Der liebe Gott?

Alle Fragen und Probleme, die man doch lieber anonym diskutieren möchte.
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Agnostikerin

Beitrag von Agnostikerin »

Hallo,

interessant, dass es hier noch weiter zum Thema ging.

Verwundert hat mich allerdings der Hinweis auf Logik im Umgang mit diesen religiös-weltanschaulichen Fragen, denn das erscheint mir persönich eine sehr begrenzte Definition des Menschseins.
Ich will mich nicht lustig machen, aber ich musste sofort an den Vulkanier Mr. Spock oder den Androiden Data oder den Computer Hal aus den Science Fictions denken, als ich das mit der logischen Weltanschauung bei Rebella las.

Vernunft fände ich persönlich treffender, für mich ist das ein menschlicherer und kein rein mathematisch-naturwissenschaftlicher Begriff und ist viel weit gefasster z.B in Bezug auf Fühlen, Denken, Kultur, menschliches Streben nach Glück...

Logik meint immer etwas Messbares und Beweisbares. Es ist exakt definierbar allumfassend unindividuell und jeder vernünftige und auch logische denkende Mensch weiss eigentlich, dass es Grenzen der Erkenntnis, der Messbarkeit und Beweisbarkeit gibt.
Wissenschaftler sehen daher in ihren Erkenntnissen bestenfalls die größt(menschen)mögliche "Annäherung an die Wahrheit" ( Popper).
Philosophen zerbrechen sich seit Menschengedenken den Kopf darüber. Mir gefällt dazu momentan (?)die " evolotionäre Erkenntnistheorie" http://de.wikipedia.org/wiki/Evolution% ... nistheorie


Bezüglich der Minarette finde ich das aus soziokultureller Sicht doch relativ einfach zu verstehen.

Türme, Obelisken, hohe Bauwerke sind immer auch Symbole für Dominanz, Macht, Einfluss und stechen aus der Kulisse aus dem Horizont hervor, sie haben oft eine symbolische Bedeutung im weltlichen und im Glaubensbereich oder direkt verbunden, wie früher bei Kirche und Staat.


Auch das war ein Grund warum die Twin Towers aus solchen symbolischen Gründen zerstört wurden ( den grausamen Massenmord inbegriffen)
Weltweit wollen die Menschen und MÄchtige immer noch das höchste und sonstwie tollste Hochhaus haben und Architekten/ Bauingenieure ebenso.

In München wurden glaube ich Hochhäuser unter anderem abgelehnt, weil sie höher als die Kirchen waren und die Kulisse sonst dominierten: "Die Sicht auf die Wahrzeichen
der Stadt wie Rathausturm, Alter Peter oder Frauenkirche darf aus den Hauptsichtlinien in die Stadt
hinein nicht durch Hochhäuser beeinträchtigt werden. "

Bei den Minaretten geht es vielen um eine symbolische Sache, die christlich-abendländische Kultur soll daher auch die optische " Lufthoheit" behalten.
Hinzu komt noch der mögliche eher grelle Ruf des Muezzins, oder per Lautsprecher den manche als Konkurrenz der Kirchenglocken.
Andererseits fanden viele Leute den Mueziin-Ruf auf der Platte von David Byrne(Talking Heads) und Brian Eno
"My Life In The Bush Of Ghosts" sehr cool, exotisch, worldmusic usw ohne jedwede Ahnung vom Koran zu haben..das lief in der Disko, ebenso wie igrendwelche gregorianischen Gesänge von diesem Sandra-Produzenten.

Die Kirchen waren da übrigens ziemlich schlau, denn durch die Zeitmessung ging ja dies: die Glocken läuten ja auch noch säkular, also für alle, auch Ungläubige oder früher für ärmere Leute welche keine Uhr besaßen,..was mir als Agnostikerin immer noch gut gefällt, ebenso wie die andere Anlässe, Feiertage, Hochzeiten, Tod,...das hat mich kulturell geprägt und gehört für mich auch dazu, wie die Landschaft, der typische Baustil von früher bei Altbauten verschiedener Epochen..
Und natürlich kann man vieles in der abdenländischen Kultur ( von Bach bis Gospel,..Musik, Literatur, Malerei..) nicht völlig verstehen, wenn man ein religiöser " Analphabet " ist.
Kulturelle Einflüsse auch aus dem "Orient" gab es in Europa ja schon fast immer, aber immer nur irgendwie eingebettet oder zitiert.

Viele Leute sind hier schon für ein Tolerieren , also Dulden ( was aber meist ganz sicher nicht ein inneres Akzeptieren meint ) anderer Religionsgemeinschaften, legen aber Wert auf die christlich-abendländisch kulturelle " Lufthoheit", wobei zugegebernmaßen die Rolle der kirche auf eine soziokulturelle Kulisse reduziert wird - sorry. Aber bei den Leuten die auf Hochzeitsmessen gehen und dann ganz in jungfräulich weiß usw. in der Kirche ihre Trauungszeremonie wollen, sind sicher nicht allesamt tiefgläubig, sondern mögen eher die tolle Kulisse und Orgelmusik, wenn sie ehrlich sind und sonst nur noch mal an Weihnachten und Ostern wieder vorbeikommen..wenn überhaupt.
:-?

LG Agnostikerin
Mymla04
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Beitrag von Mymla04 »

Hallo Agnostikerin
Philosophen zerbrechen sich seit Menschengedenken den Kopf darüber. Mir gefällt dazu momentan (?)die " evolotionäre Erkenntnistheorie" http://de.wikipedia.org/wiki/Evolution% ... nistheorie
Ja, darüber liesse sich auch mindestens ein eigener Ordner füllen (-: Einiges ist mir da so auf die Schnelle zu hoch, Quantenphysik usw. 8) Mir fällt da u. a. die Idee von Platon/Sokrates ein, wonach alle menschliche Erkenntnis, alles Lernen ein Wiedererinnern ist an Dinge, die die Seele schon wusste, bevor der Mensch auf die Welt kam. Mir persönlich scheint der Gedanke nicht abstrus. Daraus kann man dann den Schluss ziehen, dass es Wiedergeburt gibt. Dazu kann ich nur sagen, ich weiss es nicht, das schliesse ich nicht aus, für mich ist aber mindestens momentan das Leben hier auf der Erde wichtiger. (Hallo Anithzu - eine Teilantwort.)
Bezüglich der Minarette finde ich das aus soziokultureller Sicht doch relativ einfach zu verstehen.
Viele Leute sind hier schon für ein Tolerieren , also Dulden ( was aber meist ganz sicher nicht ein inneres Akzeptieren meint ) anderer Religionsgemeinschaften, legen aber Wert auf die christlich-abendländisch kulturelle " Lufthoheit"
Bei den Minaretten geht es vielen um eine symbolische Sache, die christlich-abendländische Kultur soll daher auch die optische " Lufthoheit" behalten.
.
Gut gesagt. Jaja, das seh ich genauso, ich hatte auch nicht im Ernst daran gedacht, dass sich so ein Vorschlag durchsetzen liesse. ("Warum nicht?" war mehr ironisch gemeint.) Mich nervt nur gelegentlich die Scheinheiligkeit, Ignoranz und bewusste Angstmacherei von gewissen eher politisch rechts stehenden Möchtegernchristen dem Islam und seinen Symbolen gegenüber. Darum hat mir diese provozierende Idee, die Kirchen einfach gemeinsam zu brauchen, gefallen.

LG

Mymla
rebella67
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Beitrag von rebella67 »

Hallo Anithzu und Mymla,

ich habe eure neuen Postings seit Freitag Abend noch nicht gelesen, schicke aber erstmal meine Antwort ab. Zu den anderen Sachen dann später.
Liebe Grüße, Rebella
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rebella67
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Beitrag von rebella67 »

Hallo Mymla und Anithzu,

so, jetzt komme ich endlich zu einer Antwort. Ich möchte erstmal sagen, dass ich das hier nicht als ?streiten? in dem Sinne bezeichnen möchte. Ich finde es einfach interessant, über solche Fragen zu philosophieren. Und da ist es auch ganz anregend, das mit Menschen zu tun, die etwas anders denken. Sonst wird´s ja langweilig. Und ihr seid ja beide trotz eurer im gewissen Sinne Gläubigkeit kritische Menschen. Die trifft man leider auch nicht so häufig. Menschen, die zu ihrer Religion stehen oder sonst irgendwie meinen, sie verteidigen zu müssen (meine persönlichen Erfahrungen beschränken sich hier auf Menschen christlichen Glaubens), blocken fast immer ab. ?Ich glaub das eben, ich finde das richtig und fertig! Themenwechsel!?

Zitat Mymla: ?es soll auch sehr logisch denkende gläubige Menschen geben, Einstein z. B. (kann mich irren).?
Allerdings. Bei Menschen aus vorigen Jahrhunderten erkläre ich mir das so, dass die einfach sehr von ihrer Zeit geprägt waren. Aber es gab ja auch da schon Ausnahmen, wie z.B. Goethe, der sehr religionskritisch war.

„Es ist gar viel Dummes in den Satzungen der Kirche. Aber sie will herrschen, und da muß sie eine bornierte Masse haben, die sich duckt und die geneigt ist, sich beherrschen zu lassen. Die hohe, reich dotierte Geistlichkeit fürchtet nichts mehr als die Aufklärung der unteren Massen.“

Bei Menschen aus der heutigen Zeit erkläre ich mir das so, dass sie eben auch durch ihre Erziehung geprägt sind (frühkindliche Indoktrination). Dazu kommt, dass auch sie das menschliche Bedürfnis nach Sicherheit haben, das wir letztens hier diskutiert hatten und dass eben auch in ihrem Leben diese Sicherheit nicht immer vorhanden ist. Vielleicht ist die Gläubigkeit dann eine Mischung aus ihrem Urbedürfnis nach Sicherheit und Vertrauen und aus der Erziehungskomponente. Aber längst nicht alle logisch denkenden Menschen, die sich heute als Gläubige ausgeben, sind es auch in der Tat. Gläubigkeit und Zugehörigkeit zum Christentum bringt leider auch heute in vielen Berufen und Gegenden einfach Vorteile. Und da gibt man sich mitunter auch diesen Schein, um die daraus resultierenden Vorteile zu kassieren. Ich habe in letzter Zeit von Umfragen gelesen, in denen die Menschen nach ihrer Religionszugehörigkeit und ihrem tatsächlichen Glauben befragt wurden. Mag jetzt nicht danach suchen, aber es waren erstaunlich viele konfessionsgebundene Menschen dabei, die sich nicht als gläubig bezeichnen. Andererseits auch ein höherer Anteil nicht gebundener Menschen, die sich in gewisser Weise als gläubig bezeichnen.

Zitat Mymla: ?Trotzdem kann man versuchen, einen Sinn daraus zu ziehen. Auch wenn man es überhaupt nicht versteht. - Ich verstehe es auch nicht und mache mir eben im Moment gerade wieder ziemlich viele Gedanken über so Sachen wie Sinn und Schicksal und "Gott". Dabei ist mein momentanes Leiden (Kinderlosigkeit) ??
Klar kann man trotzdem versuchen, einen Sinn daraus zu ziehen. Und sicherlich ist das auch hilfreich bei der Problembewältigung.
In Bezug auf die ungewollte Kinderlosigkeit habe ich übrigens meinen persönlichen Sinn gefunden und ich bin dem Zufall gar nicht mehr undankbar, dass es gerade mich getroffen hat. Jetzt, wo ich meine Kinder habe und das Leiden vorbei ist, kann ich das natürlich mit Leichtigkeit sagen. Ein Sinn ist schon mal, dass ich ohne dieses ganze Theater nicht ausgerechnet DIESE Kinder bekommen hätte. - Der nächste Sinn liegt darin, dass ich wohl eine ganz besondere Beziehung zu meinen Kindern habe. Gut, das kann jede Mutter (und jeder Vater) behaupten, aber mir geht es sehr häufig so, dass ich meine Kinder in den Arm nehme und sie ganz fest drücke und dabei denke (manchmal sage ich es auch laut), es ist so unsagbar schön, dass du da bist. Möglicherweise kann ich mich etwas mehr als gewöhnlich Eltern gewordene Eltern an meinen Kindern erfreuen. Möglicherweise ist unsere Beziehung noch etwas tiefer als gewöhnlich. Mein Mann sagt das übrigens auch. - Der dritte Sinn ist eine verschärfte Sensibilität und Achtung gegenüber (auch gesellschaftlich nicht so sehr geachteten) Randgruppen. - Der vierte Sinn ist, dass sich mit der ungewollten Kinderlosigkeit eine Welt eröffnet hat, die mir sonst verschlossen geblieben wäre. Ich finde jetzt mit dem Abstand, den ich habe, das Thema äußerst spannend. Insbesondere auch die Diskussion darüber, was erlaubt sein sollte und was nicht. Ich hätte mich nie und nimmer für diesen Themenkomplex interessiert. - Der fünfte Sinn ist, dass ich bestimmt auch nie darauf aufmerksam geworden wäre, dass Christentum in Wahrheit nicht sozial ist und dass da so viel Dreck dahinter steckt. Nur mit meiner Frage: Warum soll mir hier überhaupt Fortpflanzung verboten werden? Aha, dahinter stehen christliche Werte. Aber ich bin doch gar nicht in der Kirche - warum trotzdem mir? ? und den ganzen daran anschließenden Fragen und Antworten war ich überhaupt in der Lage, den unsozialen Charakter des Christentums zu erkennen. Und ich bin heute äußerst froh über diese Erkenntnis. - Ha, ich könnte ja jetzt sarkastisch sagen, ?Gott? hat es gewollt, dass ich zu dieser Erkenntnis komme.


Zitat Mymla: ?Aber ehrlich gesagt, "logischer" finde ich ein Weltbild, wo alles Zufall wäre, auch nicht.?
Ich auch nicht. Daher schrieb ich ja auch, dass es sehr komplexe Mechanismen gibt, die manche Ereignisse schon sozusagen vorprogrammieren - die Naturgesetze und ihnen untergeordnet u.a. das menschliche Gehirn.

Zitat Mymla: ?Hm, also wenn man denkt, dass es keine höhere Macht gibt, bleibt nur der blinde Zufall, und der ist noch grausamer als das Schicksal. Dann kann man nur HOFFEN, dass der Zufall es gut mit einem meint. Oder aber man hofft auf die Menschen und glaubt allein an die eigene Kraft und die der Mitmenschen.?
Siehe oben! Ja, in erster Linie ist es sicher der Glaube an die eigene Kraft und die der Mitmenschen. Das kann ich auch wieder direkt an meiner eigenen Erfahrung fest machen. Ich konnte in meiner tiefen Verzweiflung aufgrund des unerfüllten Kinderwunsches auch wirklich nur aus dem Glauben an meine eigene Kraft wieder neuen Mut schöpfen. Nur das konnte mir immer irgendwie weiter helfen: ?ICH schaffe das!? Die Mitmenschen fielen in diesem Fall so gut wie weg, da ja bei uns keiner was davon wusste. Mein Mann konnte mir Mut geben, indem er hinter der Sache stand und mich zu trösten versuchte. Immerhin hatte ich ihm gegenüber das Vertrauen, dass er das mit mir bis zum Schluss durchzieht. Letzten Endes richtete sich meine Hoffnung auf den Doktor, in dem ich die Kompetenz sah, dass er das schaffen würde.


Zitat: ?Diese Haltung ("ich brauche keinen Gott", so könnte man das vielleicht beschreiben) braucht auch viel Stärke, und mir fehlt in diesem Weltbild eben vielleicht die Demut.
Mag sein, dass Stärke dabei sein kann, aber für mich persönlich kann ich das gar nicht so als Stärke bezeichnen. Wozu sollte ich einen Gott brauchen, wenn ich eh nicht dran glaube? Und ich kann echt auch ohne diesen Glauben glücklich sein.
Und ?Demut? ist für mich wieder ein zu sehr von der Kirche geprägter Begriff. Wie würdest du den übersetzen? Meinst du damit das Gefühl, ein Nichts zu sein, der letzte Dreck überhaupt, gehorchen zu müssen? Ich mag dieses Wort irgendwie mit dieser Intention nicht. Dahinter steht doch nur, dass irgendwelche Macht besessenen Menschen anderen Menschen das Gefühl, ein Nichts zu sein, geben, um sie nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen.
Vielleicht meinst du damit aber auch nur die Erkenntnis, ich persönlich bin nicht der Mittelpunkt der Welt, um den sich alles dreht. Ich bin nur einer von x-Milliarden Menschen auf der Welt, die alle so ihre eigenen Bedürfnisse haben, die meinen Bedürfnissen gleichberechtigt sind. Insofern kann ich mit meiner Einsicht auch ohne Gottesglauben zustimmen.


Zitat Mymla: ?Ich möchte jetzt aber, nur weil es mit dieser psycho-logischen Erklärung nahe liegt zu denken, dass mein Bedürfnis alles erklärt, nicht interpretiert bekommen, dass es also gar keinen Sinn GIBT, sondern ich ihn nur suche. Wer weiss das schon??
Nein, das wollte ich nicht sagen, dass es gar keinen Sinn gibt. Ich habe das ja an meinem persönlichen Beispiel gezeigt, dass es sehr viel Sinn geben kann, der sich manchmal erst hinterher zeigt.


Zitat Mymla: ?dass es mir sinnlos scheint, wenn man bei dieser Diskussion versucht, Recht zu haben. Oder einander mit Argumenten von der eigenen Sichtweise zu überzeugen.?
Um Recht haben geht´s mir gar nicht. Mir geht es mehr um die Herausforderung, für manchen Menschen scheinbar unerklärbare Dinge eine Erklärung zu finden und eben auch zu zeigen. Derjenige, der das liest, hat dann die Chance, diese Erklärung mit seinem Weltbild abzugleichen und kann letzten Endes draus machen, was er bzw. sie will.
Bezogen auf das Christentum geht es mir allerdings auch um Aufklärung, da ich der Überzeugung bin, die meisten Menschen, wissen nicht, was sie glauben und sind einfach viel zu unkritisch. Letzten Endes hat aber doch jeder Mensch das Recht, in eigenes Weltbild zu haben. Und zumindest so lange, wie er damit friedlich ist, geht es ja.


Zitat Mymla: ?Mir scheint eher, dass du ein ziemlich festes Urteil hier vertrittst und Religion an sich als etwas weitgehend Naives bis Gefährliches, Schädliches bewertest.?
Vielleicht ist das immer noch nicht verständlich genug rüber gekommen. Der Glaube an Übernatürliches allein ist nicht naiv, gefährlich oder schädlich. Religion als komplexe Struktur mit einer Ausnutzung der Gläubigkeit von Menschen ist aber gefährlich und kann schädlich werden. Naiv ist hier der blinde Glaube an das, was einem so vorgebetet wird, ohne Hinterfragung. Naiv ist auch der blinde Gehorsam gegenüber Menschen, die die Gläubigkeit ausnutzen. Allerdings wohl auch nicht immer naiv in einem so abwertenden Maß. Denn manche Menschen können möglicherweise aufgrund ihres geringen Bildungsstandes und möglicherweise auch aufgrund ihrer frühkindlichen Indoktrination nicht anders.


Zitat Mymla: ?vielleicht siehst du es so, dass eine Gesellschaft ohne Religion(en) besser wäre. Ich habe darüber schon oft nachgedacht und ich weiß es nicht, vielleicht gäbe es überhaupt keine großen Unterschiede, mit oder ohne.?
Ich bin ja in dieser Frage fasziniert von dem Vorschlag von Franz Buggle (Autor: ?Denn sie wissen nicht, was sie glauben?), ein neues religiöses Paradigma aufzustellen. Mindestanforderungen an ein wirklich hilfreiches religiöses Paradigma sind (Zitate aus o.g. Buch, Seite 422 - 425):
1. Es müsste mit dem Wissensstand und den aufgeklärt-kritisch reflektierten Erfahrungen heutiger Menschen vereinbar sein (keine Unredlichkeiten/ keine Verdrängungsprozesse/ keine intellektuellen Verbiegungen/ kein Denkverzicht wie z.B. beim Theodizeeproblem
2. Es müsste dem heute zumindest als Postulat erreichten ethisch-moralischen Standard gerecht werden (z.B. keine Höllenstrafe, keine Kreuzesopfer)
3. Zwar nicht für Widersprüche zur Welterfahrung heutiger Menschen, für Unterschreitungen von Vernunft und heutigem Wissensstand, wohl aber für Überschreitungen von menschlicher Ratio und heutigem Wissensstand müsste ein neues religiöses Paradigma weiten Raum lassen. ? Aus dem Bewusstsein der Beschränktheit, der nicht ausreichenden Kapazität des menschlichen Gehirns im Hinblick auf die Beantwortung so komplexer Fragestellungen wie etwa der weltanschaulichen müsste sich die Forderung großer Toleranz über die hier angesprochenen Kriterien hinaus ergeben. Es dürften jenseits der hier genannten Kriterien keine unbedingten, absoluten Ansprüche gestellt werden. Ein Satz wie ?Wer nicht glaubt, der wird verdammt? (Mk. 16;16) müsste endgültig zum ?Un-Satz? werden. ? Es müsste aufgezeigt werden, dass jeder Mensch überfordert wäre, würde man von ihm erwarten, auch nur die durch den Menschen erkennbare Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit zu realisieren oder gar zur ausrichtenden Grundlage seines Handelns zu machen. ?
4. Ein solches wirklich neues Paradigma müsste hilfreich für den Lebensvollzug sein, eine Orientierungs-, ?Sinngebungs?-, Stützfunktion erfüllen.

So wird moderne Religionskritik die prinzipielle Möglichkeit und Legitimität einer religiösen Dimension der Welt und der menschlichen Existenz nicht von vornherein leugnen, sondern ihr prinzipiell als Möglichkeit offen gegenüberstehen. Moderne Religionskritik so verstanden richtet sich nicht gegen diese mögliche religiöse Dimension als solche, als vielmehr gegen ihre jeweils konkrete, historische ?Füllung? und Ausgestaltung durch archaisch-inhumane und/ oder absurd-widersprüchlche Inhalte.

Ende der Buggle-Zitate.



Zitat Mymla: ?Aber ich habe eben doch das Gefühl, dass Religionen mit ihrer Idee, als menschliche Gemeinschaft ein System von Werten und Leitlinien zu haben und gemeinsam die Welt zu einem besseren Ort machen zu wollen, auch mit dem Glauben an mehr, als unser Verstand kapiert, etwas Wertvolles sind und es ohne sie nicht unbedingt besser aussähe.?

Zur ?Legende von den christlichen Werten? schreibt Dr. Michael Salomon hier: http://www.leitkultur-humanismus.de/entgleisungen.htm .

Zitate daraus: ?dass die fundamentalen Werte, die für moderne Rechtstaaten konstitutiv sind - die Menschenrechte, die Freiheit der Meinungsäußerung, der Wissenschaft, der Kunst, die demokratische Gewaltenteilung etc. ?, keineswegs dem Christentum entstammten, sondern, dass diese in einem erbitterten, Jahrhunderte währenden Widerstandskampf gegen die Machtansprüche dieser Religion erkämpft werden mussten.
??
dass die Idee der Menschenrechte auch heute noch mit einem Ernst gemeinten christlichen Glauben nicht zu vereinbaren ist. Deshalb ist es auch nur konsequent, dass der Vatikan bis heute die Europäische Menschenrechtskonvention nicht ratifiziert hat.?

An gleicher Stelle steht auch zur ?Legende von den fortschrittlichen zehn Geboten? geschrieben, u.a. auch zu den Werten und Leitlinien in sozialen Gruppen:

?Trivial sind die Zehn Gebote, insofern sie über weite Teile selbstverständliche Verhaltensrichtlinien benennen, die für jede funktionierende soziale Gruppen gelten, auch für Steinzeitfamilien, SA-Truppen und heutige Hooligans. Ein gewisses Maß an gegenseitigem Vertrauen muss für die eigene Gruppe gewährleistet sein, damit sie überhaupt existieren kann. Lüge, Betrug, Mord etc. müssen innerhalb der eigenen Gruppe tabuisiert sein. Gegenüber Mitgliedern anderer Gruppen darf man diese Verhaltensweisen aber sehr wohl zeigen, mitunter wird man hierzu sogar regelrecht aufgefordert, siehe den mehrfach geäußerten göttlichen Befehl zur Ausrottung anderer Völker und der aus der eigenen Gemeinschaft ausgeschlossenen ?Götzendiener? im Alten Testament, Hitlers unverblümten Aufruf zur ?Vernichtung der jüdischen Rasse? oder (weit harmloser) die brutalen Auseinandersetzungen zwischen den Schlägerbanden rivalisierender Fußballvereine.?
Zuletzt geändert von rebella67 am 22 Jun 2010 00:02, insgesamt 1-mal geändert.
Liebe Grüße, Rebella
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Beitrag von rebella67 »

So, weil meine Antwort an Mymla jetzt so lang geworden ist, mache ich für dich, Anithzu, ein neues Posting auf. Obwohl einige deiner Fragen sicher bereits aus meinen obigen Ausführungen beantwortet sind:

Zitat Anithzu: ?Warum willst du alles rationalisieren? Warum soll nur das gültig sein, das rational ist? Das für uns Menschen erklärbar ist??

Wie gesagt, ich rationalisiere, um zu zeigen, dass es durchaus rationale Antworten auf eure Fragen gibt. Dass es Dinge gibt, die für den Menschen nicht oder noch nicht erklärbar sind, habe ich nicht infrage gestellt.


Zitat Anithzu: ?verspürt in Zeiten großer Not das Bedürfnis, sich an jemanden zu wenden. An eine höhere Macht. Warum sind wir mit dieser Sehnsucht ausgestattet, wenn wir doch gar nichts von einer höheren Macht wissen??
Dass diese Sehnsucht nach einer wohl gesonnenen höheren Macht herleitbar ist aus unserem Urbedürfnis nach Vertrauen und Sicherheit hatten wir ja schon festgehalten. Da könnte man die Frage umformulieren, warum wir dann mit dem Bedürfnis nach Sicherheit und Vertrauen ausgestattet sind. Das kann sich wohl auch nicht zufrieden stellend beantworten. Die Natur hat uns so ausgestattet. Ob wir was von einer höheren Macht wissen (oder glauben, zu wissen) oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Hier sehe ich keinen Zusammenhang.


Zitat Anithzu: ?In logischer Hinsicht müsste man davon ausgehen, dass nach dem Tod wirklich alles vorbei ist? Glaubst du das??

Ja, ich glaube an kein Leben nach dem Tod. Die Grundlage für unser Bewusstsein, unser Gehirn ist nicht mehr funktionsfähig bzw. etwas später auch nicht mehr vorhanden. Und mit der Festplatte ist leider auch die darauf gespeicherte Software weg. ?
Der Glaube an ein Leben nach dem Tod resultiert für mich auch aus dem menschlichen Wunsch, ewig zu leben. WÜNSCHEN würde ich es mir auch. Ich kann es aber akzeptieren, dass es nicht so ist. Und ich kann auch mit dem Wissen, irgendwann nicht mehr zu sein, glücklich leben. Ich kann einfach nur für mich die Schlussfolgerung ziehen, aus dem einen Leben, das ich habe, das Beste zu ziehen und mich nicht auf ein Leben nach dem Tod vertrösten zu lassen.
Liebe Grüße, Rebella
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rebella67
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Beitrag von rebella67 »

Hallo Agnostikerin,

ha - ich und irgendwelche widerliche Science-Fiction-Figuren. Du kannst es leider nicht sehen, wie ich mich dabei schütteln muss. Ich kann die von dir genannten Figuren nicht genau charakterisieren, da ich mir so was prinzipiell nie zumute, aber ich denke mal, du meinst Figuren, die einzig und allein auf Logik und Kalkulation ausgerichtet sind. - Ich wollte mit meiner Aussage, ich wäre schon immer ein logisch denkender Mensch, nicht gesagt haben, dass ich mich auf dieses Merkmal beschränke. Logisches Denken ist z.B. kein Widerspruch zu sozialem Denken, sehr wohl aber zu blindem Glauben.

Dass Logik immer etwas Messbares und Beweisbares meint, würde ich auch bestreiten. Für mich kann es auf eine Frage mehrere logische und unlogische Antworten geben. Und ich würde den logischen Antworten den Vorzug geben, ohne einen Anspruch auf die absolute Wahrheit dieser logischen Antwort zu stellen, falls sie nicht 100% beweisbar ist. Dass es Grenzen der Erkenntnis, der Messbarkeit und Beweisbarkeit gibt, habe ich auch nicht bestritten. Aber innerhalb dieser Grenzen können logische und nachweisbare Antworten gegeben werden. Außerhalb dieser Grenzen kann man Hypothesen aufstellen, wobei es eben Hypothesen gibt, die logisch und andere, die unlogisch erscheinen. Ich würde mich immer für die logisch erscheinenden Hypothesen entscheiden. Und das sind eben diese, die zeigen, dass etwas, was passiert, auf eine bestimmte Ursache zurück zu führen ist. Und diese Ursache müsste logischerweise etwas Natürliches sein und nicht der große Zauberer mit dem Zauberstab, der da Simsalabim ruft. Und so gehen ja auch Wissenschaftler vor, die ernsthaft die Welt entdecken wollen. Die gehen von einer logischen Ursache aus, die sie ja oft auch finden. Würden Wissenschaftler von ?Simsalabim? oder von Gott als Ursache ausgehen, hätten wir heute nicht den Wissensstand, den wir haben.

Mymla, von Bertold Brecht und Hanns Eisler habe ich in meiner Kindheit auch Einiges im Chor gesungen. Aber die Sache mit dem Senfkorn war nicht dabei. Da das aber doch ein sehr realistisch denkendes Gespann ist, gehe ich mal nicht davon aus, dass das Bild nicht religiös gemeint ist, sondern eher, wie du schreibst, der Glaube an das Gute. Diesen Glauben habe ich im Prinzip auch.
Liebe Grüße, Rebella
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Agnostikerin

Beitrag von Agnostikerin »

Hallo Rebella,

ich wollte sicher keine abstossende Gefühle bei dir hervorzurufen, anhand der genannten Figuren aus heutiger Popkultur.
Diese ist ja auch immer ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.
Als widerlich ( oder nur überwiegend banal bis platt) empfinde ich so etwas nicht, auch wenn sicher im Unterschied dazu zu bei den Science Fictions v. Stanislaw Lem ein sicher ganz anderes wissenschaftlich-philosophisches Level zugrunde liegt - aber auch bei den Lesern erforderlich ist.

Die 2 Figuren Spock, Data und der Computer Hal (Odysse im Weltall) haben allesamt auch "menschliche" Anteile, sind aber dominiert vom logischen Denken und es war deine Aussage über logisches Denken die meine Assoziation hervorrief - stimmt. : )


In vielen SF-Geschichten werden gerade die Logik-Konflikte und sozialen Widersprüche der Figuren anschaulich, wenn auch vereinfacht u. unterhaltsam dargestellt.
Letzlich wird hier nur anhand solcher SF- Figuren und Situationen anschaulich zugespitzt und übertrieben, was uns echte Menschen bewegt - oder welche gesellschaftlichen Kräfte in typischen Konflikten miteinander stehen.
Entsprechendes gibt es in Theaterstücken/ Literatur mit diesen übertriebenen oder überbetonten Eigenschaftsunterschieden der Figuren, sonst wäre es langweilig und schwierig Botschaften und Fragen über uns Menschen auch unterhaltsam zu transportieren.

Logisches Denken ist z.B. kein Widerspruch zu sozialem Denken, sehr wohl aber zu blindem Glauben.
Dass gerade logisches Denken oft im Widerspruch zu Mitmenschlichkeit /sozialen Denken steht ist gerade der Kernpunkt dieser Geschichten und nicht zuletzt unserer ganzen politischen Debatten bishin zur Bioethik.

Denn zunächst definieren wir in unserer menschlichen Kultur feste Annahmen über das Menschsein als Prämisse, eine Vorgabe, die wir im Grunde einfach so – nämlich unlogisch machen.
Der Grund liegt in unserer soziokulturellen Evolution.

Solche Annahmen gelten als allgemeingültige Handlungsvorgaben und soll die Grundausrichtung unseres Handelns definieren. Da gäbe es inzwischen die Übereinkunft ( zumindest auf dem Papier) über Menschenrechte.

Auch die Gebote Schmidt–Salomons , den du erwähnst ( die ich selbst befürworte) sind ja in einigen Punkten angelehnt an die 10 biblischen Gebote, zudem werden ähnliche Überlegungen immer wieder in anderen Kulturen gefunden.
Es gäbe da noch ähnliche Vereinbarungen / Geboten der interkulturellen/interreligiösen Stiftung Weltethos (kathol. Theologe Hans Küng) . http://de.wikipedia.org/wiki/Zehn_Gebote
http://www.giordano-bruno-stiftung.de/h ... gebote.htm
http://www.weltethos.org/03-deklaration.htm

Und so gehen ja auch Wissenschaftler vor, die ernsthaft die Welt entdecken wollen. Die gehen von einer logischen Ursache aus, die sie ja oft auch finden. Würden Wissenschaftler von ?Simsalabim? oder von Gott als Ursache ausgehen, hätten wir heute nicht den Wissensstand, den wir haben.
Ich habe noch nie gehört, dass man die Ernsthaftigkeit oder die wissenschaftlichen Ergebnisse anhand deren Gottesgläubigkeit beurteilen würde. Gerade die als Ketzer verurteilten Wissenschaftler waren ja auch oft gläubig ( die Kirche hatte ja den Schlüssel zur Bildung, Bücher, Geld..)
Giordano Bruno blieb ja gottesgläubig, er hat nur ein Dogma (-> Unendlichkeit)in Frage gestellt, wofür er dann grausam verbrannt wurde.

Nur allein an der Stichhaltigkeit, meinetwegen auch der Schlüssigkeit der Hypothesen, an den Beweisen für deren Ergebnisse kann man die Entdeckungen messen, nicht an deren Gesinnung, wenn man logisch bleiben will, oder ?

Da ich für mich als Agnostikerin das Glauben an einen Gott weder als logisch noch als unlogisch definieren kann ist für mich der Gottesglaube eine Sache, die ich mit Logik weder beweisen noch widerlegen kann.
Ich könnte allenfalls pseudologische oder fehlerhafte Begründungen, Gottesbeweise für Gott widerlegen, nicht aber den Glauben selbst.

Es gibt für mich z.B keinen logischen Grund an der Ernsthaftigkeit von anerkannten Astrophysikern ( die sich mit Quanten, schwarzen Löchern usw. beschäftigen, sicher sehr logisch-mathematisch denken) zu zweifeln, nur weil die nun mal auch Gläubige sind.
Diese Leute glauben vermutlich etwas abstrakter-philsophischer als andere ( ohne Marienverehrung, Kerze für Wünsche anzünden, Wundergeschichten? ) aber glauben an den einen “ unbewegten Erstbeweger”, also an eine “DIE” Ursache für die Existenz unserer Welt, die aber selbst durch nichts verursacht wurde, also eine Art absoluten Anfang als Beweis für ein Prinzip an das sie glauben: “Gott”.
Das gilt z.B. für die Grenze unserer Erkenntnis beim Urknall ( “simsala”- Big Bang) gab es da vorher schon etwas, gelten dafür überhaupt noch Katgeorien wie Raum, Zeit, Bestimmtheit usw..
Das ist weder aus dem Glauben noch bisher wissenschaftlich eindeutig logisch beantwortbar, gleichwohl es da verschiedene logisch erscheindene Hypothesen – Kontroversen gibt, auch von gläubigen Wissenschaftlern.

Ich halte es übrigens für einen eher schwachen logischen Beweis, die Weltanschauung anderer Leute zu sehr wegzurelativieren, weil sie so oder so sozial geprägt seien( was soziologisch statistisch global stimmen mag)
Für jeden Einzelnen beweist das trotzdem fast nichts, all das kenne ich auch aus den Unterstellungen irgendwelcher Leute über die Stereotype des Kinderwünschens, von evolutionsbiologisch bis patriarchalisch eben sozial konstruiert.
Mit dem gleichen Stereotyp warten übrigens Gläubige gegenüber Ungläubigen auf, die ja “gottlos erzogen” seien...: )
Ich bestehe auf meinen "Glauben" an menschliche Individualität mit freiem Willen trotz sozialer Prägung, meinen gerbten Genen, meinem biochemisch gesteuerten Hirnstoffwechsel, Evolutionsbiologie usw..

LG Agnostikerin
Mymla04
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Beitrag von Mymla04 »

Hallo,

Rebella, uff, also diese ganze Debatte bietet schon genug anregenden Stoff zum Diskutieren (-: . Wo ihr nur immer all die gescheiten Links herhabt :) Mir fallen dafür immer Sachen ein, die andere gescheite Leute irgendwo geschrieben haben ...
rebella67 hat geschrieben: Ich möchte erstmal sagen, dass ich das hier nicht als ?streiten? in dem Sinne bezeichnen möchte. Ich finde es einfach interessant, über solche Fragen zu philosophieren. Und da ist es auch ganz anregend, das mit Menschen zu tun, die etwas anders denken. Sonst wird´s ja langweilig. Und ihr seid ja beide trotz eurer im gewissen Sinne Gläubigkeit kritische Menschen.
Hm, ja ... Danke fürs Kompliment :wink:
rebella67 hat geschrieben:Um Recht haben geht´s mir gar nicht. Mir geht es mehr um die Herausforderung, für manchen Menschen scheinbar unerklärbare Dinge eine Erklärung zu finden und eben auch zu zeigen. Derjenige, der das liest, hat dann die Chance, diese Erklärung mit seinem Weltbild abzugleichen und kann letzten Endes draus machen, was er bzw. sie will.
Ja, weisst du, gerade da ist für mich ein Knackpunkt. Ich finde eben, du rationalisierst und erklärst zwar aus deiner Sicht die möglichen Gründe für eine religiöse Weltsicht. Das ist schon ok. Für dich ist das aber mehr oder weniger doch ein Beweis, dass dann hinter der religiösen Weltsicht nichts Ernstzunehmendes steckt und die "religiösen" Antworten folglich auch nicht stimmen können. Oder? Das ist mir aber eine zu enge Sichtweise. Es geht ja eigentlich nicht in erster Linie darum, ob und was für psychologische rationale Gründe hinter dem Glauben stehen. (Das ist schon auch interessant. Und ich verstehe auch, dass man an den religiösen Erklärungen nicht mehr interessiert ist, wenn man die religiöse Weltsicht nur für eine Art psychologisch erklärbares Hirngespinst hält.) Trotzdem, es ging ja um die Sinnfragen: Warum leiden Menschen? Ist da irgend ein Sinn dahinter? Warum müssen Kinder sterben? Und wenn du an Gott glaubst, glaubst du dann, dass er eingreifen kann? Religionen geben darauf Antworten, die nicht immer einleuchten. Aber diese Antworten mit Logik zu zerpflücken, hilft auch nicht weiter. Und logische naturwissenschaftlich basierte Erklärungen gibt es dafür auch nicht. - Darum kam es bei mir teilweise als arrogant an, dass du auf die Versuche von andern, die ernsthaften (wenn auch etwas naiven aus meiner Sicht) Fragen von Atheistin zu beantworten, als Gegengewicht nur die religiösen Sichtweisen als aus deiner Sicht unsinnig bewertet hast. Verstehst du, ich sehe vieles gleich wie du, was die dunklen Seiten der Religion angeht. Ich sehe und empfinde aber die Welt nicht so nur-rational, wie du es hier vertrittst (bzw. manchmal schon, aber nicht nur...), und möchte die Berechtigung dieser Sicht- und Empfindungsweise "verteidigen" ...


Also darin gebe ich dir natürlich absolut Recht, dass eine Dogma- und Autoritätsgläubigkeit ohne Einsatz des eigenen Hirns gefährlich ist.
rebella67 hat geschrieben:Naiv ist hier der blinde Glaube an das, was einem so vorgebetet wird, ohne Hinterfragung.
Aber das habe ich sowieso vorausgesetzt. Es ging ja auch nicht darum, dass jemand hier die Position vertreten hätte, dass das Christentum und seine "heiligen Schriften", sprich die von Menschen geschriebene und interpretierte Bibel (oder irgend eine andere Religion, aber hier ging es ja auch in der Ausgangsfrage von Atheistin ursprünglich ums Christentum) in irgend einer Form perfekt oder unfehlbar oder nicht hinterfragbar wären. Es gibt natürlich Christen, die solche fundamentalistischen und von mir aus sicher indiskutablen Positionen einnehmen. Aber darum ging es hier sicher nicht.
rebella67 hat geschrieben:Zitat Mymla: ?Aber ich habe eben doch das Gefühl, dass Religionen mit ihrer Idee, als menschliche Gemeinschaft ein System von Werten und Leitlinien zu haben und gemeinsam die Welt zu einem besseren Ort machen zu wollen, auch mit dem Glauben an mehr, als unser Verstand kapiert, etwas Wertvolles sind und es ohne sie nicht unbedingt besser aussähe.?

Zur ?Legende von den christlichen Werten? schreibt Dr. Michael Salomon hier: http://www.leitkultur-humanismus.de/entgleisungen.htm .


Also ich hatte das bewusst offen formuliert. Ich würde immer vorsichtig sein damit, von unsern "christlichen Werten" zu reden. Da müsste man dann schon genauer sagen, was damit gemeint ist, und dann untersuchen, ob die betreffenden Werte oder Maximen, Leitlinien usw. auch wirklich speziell bzw. typisch christlich sind. Und ob sie vernünftig oder sinnvoll sind. Gerade im Alten Testament stehen sehr viele aus heutiger Sicht absolut unverständliche, blutrünstige und sicher nicht für uns aktuelle Textstellen. Über die 10 Gebote z. B. kann man sich ja streiten. Das von Schmidt-Salomon erwähnte Gebot "du sollst nicht töten" ist aber sicher an sich unumstritten, die von ihm erwähnten weiteren Zusatz"paragrafen" „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen. Jeder, der mit einem Tier verkehrt, soll mit dem Tod bestraft werden. Wer einer Gottheit außer Jahwe Schlachtopfer darbringt, an dem soll die Vernichtungsweihe vollstreckt werden.“ zeugen von einem heute wohl hoffentlich weitgehend anerkanntermassen so unmenschlichen, nicht mehr in die heutige Zeit und Gesellschaft passenden Gottesbild, dass niemand solche Regeln anwenden wollen wird. - Es gibt so viele solche Stellen in der Bibel, Homophobie wird genauso verurteilt wie das Essen von Meeresgetier, für mich sind beide Regeln gleich absurd und überholt. - Ich bin auch der Meinung, dass die Bibel mit ihren Widersprüchlichkeiten, und Kirchenexponenten, die sie engstirnig und menschenfeindlich auslegen, ein durchaus teilweise gefährliches Buch ist. Sie ist ein grosses Kuddelmuddel aus Texten von ganz verschiedenen Autoren, Epochen, ... Sie hat aber auch einiges zu bieten. Das muss man aber finden, und das geht schlecht, wenn man keine Ahnung davon hat.

Ich bin auch absolut froh darüber, dass unsere Staaten säkular sind. Klar. Und ich gebe Schmidt-Salomon in vielem Recht, u. a. auch darin, dass eine religiöse Erziehung viel Schaden anrichten kann. Gewisse Teile (Kreuzigung?) sind wohl eigentlich nicht kindgerecht. Hingegen glaube ich nicht, dass die Geschichte der Sintflut ein Kind traumatisieren kann. Naja. Ich glaube, ich habe das als Kind nicht wörtlich genommen (heute natürlich auch nicht!).
Besonders heikel ist es, wenn die religiöse Erziehung staatlich verordnet ist... Das halte ich auch für problematisch. Gar keine religiöse Erziehung oder dass man es den Eltern freistellt, finde ich aber auch keine besonders gute Lösung. Es ist allerdings schwierig, Kindern religiöse Inhalte rein sachlich-neutral zu vermitteln. Aber es müsste möglich sein, mit klaren Richtlinien und guten Lehrmitteln. Wichtig scheint mir von der Lehrperson her da eine Haltung, die ausdrückt, dass sie nicht einfach Antworten hat, sondern dass auch Erwachsene fragen und suchen und zweifeln dürfen und das zuzugeben kein Zeichen von Schwäche ist. - Noch heikler fände ich sowieso, wenn der allgemeine Unterricht religiös geprägt wäre, insbesondere wenn die Lehrpersonen dogmatisch und intolerant wären, und da besteht natürlich Gefahr. Aber so weit wird es ja kaum kommen.

- Wie ich mit den Glaubensinhalten mit meinen Kindern umgehen würde, ist für mich aber eine Frage, die ich mir schon manchmal überlegt habe. Jetzt weiss ich allerdings nicht, ob dies bald aktuell werden wird - bzw. überhaupt. Also kann ich mir noch über anderes den Kopf zerbrechen :-?

Ich bin aber mit Schmidt- Salomons Gewichtung und Aussagen sonst nicht überall einverstanden. Z. B. leuchtet es mir nicht ein, wieso die Menschenrechte mit dem Christentum nicht vereinbar sein sollen. Konkret ?

Er polemisiert auch z. T. m. E. unsachlich. Z. B. zu den 10 Geboten nochmals:
Gegenüber Mitgliedern anderer Gruppen darf man diese Verhaltensweisen aber sehr wohl zeigen, mitunter wird man hierzu sogar regelrecht aufgefordert, siehe den mehrfach geäußerten göttlichen Befehl zur Ausrottung anderer Völker, Hitlers unverblümten Aufruf zur „Vernichtung der jüdischen Rasse“ oder (weit harmloser) die brutalen Auseinandersetzungen zwischen den Schlägerbanden rivalisierender Fußballvereine.
Also Hitler als Vertreter der christlichen Kirche oder Religion geht mir doch zu weit. Die NS-Ideologie hat ja sich eine eigene neu-heidnische "Religion" umgehängt. Dass die Kirche in D im dritten Reich eine unrühmliche Rolle gespielt hat, bedeutet doch nicht, dass sie zum Holocaust aufgerufen hätte. Und dazu könnte man ja auch die Widerstandkirche erwähnen (Bonhoeffer u. a.). Und was die Fussball-Hooligans mit christlichen Verfehlungen zu tun haben sollen, ist mir auch schleierhaft.

Dann führt er z. B. Luthers antisemitische Äusserungen, seine Aufrufe zur Verfolgung von "Hexen" und gegen die Obrigkeit revoltierende Bauern auf. Kein vernünftiger Christ von heute würde dies als "christliche Werte" interpretieren wollen.

Ich habe auch einige Vorbehalte gegenüber den Aussagen zu "authentischem Christentum" vs. aufklärerisch gezähmtes Christentum. Es gab (und gibt) zwar sicher reaktionäre, gewollt oder ungewollt menschenverachtende Aussagen und Haltungen in der Kirche (wie auch ausserhalb). Mir scheint aber, die Kirchen haben das Recht und die Pflicht, sich heute von solchen Irrtümern zu distanzieren und die Institution Kirche mit neuen und alten ebenfalls christlichen Werten neu zu definieren. Wenn sie ihr heutiges Christentum, wie Schmidt-Salomon sagt, aufklärerisch gezähmt haben, ist das doch nur erfreulich. (Damit will ich jetzt nicht sagen, dass die Kirchen heute fehlerlos wären, ganz im Gegenteil, leider. Aber immerhin finde ich es etwas verzerrend, sie auf ein von Schmidt definiertes "authentisches Christentum" mit sämtlichen vergangenen Verirrungen festzuschreiben.)

A propos Bauernaufstände: Nein, ich interpretiere Demut sicher nicht so:
rebella67 hat geschrieben:Meinst du damit das Gefühl, ein Nichts zu sein, der letzte Dreck überhaupt, gehorchen zu müssen? Ich mag dieses Wort irgendwie mit dieser Intention nicht. Dahinter steht doch nur, dass irgendwelche Macht besessenen Menschen anderen Menschen das Gefühl, ein Nichts zu sein, geben, um sie nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen.
Verstehe aber schon, was du meinst. Auch das kann natürlich instrumentalisiert werden (eben s. Luther). Ja, deine Umschreibung nachher ist auch ok. Ich hatte aber neben einer gewissen Bescheidenheit, nicht zu meinen der Mittelpunkt der Welt zu sein oder so, eben nicht Autoritätsgläubigkeit und Angst gemeint, sondern die religiöse Haltung - ich kann mir nicht anmassen, zu meinen, alle meine Wünsche müssten sich erfüllen, oder ich hätte mein Leben "in der Hand". Ich sehe die menschliche Unzulänglichkeit, einen ev. göttlichen Willen/ Plan zu verstehen, und halte es doch für möglich, dass einer da ist (bzw. manche glauben fest daran; ich bin nicht soo sicher.) Ich bin dankbar für das, was ich habe (versuche es jedenfalls) und versuche nicht nur eine Anspruchshaltung zu haben, vielleicht eher ein Vertrauen, dass es einen Sinn hat, wie es auch kommt. (Das wäre wirkliche Demut - ich habe nicht gesagt, dass ich sie immer und in grossen Mengen habe ...)Ich meinte eine Demut, die nichts mit sinnloser Unterwerfung zu tun hat, die Menschen nicht nur klein und damit würdelos macht, sondern eine, die Menschen in Notlagen z. B. hilft, ein Stück Last loszuwerden, weil sie überzeugt sind, dass "jemand" ihnen beisteht, dass ihr Leiden eben einen Sinn hat, ohne dass sie schuld wären oder das Leiden eine "Strafe". Mit so einer Haltung in einem sonst unverständlichen Schicksalsschlag kann ein Mensch gerade seine Würde behalten, scheint mir. Ich glaube, dass zum Beispiel Befreiungstheologen, die sich für die Befreiung aus Unterdrückung und Armut von Menschen einsetzen, trotzdem auch demütig sein können. Sie tun, was sie können, dort wo Menschen überhaupt etwas machen können. Irgendwo hat das aber Grenzen. - Ich weiss nicht, ob das jetzt verständlicher ist. Es ist ein schwieriger Begriff.

Ansonsten bin ich auch grossteils sehr einverstanden mit Schmidt-S.s Postulat für eine zeitgemässe Erziehung und Bildung. Besonders auch mit Punkt 8:
"Die konsequente kritische Infragestellung der eigenen Denkposition, die als unbedingte Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilnahme an einem „Bündnis für Erziehung und Bildung“ verstanden werden muss, muss selbstverständlich für alle Weltanschauungsgemeinschaften gelten – keineswegs nur für jene, die sich selbst als „religiös“ definieren. Auch die „aufklärerischen Alternativen zur Religion“ können sich schnell zu „Ersatzreligionen“ entwickeln, die dieselben dogmatischen Eigenschaften besitzen, die wir an den bestehenden Offenbarungsreligionen zu Recht kritisieren. (Die Geschichte des Marxismus mag in diesem Zusammenhang als warnendes Beispiel gelten!) Als wirksames Gegengift gegen eine solche Ideologisierung der Aufklärung hilft allein ein konsequenter Kritizismus. Nur durch das stete Anwenden des „Prinzips der kritischen Prüfung“ werden wir in die Lage versetzt, falsche Ideen sterben zu lassen, bevor Menschen für falsche Ideen sterben müssen."
Machtmissbrauch ist leider kein Privileg der Kirchen, sondern etwas allgemein Menschliches.


Anithzus Anregung "Warum sind wir mit solchen Fragen/ dieser Sehnsucht ausgestattet" verlangt keine logische Antwort, sie will kein Beweis sein, ich finde sie aber doch nahe liegend und meine, man kann schon einen Zusammenhang sehen zwischen der möglichen Existenz einer Kraft, auf die sich diese menschliche Sehnsucht richtet, und der Sehnsucht selber. Die höhere Kraft würde die Sehnsucht ein Stück weit sinnvoller machen, als wenn wir sie unbegründeterweise hegen. Wie gesagt, ein Beweis ist das nicht, aber wie Agnostikerin auch schreibt, ist die rational psychologisierende Interpretation, dass wir eben ein Bedürfnis nach Vertrauen und Sicherheit haben, auch kein Gegenbeweis. Wie man das sieht, hängt von der Weltanschauung ab und ist eben eine Glaubensfrage. Ich meine, man könnte ja den Spiess auch umdrehen und von AtheistInnen verlangen zu beweisen, dass es keine höhere Macht gibt. Das würde wohl als Zumutung empfunden. Ich meine, es gibt keine Beweise, die einen GLAUBEN ja, die andern GLAUBEN nein, die dritten sagen, sie wüssten es nicht, und keine Ansicht ist überlegen aus rationaler Sicht. Manche glauben, sie seien aus moralischer Sicht mit ihrer Antwort überlegen, und da fängt die Engstirnigkeit und Intoleranz an.

Ach ja, die Vorschläge von Franz Buggle für ein neues religiöses Paradigma fand ich besonders interessant. Für heute reichts aber :müde: Zum Glück kann ich morgen ausschlafen (-:

LG Mymla
rebella67
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Beitrag von rebella67 »

Hallo Agnostikerin,

ich sehe mich in zwei Punkten fehlinterpretiert.

1. Zitat: ?Ich habe noch nie gehört, dass man die Ernsthaftigkeit oder die wissenschaftlichen Ergebnisse anhand deren Gottesgläubigkeit beurteilen würde.?

So habe ich es auch nicht gesagt. Ob jemand gottesgläubig ist, sagt noch nichts darüber aus, ob er in der Lage ist, wissenschaftliche Erkenntnisse zu liefern. Jedoch ist eine wissenschaftliche Erkenntnis mit der Herangehensweise, Gott ist die direkte Ursache, wohl kaum möglich. Ich verdeutliche das mal an einem x-beliebigen Beispiel. Wenn jemand wissen will, warum er die Grippe bekommen hat, kann er das kaum herausfinden, wenn er davon ausgeht, Gott hätte ihn krank gemacht. Es ist schon nötig, von einer irdischen Ursache auszugehen, um die Bakterien oder Viren zu entdecken. Zumindest für diesen Schritt müsste derjenige offen sein, dass es hier eine irdische Ursache gibt. Klar kann er dann immer noch glauben, Gott hätte ihm die Bakterien geschickt. Derjenige aber, der herausfinden will, wo die Bakterien her kommen, kann das kaum herausfinden, wenn er meint, Gott hätte sie geschickt. Damit wäre ja seine Neugier befriedigt. Nein, er muss zumindest erstmal annehmen, dass es hier einen ganz irdischen Weg gegeben hat.

In diesem Satz jedenfalls kann ich dir auch nur zustimmen: ?Nur allein an der Stichhaltigkeit, meinetwegen auch der Schlüssigkeit der Hypothesen, an den Beweisen für deren Ergebnisse kann man die Entdeckungen messen, nicht an deren Gesinnung, wenn man logisch bleiben will, oder??


Zitat 2: ?Ich halte es übrigens für einen eher schwachen logischen Beweis, die Weltanschauung anderer Leute zu sehr wegzurelativieren, weil sie so oder so sozial geprägt seien. ? Ich bestehe auf meinen "Glauben" an menschliche Individualität mit freiem Willen trotz sozialer Prägung.?

Ich betrachte das nicht als Wegrelativieren. Es ist doch nun mal ein Fakt, dass wir alle sowohl durch unsere Gene als auch durch unser soziales Umfeld und unsere Erfahrungen geprägt sind. Ich übrigens auch. ?
Kannst du von dir behaupten, dass dein freier Wille in keiner Weise sozial geprägt ist?
Wenn ich mich selbst anschaue, bin ich mir z.B. sicher, dass ich mich nicht für ungewollt Kinderlose einsetzen würde, wenn es mich nicht selbst erwischt hätte. Hätte ich dafür z.B. ein Bein verloren, würde ich mich jetzt wohl für Rollstuhlfahrer engagieren. Und wenn ich nicht als Kind die Liebe meiner Mutter so sehr zu spüren bekommen hätte, hätte ich möglicherweise nicht mal unter unerfülltem Kinderwunsch gelitten. Wer weiß? Hätte man mich als Kleinkind andauernd in die Kirche geschleppt, mir Kirchenlieder vorgesungen und mich mit Glockengebimmel in den Schlaf gewiegt, im Kindergarten lustige Spiele mit christlichem Background gespielt, ? - wer weiß, wie ich heute über die christliche Kirche denken würde. Ich kann hier ja nur spekulieren, aber ich stelle mir vor, dass ich zwar aufgrund meiner Veranlagung auf der einen Seite rational kritisch wäre, es aber vielleicht nicht wagen würde, das zu kritisieren, weil man es mir als etwas Wertvolles eingetrichtert hat. Der Psychologe Franz Buggle spricht nicht umsonst von frühkindlicher Indoktrination. Was man in seiner frühen Kindheit als wertvoll erlebt, bleibt statistisch signifikant häufig (nicht immer!) ein Leben lang an einem kleben. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass ich mich hinter meine Mutter stellen würde, wenn sie ein Verbrechen begangen hätte. Auch dann, wenn ich es sehr wohl rational erkennen würde und wenn ich es bei allen anderen Menschen verurteile. Ich könnte einfach aufgrund der frühkindlichen positiven Erfahrungen, die ich mit ihr gemacht habe, so eine Geschichte für mich gefühlsmäßig nicht wahr haben. So in etwa stelle ich mir die Beziehung vor, die einige unserer Mitmenschen zur Kirche haben.
Klar, meine Einstellung zur Kirche und zum Glauben lässt sich ebenfalls sozial ableiten. Warum sollte ich das leugnen? Ich bin eben nicht mit diesem Kirchenbramborium aufgewachsen. Ich bin ein DDR-Kind. Bei uns gab es Indoktrination in anderer Richtung, aber die konnte nicht an mich ran, weil sie von meinen Eltern und meiner Familie nicht mit gelebt wurde. Für mich war diese Rote Socken-Agitation nichts anderes als abstoßend. Sie haben ihre Propaganda auch nicht so geschickt in Gefühlsduselei eingebettet, wie die Kirchen das tun. Kirche und Glauben war aber bei uns zu Hause ebenfalls nie wirklich ein Thema. Bei meiner Mutter fand ich allenfalls ein bisschen Aberglauben (aber auch nicht so dolle). Der jedenfalls hat nicht auf mich abgefärbt und ich habe mich allenfalls ein bisschen lustig darüber gemacht. Allerdings war (ist) meine Mutter der Kirche gegenüber positiv eingestellt. Sie stammt aus einer evangelischen Familie und hat das nur deshalb nicht bei ihren Kindern fortgesetzt, weil sie uns keine Nachteile verschaffen wollte. Das Bisschen, was ich also von christlicher Kirche als Kind mit auf den Weg bekommen habe, war, dass sie gut und sozial sein soll. Und für Taufen, Hochzeiten und Weihnachtsfeiern wäre sie so schön romantisch. Nun, ich habe mich nicht sonderlich dafür interessiert, hatte aber eine positive Grundeinstellung. Zum Thema Glauben hatte ich ein einziges Mal etwa als 6-jährige ein Gespräch mit meinem Opa. Damals war seine Mutter gestorben und er meinte, die wäre jetzt im Himmel. ?Was - wie geht denn das?? Er hat mir dann seine Vorstellung darüber erzählt, wie das geht, mir war das aber sofort suspekt und uneinleuchtend. Ich habe ihm das nicht abgenommen. Meine positive Grundeinstellung jedoch wäre womöglich nie ins Wanken geraten, wenn es mich nicht so erbost hätte, dass die christlichen Kirchen mir meine Fortpflanzung verbieten wollen, wo ich denen doch gar nicht angehöre. Nur das hat mich überhaupt veranlasst, das Thema Christentum mal näher unter die Lupe zu nehmen. Und klar fällt es mir mit meiner Geschichte leichter, die Christentumskritik zu fassen, als jemandem, der in der Sache indoktriniert ist. Und selbstverständlich fällt es mir leichter, nicht an Übernatürliches zu glauben, da das für mich nie eine Option war. Ich hatte nie die Vorstellung, mal im Himmel zu landen, von der ich mich jetzt verabschieden müsste. Ich hatte die die Vorstellung, eine höhere Macht würde mir helfen, denn ich habe mein Leben lang gelernt, mich auf meine eigenen Kräfte zu besinnen. Daher kann ich auch leicht sagen, dass ich so eine Vorstellung gar nicht brauche. ?

Ja, wie du sagst, ?Für jeden Einzelnen beweist das trotzdem fast nichts?. Darin kann ich dir ja nur zustimmen. Die Menschen sind verschieden und man kann sie nicht alle in eine Schublade stecken.
Liebe Grüße, Rebella
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Beitrag von rebella67 »

Mymla, deins muß ich jetzt erstmal lesen und vielleicht antworte ich dir morgen. Ich schreibe meistens offline und hatte meine Antwort an Agnostikerin schon vorbereitet.
Liebe Grüße, Rebella
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