Göttingen
Priv.-Doz. Dr. Dr. B. Hinney
Universitätsfrauenklinik Göttingen,
Robert-Koch-Straße 40,
D-37075 Göttingen,
e-mail: bhinney@med-uni.goettingen.de,
Tel.: 0551±396527, Fax: 0551±396528
Das pränatale Leben ist für den Menschen mit hohen Risiken verbunden. Mindestens 60 % aller Embryonen sterben vor der Geburt. Da sich viele dieser frühen Aborte innerhalb der ersten Tage nach der Konzeption ereignen, werden sie den betroffenen Frauen nicht bewußt (Miller et al. 1980; Edmonds et al. 1982; Wilcox et al. 1988). Ein Großteil dieser frühen Verluste ist Ausdruck der fehlenden Selektion von Gameten vor der Fertilisation, denn sowohl Eizellen als auch Spermatozoen weisen zu erheblichen Anteilen Chromosomenstörungen auf (Engel et al. 1996). Aus den vorliegenden Untersuchungen ergibt sich, daß die frühen Embryonenverluste in erster Linie chromosomal bedingt sind. Mit zunehmendem Schwangerschaftsalter sinkt der Anteil zytogenetisch auffälliger Aborte. Dennoch findet man bei klinischen Frühaborten in etwa der Hälfte der Fälle chromosomale Ursachen (Eiben et al. 1990). Diese Aussage bedeutet aber auch, daß sich bei der anderen Hälfte klinischer Aborte keine zytogenetischen Ursachen finden lassen. Die Abklärung anderweitiger Abortursachen soll im folgenden erörtert werden.
Bekannte Ursachen von Frühaborten
Ursachen von Frühaborten lassen sich, von den zuvor erwähnten zytogenetischen Ursachen abgesehen, selten eindeutig klären. In diesem Zusammenhang muß jedoch betont werden, daß die zytogenetische Abklärung von Frühaborten nur ausnahmsweise erfolgt. Da das Abortmaterial zur chromosomalen Untersuchung frisch und unfixiert in ein zytogenetisches Labor gelangen muß, ist der organisatorische Aufwand vergleichsweise hoch. Im Normalfall muß daher auf das Ergebnis der zytogenetischen Diagnostik verzichtet werden. Publikationen zur Verteilung von Abortursachen sollten unter diesem Gesichtspunkt mit gewissem Vorbehalt betrachtet werden. Drei Publikationen sind in Tabelle 1 beispielhaft zusammengestellt (Stray-Pedersen u. Stray-Pedersen 1984; Clifford et al. 1994; Stephenson 1996). Die in Tabelle 1 aufgeführten Befunde dürfen allerdings nicht mit "Abortursachen" gleichgesetzt werden: Nicht jede der genannten Störungen ist auch tatsächlich eine Erklärung für den vorausgegangenen Abort. Beispielhaft soll in diesem Zusammenhang die Corpus-luteum-Insuffizienz (CLI) genannt werden. Die CLI ist eine beliebte Diagnose zur Erklärung von Sterilität und Infertilität. Allerdings sind die Kriterien zur Diagnose der CLI keineswegs einheitlich. So wird von einigen Autoren eine Endometriumbiopsie zur Diagnose herangezogen (Jones 1976; McNeely u. Soules 1988), während andere in erster Linie die Progesteronwerte in der Lutealphase bewerten (Jordan et al. 1994). Erschwert wird die Diagnostik weiterhin durch teilweise erhebliche Schwankungen des Progesteronserumspiegels in der Lutealphase (Hinney 1995) (Abb.1). Diese Ausführungen zur CLI sollten beispielhaft zeigen, daß die Zuordnung von Befunden sehr problematisch sein kann. Zusätzlich bleibt häufig offen, ob die erhobenen Befunde tatsächlich eine Relevanz für das Abortgeschehen haben. Dies gilt insbesondere auch für das von Clifford et al. (1994) hervorgehobene PCO-Syndrom. Besondere Erwähnung müssen allerdings im Zusammenhang mit immunologischen Abortursachen Antiphospholipidantikörper (APA) finden. APA sind eine heterogene Gruppe von Antikörpern, die sich gegen verschiedene Epitope, u.a. auch gegen Cardiolipin richten. APA beeinflussen die Blutgerinnung im Sinne einer Thrombophilie. Außerdem ist bekannt, daß es bei Frauen mit nachgewiesenen APA gehäuft zu Aborten, intrauterinenFruchttodenundvorzeitigenPlazentalösungenkommt.Diese Erkrankung wird als Antiphospholipidsyndrom bezeichnet (Hughes et al. 1986; Ruiz et al. 1995). Der Nachweis von APA (häufig werden lediglich Anticardiolipinantikörper [ACA] bestimmt) weist auf ein erhöhtes Abortrisiko hin. Therapieansätze bestehen in der Gabe von Aspirin, Heparin und Immunglobulinen (Cowchock et al. 1992). Die nachfolgend dargestellte aktive Immuntherapie ist zur Behandlung des Antiphospholipidsyndroms nicht geeignet, der Nachweis von APA wird gewöhnlich sogar als Kontraindikation gegen eine aktive Immuntherapie angesehen. In neuerer Zeit werden auch weitere Störungen des Gerinnungssystems im Sinne einer Thrombophilie als Abortursachen diskutiert. Neben einer Verminderung des Faktor-XII (Schved et al. 1989; Braulke et al. 1993) werden auch eine verminderte APC-Resistenz bzw. der Nachweis des Faktor-V-Leiden als begünstigend für Aborte angesehen (Raj et al. 1996; Pauer et al. 1998; Younis 1998). Trotz aller Bemühungen gelingt es aber bei einem Teil der Patientinnen nicht, eine akzeptable Ursache für den Abort zu finden. In diesen Fällen werden vor allem psychische und immunologische Ursachen diskutiert. Die besondere Rolle psychischer Faktoren wurde durch die Arbeit von Stray-Pedersen und Stray-Pedersen (1984) hervorgehoben. In dieser Untersuchung konnte eine hohe Rate ausgetragener Schwangerschaften durch "tender loving care" erreicht werden. "Tender loving care" sollte somit essentieller Bestandteil der Betreuung von Paaren mit habituellen Aborten sein. Auf die immunologischen Ursachen soll anschließend detaillierter eingegangen werden. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen könnten sich die Abortursachen wie in Abb.2 dargestellt verteilen. Die sich aus der Abb.2 ergebenden quantitativen Verteilungen sind mit Ausnahme des Anteils chromosomaler Ursachen allerdings nur als Schätzwerte zu betrachten.
Habituelle Aborte
Unter habituellen Aborten versteht man das Auftreten von drei oder mehr aufeinanderfolgenden Aborten bei einer Patientin. Bei einer Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Spontanaborten von ca. 15 % liegt die Wahrscheinlichkeit von 3 aufeinanderfolgenden Aborten rechnerisch bei 0,3 % (Wahrscheinlichkeit für den 1. Abort 0,15, für den 2. Abort 0,152 = 0,022, für den 3. Abort 0,153 = 0,003). In epidemiologischen Studien ist die beobachtete Rate habitueller Aborte jedoch deutlich höher. Beobachtet werden drei und mehr Aborte bei 1-2 % der Frauen (Abb. 3). Es kann somit geschlossen werden, daß es sich zumindest bei einem Teil der habituellen Aborten nicht um rein zufällige Ereignisse handelt. Als Ursache ist eher eine eigenständige Erkrankung anzunehmen (Christiansen 1997). Nach neueren Untersuchungen ist der Anteil von Chromosomenstörungen in Abortmaterialien habituell abortierender Paare vergleichbar mit den Ergebnissen bei sporadisch abortierenden Paaren. Cowchock et al. (1993) gelang es, von 100 Spontanaborten 84 chromosomal zu untersuchen. Die Häufigkeit von pathologischen Karyotypen des Abortmaterials lag bei Frauen mit 3-6 Aborten bei 40 % (95 % CI1 , 12-74 %). In einer weiteren Untersuchung von Stern et al. (1996) fanden sich in einem Kollektiv von 94 Frauen mit habituellen Aborten sogar bei 57 % chromosomal auffällige Aborte. Bei der Betrachtung habitueller Aborte sollten zwei zusätzliche Begriffe definiert werden:
- primäre habituelle Aborte,
- sekundäre habituelle Aborte.
Unter primären habituellen Aborten versteht man drei oder mehr aufeinanderfolgende Frühaborte bei Frauen, die keine Schwangerschaft über die 16. SSW hinaus ausgetragen haben. Falls zunächst eine Schwangerschaft ausgetragen wurde, dann aber habituelle Aborte folgen, spricht man von sekundären habituellen Aborten. Genese und Behandlungsmöglichkeiten beider Krankheitsbilder sind verschieden, nachfolgend wird daher auf die unterschiedliche Behandlung beider Erkrankungen hingewiesen.
Immunologische Abortursachen
Immunologische Abortursachen werden seit etwa 1950 diskutiert. Zu dieser Zeit wurden die Grundlagen der
Transplantationsimmunologie gelegt, und daraus ergab sich u. a. die Frage, wie der immunologisch lediglich haploidentische Embryo vom Immunsystem der Mutter toleriert wird. Der spätere Nobelpreisträger Medawar entwickelte zu dieser Frage verschiedene Thesen (Medawar 1953):
- Die Plazenta ist eine wirksame immunologische Barriere zwischen der Mutter und dem Feten.
- Der Konzeptus ist nicht immunogen, er ruft daher keine Immunantwort hervor.
- Die mütterliche Immunantwort wird durch die Schwangerschaft abgeschwächt.
Diese Thesen sind in der Folgezeit vielfach diskutiert, verändert und auch verworfen worden. Nach dem heutigen Stand sind jedoch zumindest die beiden ersten Thesen weiterhin aktuell.
Grundlagen zum HLA-sharing
Der Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) ist ein bei allen höheren Vertebraten vorkommendes Gensystem, das beim Menschen HLA-System heißt und auf dem kurzen Arm des Chromosoms 6 lokalisiert ist. Das HLA-System kodiert u. a. für Zelloberflächenantigene, bei denen man Moleküle der Klasse I (HLA-A, -B, -C) und der Klasse II (HLA-DR, -DQ, -DP) unterscheidet. An jedem dieser Genorte sind zahlreiche Allele bekannt. An HLA-B lassen sich z. B. serologisch 47 und mit molekularbiologischen Methoden mehr als 95 Allele unterscheiden. Dieser Polymorphismus hat zur Folge, daß die Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung von HLA-Antigenen zwischen nicht verwandten Individuen extrem gering ist. Inzuchttierstämme, die definitionsgemäß MHC-identisch sind, weisen eine gegenüber der Normalpopulation deutlich eingeschränkte Reproduktionsfähigkeit auf. Aus dieser Beobachtung schloß man auf einen Zusammenhang zwischen der Übereinstimmung im MHC und einer verminderten Reproduktionsfähigkeit (Beer et al. 1975). Erste Untersuchungen an menschlichen Paaren mit habituellen Aborten ergaben tatsächlich eine erhöhte Übereinstimmung der Partner im HLA-System gegenüber Normalkollektiven (erhöhtes HLA-sharing) (Komlos et al. 1977; Gerencer et al.1979). Als ein Postulat der Transplantationsimmunologie gilt die Tatsache, daß fremde Organe nach einer Transplantation besonders gut toleriert werden, wenn Spender und Empfänger in ihren HLA-Merkmalen weitgehend identisch sind. Diese Tatsache ist etabliert und z. B. Grundlage für die Vergabe von Nierentransplantaten. Die Ergebnisse der HLA-Untersuchungen an Paaren mit habituellen Aborten stehen zu diesem Postulat im scheinbaren Gegensatz, da die Abortrate offenbar mit zunehmendem HLA-sharing ansteigt. Zur Erklärung dieses Widerspruchs wurde eine spezielle Theorie entwickelt: Der immunologisch fremde Trophoblast wird unter normalen Umständen vom mütterlichen Immunsystem als fremd erkannt. Diese Erkennung führt jedoch nicht zur Abstoßung, sondern zur Induktion einer schützenden Reaktion, d. h. zur Bildung "blockierender Faktoren". Das Überleben des Trophoblasten ist somit nach dieser Theorie von der rechtzeitigen Induktion einer schützenden Reaktion abhängig. Wenn die HLA-Übereinstimmung der Partner zu groß ist, unterbleibt jedoch die Erkennung als fremd und somit auch die Bildung der "blockierenden Faktoren". Folge ist die Abstoßung der Schwangerschaft. Die These der Notwendigkeit blockierender Faktoren für den normalen Schwangerschaftsverlauf wurde durch den Nachweis derartiger Faktoren in der Schwangerschaft durch Rocklin (1982) unterstützt. Faulk et al. (1978) fanden eine Kreuzreaktion zwischen bestimmten Trophoblastantigenen und peripheren Lymphozyten. Die derart charakterisierten Trophoblastantigene wurden als Trophoblast-Lymphocytecrossreacting (TLX-Antigene) bezeichnet. Paare mit habituellen Aborten sollten dieselben oder ähnliche TLX-Profile aufweisen. Die in normalen Schwangerschaften erfolgende Erkennung der allogenen paternalen TLX-Antigene sollte nach diesem Konzept ebenfalls zur Bildung blockierender Faktoren führen. Bei Übereinstimmung der TLX-Antigene unterbliebe die Erkennung und damit auch die Induktion der Schutzreaktion. Inzwischen konnten die TLX-Antigene als komplementinaktivierende CD46-Antigene identifiziert werden (Purcell et al. 1990).
Grundlagen der Immuntherapie habitueller Aborte
Unabhängig voneinander entwickelten zwei Arbeitsgruppen auf der Basis der zuvor erwähnten Theorie Therapieverfahren zur Behandlung immunologisch bedingter Aborte. Unter der Annahme einer auf dem natürlichen Wege unzureichenden Auseinandersetzung mit den Antigenen des Partners behandelten Beer et al. Die Frauen vor einer erneuten Schwangerschaft im Sinne einer "Drittort-Immunisierung" mit Lymphozyten des Partners. Zwei der drei immunisierten Frauen wurden anschließend schwanger und trugen die Schwangerschaft aus (Beer et al. 1981). Taylor und Faulk vermuteten aufgrund ihres TLX-Konzepts, daß nur eine Therapie mit fremden, TLX-differenten Lymphozyten erfolgreich sein könne. Eine Immunisierung mit gepoolten Drittspenderlymphozyten führte bei 3 von 4 Frauen nach einer Vorgeschichte von habituellen Aborten zur Geburt gesunder Kinder (Taylor u. Faulk 1981). Grundlage beider therapeutischer Ansätze war somit die Überlegung, daß zum erfolgreichen Austragen einer Schwangerschaft die Bildung schützender oder blockierender Antikörper erforderlich ist. Beer vermutete als möglichen Wirkmechanismus dieser Antikörper eine Maskierung fetaler Antigene sowie die Blockade zytotoxischer Antikörper bzw. eine
Regulation antigenspezifischer T-Lymphozyten (Beer 1990).
HLA-System und habituelle Aborte
In Übereinstimmung mit den oben vorgestellten Thesen von Medawar sind die Trophoblastzellen an der fetomaternalen Grenze eine immunologische Barriere, da sie normalerweise weder von fetalen noch mütterlichen Zellen passiert werden können. Des weiteren exprimieren die Trophoblastzellen nicht die klassischen Antigene der HLA-Klasse I (HLA-A und -B) und HLA-Klasse II (HLA-DR, -DQ und -DP) wie sie sonst auf nahezu allen anderen menschlichen Zelllinien gefunden werden können (Sunderland et al. 1981). Als einzige HLA-Antigene werden auf dem Trophoblasten HLA-G und HLA-C (Ellis et al. 1990; Kovats et al. 1990; Sernee et al. 1998) gefunden. HLA-Gist ein an andere Klasse-I HLA-Moleküle erinnerndes membranständiges Polypeptid. Zunächst schien es keinen Polymorphismus aufzuweisen, eine Bedeutung als Transplantationsantigen galt daher als unwahrscheinlich. Inzwischen ist allerdings bekannt, daß die Aussage eines fehlenden Polymorphismus nur für die kaukasische Bevölkerung gilt, in anderen ethnischen Gruppen ist HLA-G auch polymorph (van der Ven u. Ober 1994). Zur Bedeutung des HLA-G wurden zwischenzeitlich zahlreiche Vermutungen geäußert. Unter anderem wurde dem HLA-G eine Schutzfunktion zugesprochen. Nach der "missing self-hypothese" (Ljunggren u. Karre 1990) sind Zellen, die keine HLA-Antigene aufweisen, Ziel des Angriffs von NK-Zellen. Dementsprechend wird eine erhöhte NK-Zellaktivität als Ursache habitueller Aborte diskutiert (Aoki et al. 1995). Rouas Freiss et al. fanden Hinweise auf eine schützende Funktion des HLA-G gegen den Angriff mütterlicher uteriner NK-Zellen (Rouas-Treiss et al. 1997). Zur Bedeutung des ebenfalls auf dem Trophoblasten nachgewiesene HLA-C ist bisher wenig bekannt. Da HLA-Antigene auf der fetoplazentaren Einheit weitgehend fehlen, sind somit auch HLA-vermittelte Abwehrreaktionen der Mutter gegen paternale Antigene des Feten nicht zu erwarten. Die Studien zum vermehrten HLA-sharing der Paare mit habituellen Aborten sind daher in den Hintergrund getreten. Eine Literaturübersicht zu den wichtigsten Studien findet sich bei Christiansen (1997). In einer eigenen Untersuchung fand sich überraschend ein erhöhtes HLA-sharing fertiler Paare gegenüber einem Vergleichskollektiv mit habituellen Aborten (Hinney u. Neumeyer 1991). Nach Ansicht einiger Autoren besteht auch ein Zusammenhang zwischen dem Nachweis verschiedener HLA-Haplotypen und dem Auftreten habitueller Aborte und evtl. auch intrauteriner Wachstumsretardierungen (IUGR). Es konnten immungenetische Marker als Risikofaktoren identifiziert werden (Christiansen 1997). Ein interessanter Aspekt geht aus der kürzlich erschienenen Arbeit von Hataya et al. (1998) hervor. In einer Untersuchung an 56 Patientinnen mit habituellen Aborten und positiven ACA konnten die Autoren unter Anwendung der PCR signifikante Unterschiede bestimmter HLA-Genotypen der Klasse II gegenüber einem Vergleichskollektiv nachweisen. Die Autoren leiten aus diesen Befunden eine Rolle des HLA-Systems bei der Genese des Antiphospholipidsyndroms ab. Nach dem heutigen Kenntnisstand ist dennoch die routinemäßige HLA-Typisierung von Paaren mit habituellen Aborten nicht indiziert. Diese Untersuchung sollte wissenschaftlichen Fragestellungen vorbehalten bleiben.
Aktive Immuntherapie
Die Ergebnisse der aktiven Immuntherapie waren anfangs ermutigend. Eine erste Doppelblindstudie wurde 1985 von Mowbray et al. Publiziert (Mowbray et al. 1985). In dieser Studie wurden Patientinnen randomisiert und doppelblind entweder mit den Lymphozyten des Partners (Verum) oder mit Lymphozyten aus Eigenblut (Plazebo) behandelt. Einschlußkriterium für die Studie waren drei oder mehr vorausgegangene Aborte und zwei oder mehr übereinstimmende HLA-Antigene der Partner. Entgegen den anfangs erwähnten Definitionen wurden allerdings auch Patientinnen mit sekundären Aborten, d. h. einer vorausgegangenen ausgetragenen Schwangerschaft, eingeschlossen. Die Ergebnisse dieser Studie gehen aus Tabelle 2 hervor. In späteren Studien konnten diese Ergebnisse nicht reproduziert werden. Zwischenzeitlich wurden auch Zweifel am Design der Studie geäußert (Hill 1991). Zunächst fand die aktive Immuntherapie nach dieser Studie jedoch weite Verbreitung. Bis zur Publikation weiterer kontrollierter Studien verging relativ viel Zeit. Die ersten Folgestudien zeigten eine nicht signifikante Tendenz zugunsten der Immuntherapie (Ho et al. 1991; Gatenby et al. 1993; Christiansen et al. 1994). Eine australische Studie zeigte sogar ein besseres Ergebnis in der Plazebogruppe (Cauchi et al. 1991). Aufgrund dieser unklaren Ergebnisse veranlaßte das Ethikkomitee der American Society of Reproductive Immunology (ASRI) eine Studie zur Klärung der Frage, ob die aktive Immuntherapie die Rate von Lebendgeburten bei Patientinnen mit habituellen Aborten erhöht. Zur Beantwortung dieser Frage wurden weltweit Originaldaten aus laufenden und abgeschlossenen Studien gesammelt. 430 Fälle aus 8 Studien eigneten sich für die Auswertung (Recurrent Miscarriage Immunotherapy Trialists Group 1994). Die Erfolgsrate war in der Therapiegruppe gegenüber der Plazebogruppe signifikant erhöht (odds ratio 1,16, 95% CI 1,01 bis 1,36, p < 0,02). Dieses Ergebnis war allerdings allein auf die Patientinnen mit primären habituellen Aborten zurück zu führen (odds ratio 1,21, 95% CI 1,03 bis 1,41, p = 0,025). Bei Patientinnen mit sekundären habituellen Aborten konnte dagegen kein therapeutischer Effekt nachgewiesen werden. Der therapeutische Effekt der Therapie in der gesamten Patientengruppe wurde mit 8%angegeben. Daya und Gunby (1994) führten daraufhin eine weitere Metaanalyse an einer Untergruppe von 285 Patientinnen der genannten Studie durch. Die Autoren selektierten aus der Studie Patientinnen nach folgenden Kriterien: Drei oder mehr Spontanaborte, keine über die 20. SSW hinaus ausgetragene Schwangerschaft, keine erkennbaren Ursachen der Aborte, keine Hinweise auf antipaternale und antinukleäre Antikörper und keine ACA. Die Metaanalyse dieser Subgruppe ließ einen signifikanten Effekt der Immuntherapie erkennen: In der Therapiegruppe trugen 91 von 150 Patientinnen (61%) die Schwangerschaft aus, in der Plazebogruppe 60 von 135 (44%). Der therapeutische Effekt der Therapie errechnete sich mit 16,3%(Tabelle 3).
Indikationsstellung zur aktiven Immuntherapie
Aus den Ergebnissen dieser Studie ergibt sich auch die heute allgemein akzeptierte Indikationsstellung zur aktiven Immuntherapie (Tabelle 4). Im Vordergrund steht die Anamnese der Patientin: Eine Immuntherapie sollte nur bei Patientinnen mit drei oder mehr Frühaborten erfolgen. Des weiteren sollte die Patientin zuvor zumindest in der gleichen Partnerschaft keine Schwangerschaft ausgetragen haben. Die Grenze im Falle von Spätaborten wird zwischen der 16. und 20. SSW gesehen. Andere erkennbare Abortursachen sollten weitgehend ausgeschlossen werden. Als Mindestdiagnostik gelten die Chromosomenuntersuchung beider Partner, eine endokrinologische Abklärung und der Ausschluß uteriner Ursachen. Des weiteren sollte das Vorhandensein von antipaternalen AK und ACA bei der Patientin ausgeschlossen werden. Der Ausschluß von blockierenden Faktoren erfolgt unter Verwendung unterschiedlicher Verfahren. Von Power wurde z.B. der EAI-Test (Erythrocyte Antibodyrosette Inhibition) eingeführt (Power et al. 1983). Andere Autoren verwenden die maternale/paternale mixed lymphocyte reaction (MLR) (Unander et al. 1985). Das erhöhte HLA-sharing spielt als Indikation für eine aktive Immuntherapie keine Rolle mehr. Bei den Auswahlkriterien handelt es sich bis auf die anamnestischen Daten um Ausschlußkriterien. Leider steht bisher kein positives Selektionskriterium zur Verfügung, d.h. es gibt kein Testverfahren, um zu ermitteln, ob eine Patientin von der Immuntherapie profitieren wird, es können lediglich die für die Therapie vermutlich nicht geeigneten Patientinnen ausgeschlossen werden. Nach der Auswertung von Daya und Gunby (1994) profitiert nach den heute zur Verfügung stehenden Kriterien nur eine von sechs behandelten Patientinnen von der Therapie. Ein wesentliches Ziel zukünftiger Forschung muß somit in der Entwicklung besser geeigneter Selektionskriterien bestehen.
Eigene Ergebnisse der aktiven Immuntherapie
In der Universitätsfrauenklinik Göttingen und der Abteilung für Immunologie der Universität Göttingen werden seit 1984 aktive Immunbehandlungen bei Patientinnen mit habituellen Aborten durchgeführt (Neumeyer et al. 1985). Behandelt werden nur primär abortierende Patientinnen nach 3 oder mehr Frühaborten und nach Ausschluß anderer bekannter Abortursachen sowie bei negativem EAI-Test. Die in Tabelle 5 nach der Anzahl vorausgegangener Aborte aufgeschlüsselten Therapieergebnisse sind mit den Ergebnissen der recurrent miscarriage immunotherapy trialists group (Daya u. Gunby 1994) vergleichbar (Abb.4).
Risiken der Therapie
Mit der Einführung der aktiven Immuntherapie wurde auch auf die Risiken dieser Behandlung hingewiesen (Tabelle 6). Im Vordergrund stehen die Risiken jeder Blutübertragung. Eine Besonderheit der Therapie mit Partnerlymphozyten besteht allerdings in der Tatsache, daß der Partner in der Mehrzahl der Fälle nicht die gleiche Blutgruppe aufweist und auch nicht selten Rh-inkompatibel ist. Die dadurch entstehenden Probleme sollten durch sorgfältige Abtrennung der Erythrozyten vor Übertragung der Lymphozyten vermieden werden. Des weiteren wird bei Rh-Inkompatibilität sicherheitshalber Anti-D-Immunglobulin verabreicht. Zur Therapie mit Drittspenderlymphozyten sollten grundsätzlich nur blutgruppenkompatible Spender herangezogen werden.
Eine ernst zu nehmende Gefahr wird auch in der Möglichkeit einer "graft versus host disease" (GVHD) beim Kind gesehen. Es handelt sich dabei um die Reaktion immunologisch kompetenter Zellen in einem Transplantat gegen das Gewebe eines genetisch nicht identisch Empfängers (Katz et al. 1992). Weitere Risiken bestehen durch die Übertragung von Infektionserregern. Im Vordergrund steht dabei der Zytomegalievirus (CMV). Etwa 45±45 % der Bevölkerung im reproduktiven Alter ist CMV positiv (Enders 1988). Die CMV-DNA wird mit Lymphozyten übertragen. Normalerweise ist die CMV-Infektion harmlos. Falls sich jedoch eine Frau in der Schwangerschaft erstmals mit Zytomegalie infiziert, besteht das Risiko einer schweren Schädigung des Kindes. Die Übertragung CMV-positiver Blutprodukte muß daher in der Schwangerschaft strikt vermieden werden. Dies gilt auch für CMV-positive Frauen, da es zur Reaktivierung der Erkrankung kommen kann. Die Sorge vor der Übertragung weiterer, bisher möglicherweise noch nicht bekannter, Infektionen hat die Therapie mit Drittspenderlymphozyten inzwischen in den Hintergrund treten lassen.
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Reproduktionsgenetik
Zusammenfassung
Habituelle Aborte sind wie sporadisch auftretende Aborte etwa zur Hälfte durch Chromosomenstörungen bedingt. Ein nicht klar definierter Anteil der anderen Hälfte ist vermutlich auf immunologische Ursachen zurückzuführen. Grundlage dieser Annahme ist die Überlegung, daß das mütterliche Immunsystem die vom Vater stammenden Antigene als fremd erkennt und abstößt. Unter der Annahme einer unzureichenden Erkennung des Feten durch das mütterliche Immunsystem und einer daraus folgenden insuffizienten Schutzreaktion wurde die aktive Immuntherapie mit Partner und Drittspenderlymphozyten entwickelt. Inzwischen liegen mehrere plazebokontrollierte Studien zu dieser Therapie vor. Die Ergebnisse der einzelnen Studien sind aufgrund der geringen Fallzahlen nicht signifikant. Metaanalysen ergeben jedoch einen signifikant positiven Effekt der aktiven Immuntherapie bei primär abortierenden Paaren. Die Risiken der aktiven Immuntherapie führten zur Entwicklung der passiven Immuntherapie mit Immunglobulinen (IVIG). Die Behandlung ist relativ kostspielig. Plazebokontrollierte Studien ergaben divergierende Resultate. In einer Metaanalyse ließ sich gegenüber der Plazebobehandlung kein signifikanter Therapieeffekt nachweisen. Die Indikation zu beiden Formen der Immuntherapie sollte streng gestellt werden. Es sollten nur Patientinnen mit drei oder mehr Aborten nach Ausschluß erkennbarer anderer Abortursachen behandelt werden. Zumindest für die aktive Immuntherapie sind offenbar nur primär abortierende Patientinnen geeignet.
Schlüsselwörter
Habituelle Aborte ± Abortursachen ± Immunologie ± Immuntherapie
Immuntherapie habitueller Aborte
B. Hinney 1 , H. Neumeyer 2
1 Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe
im Zentrum für Frauenheilkunde der Universität Göttingen
2 Abteilung für Immunologie im Zentrum für Hygiene
und Humangenetik der Universität Göttingen
Priv.-Doz. Dr. Dr. B. Hinney
Universitätsfrauenklinik Göttingen,
Robert-Koch-Straße 40,
D-37075 Göttingen,
e-mail: bhinney@med-uni.goettingen.de,
Tel.: 0551±396527, Fax: 0551±396528
Das pränatale Leben ist für den Menschen mit hohen Risiken verbunden. Mindestens 60 % aller Embryonen sterben vor der Geburt. Da sich viele dieser frühen Aborte innerhalb der ersten Tage nach der Konzeption ereignen, werden sie den betroffenen Frauen nicht bewußt (Miller et al. 1980; Edmonds et al. 1982; Wilcox et al. 1988). Ein Großteil dieser frühen Verluste ist Ausdruck der fehlenden Selektion von Gameten vor der Fertilisation, denn sowohl Eizellen als auch Spermatozoen weisen zu erheblichen Anteilen Chromosomenstörungen auf (Engel et al. 1996). Aus den vorliegenden Untersuchungen ergibt sich, daß die frühen Embryonenverluste in erster Linie chromosomal bedingt sind. Mit zunehmendem Schwangerschaftsalter sinkt der Anteil zytogenetisch auffälliger Aborte. Dennoch findet man bei klinischen Frühaborten in etwa der Hälfte der Fälle chromosomale Ursachen (Eiben et al. 1990). Diese Aussage bedeutet aber auch, daß sich bei der anderen Hälfte klinischer Aborte keine zytogenetischen Ursachen finden lassen. Die Abklärung anderweitiger Abortursachen soll im folgenden erörtert werden.
Bekannte Ursachen von Frühaborten
Ursachen von Frühaborten lassen sich, von den zuvor erwähnten zytogenetischen Ursachen abgesehen, selten eindeutig klären. In diesem Zusammenhang muß jedoch betont werden, daß die zytogenetische Abklärung von Frühaborten nur ausnahmsweise erfolgt. Da das Abortmaterial zur chromosomalen Untersuchung frisch und unfixiert in ein zytogenetisches Labor gelangen muß, ist der organisatorische Aufwand vergleichsweise hoch. Im Normalfall muß daher auf das Ergebnis der zytogenetischen Diagnostik verzichtet werden. Publikationen zur Verteilung von Abortursachen sollten unter diesem Gesichtspunkt mit gewissem Vorbehalt betrachtet werden. Drei Publikationen sind in Tabelle 1 beispielhaft zusammengestellt (Stray-Pedersen u. Stray-Pedersen 1984; Clifford et al. 1994; Stephenson 1996). Die in Tabelle 1 aufgeführten Befunde dürfen allerdings nicht mit "Abortursachen" gleichgesetzt werden: Nicht jede der genannten Störungen ist auch tatsächlich eine Erklärung für den vorausgegangenen Abort. Beispielhaft soll in diesem Zusammenhang die Corpus-luteum-Insuffizienz (CLI) genannt werden. Die CLI ist eine beliebte Diagnose zur Erklärung von Sterilität und Infertilität. Allerdings sind die Kriterien zur Diagnose der CLI keineswegs einheitlich. So wird von einigen Autoren eine Endometriumbiopsie zur Diagnose herangezogen (Jones 1976; McNeely u. Soules 1988), während andere in erster Linie die Progesteronwerte in der Lutealphase bewerten (Jordan et al. 1994). Erschwert wird die Diagnostik weiterhin durch teilweise erhebliche Schwankungen des Progesteronserumspiegels in der Lutealphase (Hinney 1995) (Abb.1). Diese Ausführungen zur CLI sollten beispielhaft zeigen, daß die Zuordnung von Befunden sehr problematisch sein kann. Zusätzlich bleibt häufig offen, ob die erhobenen Befunde tatsächlich eine Relevanz für das Abortgeschehen haben. Dies gilt insbesondere auch für das von Clifford et al. (1994) hervorgehobene PCO-Syndrom. Besondere Erwähnung müssen allerdings im Zusammenhang mit immunologischen Abortursachen Antiphospholipidantikörper (APA) finden. APA sind eine heterogene Gruppe von Antikörpern, die sich gegen verschiedene Epitope, u.a. auch gegen Cardiolipin richten. APA beeinflussen die Blutgerinnung im Sinne einer Thrombophilie. Außerdem ist bekannt, daß es bei Frauen mit nachgewiesenen APA gehäuft zu Aborten, intrauterinenFruchttodenundvorzeitigenPlazentalösungenkommt.Diese Erkrankung wird als Antiphospholipidsyndrom bezeichnet (Hughes et al. 1986; Ruiz et al. 1995). Der Nachweis von APA (häufig werden lediglich Anticardiolipinantikörper [ACA] bestimmt) weist auf ein erhöhtes Abortrisiko hin. Therapieansätze bestehen in der Gabe von Aspirin, Heparin und Immunglobulinen (Cowchock et al. 1992). Die nachfolgend dargestellte aktive Immuntherapie ist zur Behandlung des Antiphospholipidsyndroms nicht geeignet, der Nachweis von APA wird gewöhnlich sogar als Kontraindikation gegen eine aktive Immuntherapie angesehen. In neuerer Zeit werden auch weitere Störungen des Gerinnungssystems im Sinne einer Thrombophilie als Abortursachen diskutiert. Neben einer Verminderung des Faktor-XII (Schved et al. 1989; Braulke et al. 1993) werden auch eine verminderte APC-Resistenz bzw. der Nachweis des Faktor-V-Leiden als begünstigend für Aborte angesehen (Raj et al. 1996; Pauer et al. 1998; Younis 1998). Trotz aller Bemühungen gelingt es aber bei einem Teil der Patientinnen nicht, eine akzeptable Ursache für den Abort zu finden. In diesen Fällen werden vor allem psychische und immunologische Ursachen diskutiert. Die besondere Rolle psychischer Faktoren wurde durch die Arbeit von Stray-Pedersen und Stray-Pedersen (1984) hervorgehoben. In dieser Untersuchung konnte eine hohe Rate ausgetragener Schwangerschaften durch "tender loving care" erreicht werden. "Tender loving care" sollte somit essentieller Bestandteil der Betreuung von Paaren mit habituellen Aborten sein. Auf die immunologischen Ursachen soll anschließend detaillierter eingegangen werden. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen könnten sich die Abortursachen wie in Abb.2 dargestellt verteilen. Die sich aus der Abb.2 ergebenden quantitativen Verteilungen sind mit Ausnahme des Anteils chromosomaler Ursachen allerdings nur als Schätzwerte zu betrachten.
Habituelle Aborte
Unter habituellen Aborten versteht man das Auftreten von drei oder mehr aufeinanderfolgenden Aborten bei einer Patientin. Bei einer Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Spontanaborten von ca. 15 % liegt die Wahrscheinlichkeit von 3 aufeinanderfolgenden Aborten rechnerisch bei 0,3 % (Wahrscheinlichkeit für den 1. Abort 0,15, für den 2. Abort 0,152 = 0,022, für den 3. Abort 0,153 = 0,003). In epidemiologischen Studien ist die beobachtete Rate habitueller Aborte jedoch deutlich höher. Beobachtet werden drei und mehr Aborte bei 1-2 % der Frauen (Abb. 3). Es kann somit geschlossen werden, daß es sich zumindest bei einem Teil der habituellen Aborten nicht um rein zufällige Ereignisse handelt. Als Ursache ist eher eine eigenständige Erkrankung anzunehmen (Christiansen 1997). Nach neueren Untersuchungen ist der Anteil von Chromosomenstörungen in Abortmaterialien habituell abortierender Paare vergleichbar mit den Ergebnissen bei sporadisch abortierenden Paaren. Cowchock et al. (1993) gelang es, von 100 Spontanaborten 84 chromosomal zu untersuchen. Die Häufigkeit von pathologischen Karyotypen des Abortmaterials lag bei Frauen mit 3-6 Aborten bei 40 % (95 % CI1 , 12-74 %). In einer weiteren Untersuchung von Stern et al. (1996) fanden sich in einem Kollektiv von 94 Frauen mit habituellen Aborten sogar bei 57 % chromosomal auffällige Aborte. Bei der Betrachtung habitueller Aborte sollten zwei zusätzliche Begriffe definiert werden:
- primäre habituelle Aborte,
- sekundäre habituelle Aborte.
Unter primären habituellen Aborten versteht man drei oder mehr aufeinanderfolgende Frühaborte bei Frauen, die keine Schwangerschaft über die 16. SSW hinaus ausgetragen haben. Falls zunächst eine Schwangerschaft ausgetragen wurde, dann aber habituelle Aborte folgen, spricht man von sekundären habituellen Aborten. Genese und Behandlungsmöglichkeiten beider Krankheitsbilder sind verschieden, nachfolgend wird daher auf die unterschiedliche Behandlung beider Erkrankungen hingewiesen.
Immunologische Abortursachen
Immunologische Abortursachen werden seit etwa 1950 diskutiert. Zu dieser Zeit wurden die Grundlagen der
Transplantationsimmunologie gelegt, und daraus ergab sich u. a. die Frage, wie der immunologisch lediglich haploidentische Embryo vom Immunsystem der Mutter toleriert wird. Der spätere Nobelpreisträger Medawar entwickelte zu dieser Frage verschiedene Thesen (Medawar 1953):
- Die Plazenta ist eine wirksame immunologische Barriere zwischen der Mutter und dem Feten.
- Der Konzeptus ist nicht immunogen, er ruft daher keine Immunantwort hervor.
- Die mütterliche Immunantwort wird durch die Schwangerschaft abgeschwächt.
Diese Thesen sind in der Folgezeit vielfach diskutiert, verändert und auch verworfen worden. Nach dem heutigen Stand sind jedoch zumindest die beiden ersten Thesen weiterhin aktuell.
Grundlagen zum HLA-sharing
Der Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) ist ein bei allen höheren Vertebraten vorkommendes Gensystem, das beim Menschen HLA-System heißt und auf dem kurzen Arm des Chromosoms 6 lokalisiert ist. Das HLA-System kodiert u. a. für Zelloberflächenantigene, bei denen man Moleküle der Klasse I (HLA-A, -B, -C) und der Klasse II (HLA-DR, -DQ, -DP) unterscheidet. An jedem dieser Genorte sind zahlreiche Allele bekannt. An HLA-B lassen sich z. B. serologisch 47 und mit molekularbiologischen Methoden mehr als 95 Allele unterscheiden. Dieser Polymorphismus hat zur Folge, daß die Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung von HLA-Antigenen zwischen nicht verwandten Individuen extrem gering ist. Inzuchttierstämme, die definitionsgemäß MHC-identisch sind, weisen eine gegenüber der Normalpopulation deutlich eingeschränkte Reproduktionsfähigkeit auf. Aus dieser Beobachtung schloß man auf einen Zusammenhang zwischen der Übereinstimmung im MHC und einer verminderten Reproduktionsfähigkeit (Beer et al. 1975). Erste Untersuchungen an menschlichen Paaren mit habituellen Aborten ergaben tatsächlich eine erhöhte Übereinstimmung der Partner im HLA-System gegenüber Normalkollektiven (erhöhtes HLA-sharing) (Komlos et al. 1977; Gerencer et al.1979). Als ein Postulat der Transplantationsimmunologie gilt die Tatsache, daß fremde Organe nach einer Transplantation besonders gut toleriert werden, wenn Spender und Empfänger in ihren HLA-Merkmalen weitgehend identisch sind. Diese Tatsache ist etabliert und z. B. Grundlage für die Vergabe von Nierentransplantaten. Die Ergebnisse der HLA-Untersuchungen an Paaren mit habituellen Aborten stehen zu diesem Postulat im scheinbaren Gegensatz, da die Abortrate offenbar mit zunehmendem HLA-sharing ansteigt. Zur Erklärung dieses Widerspruchs wurde eine spezielle Theorie entwickelt: Der immunologisch fremde Trophoblast wird unter normalen Umständen vom mütterlichen Immunsystem als fremd erkannt. Diese Erkennung führt jedoch nicht zur Abstoßung, sondern zur Induktion einer schützenden Reaktion, d. h. zur Bildung "blockierender Faktoren". Das Überleben des Trophoblasten ist somit nach dieser Theorie von der rechtzeitigen Induktion einer schützenden Reaktion abhängig. Wenn die HLA-Übereinstimmung der Partner zu groß ist, unterbleibt jedoch die Erkennung als fremd und somit auch die Bildung der "blockierenden Faktoren". Folge ist die Abstoßung der Schwangerschaft. Die These der Notwendigkeit blockierender Faktoren für den normalen Schwangerschaftsverlauf wurde durch den Nachweis derartiger Faktoren in der Schwangerschaft durch Rocklin (1982) unterstützt. Faulk et al. (1978) fanden eine Kreuzreaktion zwischen bestimmten Trophoblastantigenen und peripheren Lymphozyten. Die derart charakterisierten Trophoblastantigene wurden als Trophoblast-Lymphocytecrossreacting (TLX-Antigene) bezeichnet. Paare mit habituellen Aborten sollten dieselben oder ähnliche TLX-Profile aufweisen. Die in normalen Schwangerschaften erfolgende Erkennung der allogenen paternalen TLX-Antigene sollte nach diesem Konzept ebenfalls zur Bildung blockierender Faktoren führen. Bei Übereinstimmung der TLX-Antigene unterbliebe die Erkennung und damit auch die Induktion der Schutzreaktion. Inzwischen konnten die TLX-Antigene als komplementinaktivierende CD46-Antigene identifiziert werden (Purcell et al. 1990).
Grundlagen der Immuntherapie habitueller Aborte
Unabhängig voneinander entwickelten zwei Arbeitsgruppen auf der Basis der zuvor erwähnten Theorie Therapieverfahren zur Behandlung immunologisch bedingter Aborte. Unter der Annahme einer auf dem natürlichen Wege unzureichenden Auseinandersetzung mit den Antigenen des Partners behandelten Beer et al. Die Frauen vor einer erneuten Schwangerschaft im Sinne einer "Drittort-Immunisierung" mit Lymphozyten des Partners. Zwei der drei immunisierten Frauen wurden anschließend schwanger und trugen die Schwangerschaft aus (Beer et al. 1981). Taylor und Faulk vermuteten aufgrund ihres TLX-Konzepts, daß nur eine Therapie mit fremden, TLX-differenten Lymphozyten erfolgreich sein könne. Eine Immunisierung mit gepoolten Drittspenderlymphozyten führte bei 3 von 4 Frauen nach einer Vorgeschichte von habituellen Aborten zur Geburt gesunder Kinder (Taylor u. Faulk 1981). Grundlage beider therapeutischer Ansätze war somit die Überlegung, daß zum erfolgreichen Austragen einer Schwangerschaft die Bildung schützender oder blockierender Antikörper erforderlich ist. Beer vermutete als möglichen Wirkmechanismus dieser Antikörper eine Maskierung fetaler Antigene sowie die Blockade zytotoxischer Antikörper bzw. eine
Regulation antigenspezifischer T-Lymphozyten (Beer 1990).
HLA-System und habituelle Aborte
In Übereinstimmung mit den oben vorgestellten Thesen von Medawar sind die Trophoblastzellen an der fetomaternalen Grenze eine immunologische Barriere, da sie normalerweise weder von fetalen noch mütterlichen Zellen passiert werden können. Des weiteren exprimieren die Trophoblastzellen nicht die klassischen Antigene der HLA-Klasse I (HLA-A und -B) und HLA-Klasse II (HLA-DR, -DQ und -DP) wie sie sonst auf nahezu allen anderen menschlichen Zelllinien gefunden werden können (Sunderland et al. 1981). Als einzige HLA-Antigene werden auf dem Trophoblasten HLA-G und HLA-C (Ellis et al. 1990; Kovats et al. 1990; Sernee et al. 1998) gefunden. HLA-Gist ein an andere Klasse-I HLA-Moleküle erinnerndes membranständiges Polypeptid. Zunächst schien es keinen Polymorphismus aufzuweisen, eine Bedeutung als Transplantationsantigen galt daher als unwahrscheinlich. Inzwischen ist allerdings bekannt, daß die Aussage eines fehlenden Polymorphismus nur für die kaukasische Bevölkerung gilt, in anderen ethnischen Gruppen ist HLA-G auch polymorph (van der Ven u. Ober 1994). Zur Bedeutung des HLA-G wurden zwischenzeitlich zahlreiche Vermutungen geäußert. Unter anderem wurde dem HLA-G eine Schutzfunktion zugesprochen. Nach der "missing self-hypothese" (Ljunggren u. Karre 1990) sind Zellen, die keine HLA-Antigene aufweisen, Ziel des Angriffs von NK-Zellen. Dementsprechend wird eine erhöhte NK-Zellaktivität als Ursache habitueller Aborte diskutiert (Aoki et al. 1995). Rouas Freiss et al. fanden Hinweise auf eine schützende Funktion des HLA-G gegen den Angriff mütterlicher uteriner NK-Zellen (Rouas-Treiss et al. 1997). Zur Bedeutung des ebenfalls auf dem Trophoblasten nachgewiesene HLA-C ist bisher wenig bekannt. Da HLA-Antigene auf der fetoplazentaren Einheit weitgehend fehlen, sind somit auch HLA-vermittelte Abwehrreaktionen der Mutter gegen paternale Antigene des Feten nicht zu erwarten. Die Studien zum vermehrten HLA-sharing der Paare mit habituellen Aborten sind daher in den Hintergrund getreten. Eine Literaturübersicht zu den wichtigsten Studien findet sich bei Christiansen (1997). In einer eigenen Untersuchung fand sich überraschend ein erhöhtes HLA-sharing fertiler Paare gegenüber einem Vergleichskollektiv mit habituellen Aborten (Hinney u. Neumeyer 1991). Nach Ansicht einiger Autoren besteht auch ein Zusammenhang zwischen dem Nachweis verschiedener HLA-Haplotypen und dem Auftreten habitueller Aborte und evtl. auch intrauteriner Wachstumsretardierungen (IUGR). Es konnten immungenetische Marker als Risikofaktoren identifiziert werden (Christiansen 1997). Ein interessanter Aspekt geht aus der kürzlich erschienenen Arbeit von Hataya et al. (1998) hervor. In einer Untersuchung an 56 Patientinnen mit habituellen Aborten und positiven ACA konnten die Autoren unter Anwendung der PCR signifikante Unterschiede bestimmter HLA-Genotypen der Klasse II gegenüber einem Vergleichskollektiv nachweisen. Die Autoren leiten aus diesen Befunden eine Rolle des HLA-Systems bei der Genese des Antiphospholipidsyndroms ab. Nach dem heutigen Kenntnisstand ist dennoch die routinemäßige HLA-Typisierung von Paaren mit habituellen Aborten nicht indiziert. Diese Untersuchung sollte wissenschaftlichen Fragestellungen vorbehalten bleiben.
Aktive Immuntherapie
Die Ergebnisse der aktiven Immuntherapie waren anfangs ermutigend. Eine erste Doppelblindstudie wurde 1985 von Mowbray et al. Publiziert (Mowbray et al. 1985). In dieser Studie wurden Patientinnen randomisiert und doppelblind entweder mit den Lymphozyten des Partners (Verum) oder mit Lymphozyten aus Eigenblut (Plazebo) behandelt. Einschlußkriterium für die Studie waren drei oder mehr vorausgegangene Aborte und zwei oder mehr übereinstimmende HLA-Antigene der Partner. Entgegen den anfangs erwähnten Definitionen wurden allerdings auch Patientinnen mit sekundären Aborten, d. h. einer vorausgegangenen ausgetragenen Schwangerschaft, eingeschlossen. Die Ergebnisse dieser Studie gehen aus Tabelle 2 hervor. In späteren Studien konnten diese Ergebnisse nicht reproduziert werden. Zwischenzeitlich wurden auch Zweifel am Design der Studie geäußert (Hill 1991). Zunächst fand die aktive Immuntherapie nach dieser Studie jedoch weite Verbreitung. Bis zur Publikation weiterer kontrollierter Studien verging relativ viel Zeit. Die ersten Folgestudien zeigten eine nicht signifikante Tendenz zugunsten der Immuntherapie (Ho et al. 1991; Gatenby et al. 1993; Christiansen et al. 1994). Eine australische Studie zeigte sogar ein besseres Ergebnis in der Plazebogruppe (Cauchi et al. 1991). Aufgrund dieser unklaren Ergebnisse veranlaßte das Ethikkomitee der American Society of Reproductive Immunology (ASRI) eine Studie zur Klärung der Frage, ob die aktive Immuntherapie die Rate von Lebendgeburten bei Patientinnen mit habituellen Aborten erhöht. Zur Beantwortung dieser Frage wurden weltweit Originaldaten aus laufenden und abgeschlossenen Studien gesammelt. 430 Fälle aus 8 Studien eigneten sich für die Auswertung (Recurrent Miscarriage Immunotherapy Trialists Group 1994). Die Erfolgsrate war in der Therapiegruppe gegenüber der Plazebogruppe signifikant erhöht (odds ratio 1,16, 95% CI 1,01 bis 1,36, p < 0,02). Dieses Ergebnis war allerdings allein auf die Patientinnen mit primären habituellen Aborten zurück zu führen (odds ratio 1,21, 95% CI 1,03 bis 1,41, p = 0,025). Bei Patientinnen mit sekundären habituellen Aborten konnte dagegen kein therapeutischer Effekt nachgewiesen werden. Der therapeutische Effekt der Therapie in der gesamten Patientengruppe wurde mit 8%angegeben. Daya und Gunby (1994) führten daraufhin eine weitere Metaanalyse an einer Untergruppe von 285 Patientinnen der genannten Studie durch. Die Autoren selektierten aus der Studie Patientinnen nach folgenden Kriterien: Drei oder mehr Spontanaborte, keine über die 20. SSW hinaus ausgetragene Schwangerschaft, keine erkennbaren Ursachen der Aborte, keine Hinweise auf antipaternale und antinukleäre Antikörper und keine ACA. Die Metaanalyse dieser Subgruppe ließ einen signifikanten Effekt der Immuntherapie erkennen: In der Therapiegruppe trugen 91 von 150 Patientinnen (61%) die Schwangerschaft aus, in der Plazebogruppe 60 von 135 (44%). Der therapeutische Effekt der Therapie errechnete sich mit 16,3%(Tabelle 3).
Indikationsstellung zur aktiven Immuntherapie
Aus den Ergebnissen dieser Studie ergibt sich auch die heute allgemein akzeptierte Indikationsstellung zur aktiven Immuntherapie (Tabelle 4). Im Vordergrund steht die Anamnese der Patientin: Eine Immuntherapie sollte nur bei Patientinnen mit drei oder mehr Frühaborten erfolgen. Des weiteren sollte die Patientin zuvor zumindest in der gleichen Partnerschaft keine Schwangerschaft ausgetragen haben. Die Grenze im Falle von Spätaborten wird zwischen der 16. und 20. SSW gesehen. Andere erkennbare Abortursachen sollten weitgehend ausgeschlossen werden. Als Mindestdiagnostik gelten die Chromosomenuntersuchung beider Partner, eine endokrinologische Abklärung und der Ausschluß uteriner Ursachen. Des weiteren sollte das Vorhandensein von antipaternalen AK und ACA bei der Patientin ausgeschlossen werden. Der Ausschluß von blockierenden Faktoren erfolgt unter Verwendung unterschiedlicher Verfahren. Von Power wurde z.B. der EAI-Test (Erythrocyte Antibodyrosette Inhibition) eingeführt (Power et al. 1983). Andere Autoren verwenden die maternale/paternale mixed lymphocyte reaction (MLR) (Unander et al. 1985). Das erhöhte HLA-sharing spielt als Indikation für eine aktive Immuntherapie keine Rolle mehr. Bei den Auswahlkriterien handelt es sich bis auf die anamnestischen Daten um Ausschlußkriterien. Leider steht bisher kein positives Selektionskriterium zur Verfügung, d.h. es gibt kein Testverfahren, um zu ermitteln, ob eine Patientin von der Immuntherapie profitieren wird, es können lediglich die für die Therapie vermutlich nicht geeigneten Patientinnen ausgeschlossen werden. Nach der Auswertung von Daya und Gunby (1994) profitiert nach den heute zur Verfügung stehenden Kriterien nur eine von sechs behandelten Patientinnen von der Therapie. Ein wesentliches Ziel zukünftiger Forschung muß somit in der Entwicklung besser geeigneter Selektionskriterien bestehen.
Eigene Ergebnisse der aktiven Immuntherapie
In der Universitätsfrauenklinik Göttingen und der Abteilung für Immunologie der Universität Göttingen werden seit 1984 aktive Immunbehandlungen bei Patientinnen mit habituellen Aborten durchgeführt (Neumeyer et al. 1985). Behandelt werden nur primär abortierende Patientinnen nach 3 oder mehr Frühaborten und nach Ausschluß anderer bekannter Abortursachen sowie bei negativem EAI-Test. Die in Tabelle 5 nach der Anzahl vorausgegangener Aborte aufgeschlüsselten Therapieergebnisse sind mit den Ergebnissen der recurrent miscarriage immunotherapy trialists group (Daya u. Gunby 1994) vergleichbar (Abb.4).
Risiken der Therapie
Mit der Einführung der aktiven Immuntherapie wurde auch auf die Risiken dieser Behandlung hingewiesen (Tabelle 6). Im Vordergrund stehen die Risiken jeder Blutübertragung. Eine Besonderheit der Therapie mit Partnerlymphozyten besteht allerdings in der Tatsache, daß der Partner in der Mehrzahl der Fälle nicht die gleiche Blutgruppe aufweist und auch nicht selten Rh-inkompatibel ist. Die dadurch entstehenden Probleme sollten durch sorgfältige Abtrennung der Erythrozyten vor Übertragung der Lymphozyten vermieden werden. Des weiteren wird bei Rh-Inkompatibilität sicherheitshalber Anti-D-Immunglobulin verabreicht. Zur Therapie mit Drittspenderlymphozyten sollten grundsätzlich nur blutgruppenkompatible Spender herangezogen werden.
Eine ernst zu nehmende Gefahr wird auch in der Möglichkeit einer "graft versus host disease" (GVHD) beim Kind gesehen. Es handelt sich dabei um die Reaktion immunologisch kompetenter Zellen in einem Transplantat gegen das Gewebe eines genetisch nicht identisch Empfängers (Katz et al. 1992). Weitere Risiken bestehen durch die Übertragung von Infektionserregern. Im Vordergrund steht dabei der Zytomegalievirus (CMV). Etwa 45±45 % der Bevölkerung im reproduktiven Alter ist CMV positiv (Enders 1988). Die CMV-DNA wird mit Lymphozyten übertragen. Normalerweise ist die CMV-Infektion harmlos. Falls sich jedoch eine Frau in der Schwangerschaft erstmals mit Zytomegalie infiziert, besteht das Risiko einer schweren Schädigung des Kindes. Die Übertragung CMV-positiver Blutprodukte muß daher in der Schwangerschaft strikt vermieden werden. Dies gilt auch für CMV-positive Frauen, da es zur Reaktivierung der Erkrankung kommen kann. Die Sorge vor der Übertragung weiterer, bisher möglicherweise noch nicht bekannter, Infektionen hat die Therapie mit Drittspenderlymphozyten inzwischen in den Hintergrund treten lassen.
<font size=-1>[ Diese Nachricht wurde geändert von: Silvia am 2002-01-05 15:05 ]</font>