Wenn ein ungewollt kinderloses Paar mit der Diagnose "Sterilität aufgrund von Azoospermie des Mannes" konfrontiert ist, wird es sich, insbesondere wenn die Erfolgsaussichten für eine reproduktionsmedizinische Behandlung mit TESE und ICSI nicht sehr groß sind, vermutlich jetzt auch erstmals mit der Frage auseinandersetzen, ob die donogene Insemination (DI) nicht auch ein Weg zu dem ersehnten Wunschkind sein könnte. Manche mögen die Suche nach Alternativwegen zur Familiengründung zunächst ganz beiseite schieben - meiner Frau und mir ging es damit jedoch anders: Wir haben schon relativ früh versucht, für uns einen "zweiten Weg" ausfindig zu machen, falls ein biologisch gemeinsames Kind nicht möglich sein sollte. Dabei bin ich es zunächst gewesen, der versucht hat, meiner Frau den ihr anfänglich sehr befremdlichen Gedanken einer Spendersamenbehandlung als Alternativmöglichkeit nahezubringen. Sofern wir uns nicht ganz gegen Kinder entscheiden wollten, scheinen mir vernünftigerweise eigentlich eine Reihe von Gründen für diesen Weg zu sprechen.
Ganz allgemein betrachtet, ist es ja in einem Land wie Deutschland, wo Geburtenmangel herrscht, eigentlich immer positiv zu sehen, wenn Paare Kinder in die Welt setzen, ganz besonders, wenn es Wunschkinder sind, die dann in umsorgten Verhältnissen aufwachsen. Trotzdem wird in der Öffentlichkeit zumeist die Adoption als die "normale" Alternative für unfruchtbare Paare angesehen. Hier stehen in Deutschland jedoch vielen Adoptivwilligen nur wenige jährlich vermittelte Kinder gegenüber. Kein Paar, das sich hierzulande gegen Adoption entscheidet, muß so eigentlich fürchten, daß ihretwegen ein vermittelbares Kind im Kinderheim zurückbleibt.
Selbst wenn man die Möglichkeit der Auslandsadoption noch miteinbezieht, ist diese Aussage nicht wirklich zu ändern, denn aus vielen westlichen Ländern stehen auch hier die Paare Schlange, wenngleich die Wartelisten wohl nicht so lang sind wie bei den deutschen Inlandsadoptionen. Es gibt auch sicher nicht selten Fälle, wo die Adoption für ein Kind aus einem armen Land eine gute Lösung ist, aber das Armutsproblem der Welt ist so sicher nicht zu lösen. Wenn Elternteile da sind und sie nur aus wirtschaftlicher Not nicht in der Lage sind, ihr Kind aufzuziehen, ist materielle Hilfe sicher viel sinnvoller, als Adoptionen zu vermitteln. Daß soll nicht heißen, daß Auslandsadoptionen negativ zu sehen sind. Angesichts der Realität einer großen Zahl Adoptionswilliger sind Adoptionen aber nicht prinzipiell der "edlere" Weg für unfruchtbare Paare als DI, eine Familie zu gründen.
Daß von Sterilität betroffene Paare in Deutschland auch für eine andere "Aufgaben" gesucht werden, trifft wohl allenfalls auf Pflegschaften oder auch Adoptionen von behinderten Kindern zu. Um ein hierfür geeignetes Paar zu sein, reicht jedoch wohl nicht die Motivation aus, einfach "nur" eine Familie gründen zu wollen, sondern man muß wohl auch noch zusätzlich die Bereitschaft mitbringen, auch mit viel zusätzlichem Einsatz in diesen Fällen Hilfe zu geben. Wer sich dafür entscheidet, verdient viel Respekt und Anerkennung, aber die geschilderte Motivationslage trifft sicher nicht auf jedes infertile Paar zu - wir selbst fühlen uns bis heute da mehr als unsicher.
Neben diesen allgemeinen Überlegungen sehe ich aber noch eine zweite, weniger abstrakte Ebene, aus der heraus betrachtet DI die beste Alternative sein könnte: Die Unmöglichkeit, zusammen ein Kind zu haben, ist schon ein schwerer Schlag für jedes betroffene Paar, aber mit DI kann meine Frau ein eigenes Kind bekommen. Für mich könnte es eine positive Vorstellung sein, wenn ich das nicht auch noch "verhindere" durch meine Unfruchtbarkeit. Auch wäre eine Schwangerschaft für meine Frau ein besonderes Erlebnis, daß ich ihr nicht vorenthalten möchte. Eine Säuglingsadoption kommt mittlerweile so selten vor, daß DI auch wohl die einzige realistische Möglichkeit für uns wäre, "Familie von Anfang an" werden zu können. Auch ist es wohl so einfach leichter, in das Elterndasein hineinzuwachsen, als "ungeübt" mit einem adoptierten Klein- oder Schulkind erzieherisch umgehen zu lernen.
Auch die Bedenken, die anfänglich darüber auch bei uns entstanden waren, ob ein auf so "ungewöhnliche" Weise entstandenes Kind später Probleme mit seiner Identität haben könnte, ließen sich durch die Beschäftigung mit neueren Erfahrungsberichten entkräften. Denn es hat sich gezeigt, daß DI-Kinder ihre besondere Herkunft keineswegs als besondere Belastung empfanden, wenn sie spüren konnten, daß sie von beiden Eltern geliebt und angenommen wurden und wenn sie frühzeitig, schrittweise und immer altersgemäß über ihre Entstehungsgeschichte aufgeklärt wurden.
Obgleich ich so rational mir begründen kann, daß DI eine gute und dazu für uns persönlich auch passende Alternative sein könnte, sind bei mir im Verlauf der laufenden Behandlungsversuche auf homologem Weg immer wieder Zweifel aufgekommen. Während meine Frau bald mehr und mehr sich an den Gedanken von DI gewöhnen konnte, entstanden bei mir immer stärkere Abwehrgefühle dagegen, so daß ich eine zeitlang sogar wieder überzeugt war, daß ich besser gar nicht mehr darüber nachdenken sollte. Mir wurde bewußt, daß ich offenbar an innere, offenbar mehr unterbewußt wirksame Hindernisse stieß. Es dauerte eine ganze Zeit, bis mir endlich - auch nach Gesprächen mit Freunden - klarer geworden ist, was sich mir immer wieder da in den Weg gestellt hat, wenn ich versuchte, mich auf den Gedanken einer Vaterschaft über DI einzulassen: Mir scheint, daß hier zwei männliche Urwünsche wirksam werden - erstens der Wunsch, selbst ein Kind zeugen zu können, und zweitens der Wunsch ein eigenes, mir selbst auch ein Stück weit ähnliches Kind zu haben.
Der erste Wunsch scheint mir der irrationalste aller Faktoren zu sein, der zugleich allerdings auch bei mir, der sich als "moderner" Mann verstehen möchte, dennoch besonders tief verankert ist und sich zumeist nur unterbewußt bemerkbar macht. Offenbar ist dieser Wunsch auch am meisten für die diffusen, oft mit der Vorstellung, "betrogen" zu werden, verbundenen Ablehnungsgefühle verantwortlich, die mir immer dann praktisch "unerklärlich" hochgekommen sind, wenn ich gerade wieder glaubte, rational nun endlich zu DI "Ja" sagen zu können. Bei mir ist dieser Zeugungswunsch auch trotz der ersten Azoospermiediagnose noch weiter lebendig geblieben, weil ich auch eine künstliche Befruchtung wohl irgendwie als "meine" Zeugung akzeptieren könnte. Vielleicht tun sich manche andere Männer deshalb etwas leichter mit DI, weil sie bereits die Tatsache, daß eine Zeugung auf "normalem" Weg nicht möglich ist, als den Verlust der eigenen biologischen Zeugungsfähigkeit erfahren.
Die Bedeutung des zweiten Wunschs, ein biologisch eigenes Kind haben zu wollen, ist mir besonders durch meine Träume darüber bewußt geworden, was ich gerne mit meinem Kind gemeinsam unternehmen oder spielen würde. Diese Vorstellungen sind häufig mit meinen eigenen Kindheitserinnerungen verbunden - nach der Art wie: "Das habe ich gerne gemacht und würde mich freuen, es wieder mit meinem Kind erleben zu können", oder kontrastierend: "Das soll mal mein Kind ganz anders kennen lernen". Bebildert sind solche Phantasien immer mit einem Traumkind, das mal mehr mir selbst oder mal mehr meiner Frau sehr ähnlich ist, je nach dem ob Junge oder Mädchen, und das gerade aufgrund dieses Gefühls der Nähe und Verbundenheit ein sehr positives Gefühl hervorruft.
Wenn es mit TESE-ICSI nicht klappen sollte, wären beide Wünsche, egal welche Alternative wir wählen, nicht erfüllbar. Dennoch war die Vorstellung, ein Kind zu adoptieren, nie stärker mit Abwehrgefühlen meinerseits verbunden. Der Wunsch, eine Familie auf diese Weise zu gründen, ist zwar ein gutes Stück schwächer; biologisch eigene Kinder haben zu wollen, wäre für mich überhaupt keine Frage, während ich bei Adoption die Kinderlosigkeit in etwa als fast gleichwertige, auf jeden Fall reale Option empfinde. Bei DI ist das jedoch anders, da entstand trotz der rational positiven eigenen Bewertung immer wieder neu der Widerstreit zwischen einer Zustimmung im Kopf und Ablehnung im Bauch. Mir scheint das nun daher zu rühren, daß ich bei dem Gedanken an Adoption mich schon unwillentlich von meinen beiden Urwünschen verabschieden kann, während ich das bei DI nicht tue. Adoption ist für mich von Anfang an etwas "anderes", als Vater eines eigenen Kindes zu werden, und wird von daher auch nicht im Kopf damit verglichen. DI dagegen schon, denn hier entsteht ja sozusagen ein "halb eigenes" Kind von uns, noch dazu auf fast derselben Weise wie bei einer homologen künstlichen Befruchtung.
Auf der Basis dieser neuen Einsichten könnte ein veränderter Weg zu DI für mich folgendermaßen aussehen: Als Anfang sollte ich mir einmal die Bedeutung dieser beiden Urwünsche für mich noch einmal voll bewußt machen und zu ihnen stehen, um mich dann von ihnen in einem Art "Trauerprozeß" angemessen zu verabschieden. Die Wünsche sind dann nicht getilgt (oder gar - wegen der Existenz des DI-Kindes - die Erinnerung daran verboten), sondern sie sind sozusagen an einem mir weiter wertvollen Erinnerungsort friedlich begraben.
Nun erst könnte ich mich wirklich auch auf das Neue eines DI-Kindes einlassen und es als eigenen Weg zur Familie annehmen. Ich sollte so DI nicht als "Ersatz" für ICSI verstehen, sondern wie Adoption/Pflege eben als eine Sache eigenen Rechts. Für mich persönlich scheint es dabei besonders hilfreich, v.a. eine Parallele zu einer Säuglingsadoption innerlich zu ziehen, wobei eben noch der hübsche Vorteil dazu kommt, daß das dieses "besondere Adoptivkind" zugleich meiner Frau ähnlich sein kann. Wie ein Adoptivkind möchte ich dieses Kind dann auch von Beginn an annehmen, aber ich muß nicht von mir erwarten, daß ich identisch empfinde wie bei einem biologisch eigenen Kind von mir selbst. Die Gefühle dürfen als sozialer Vater anders sein, ohne daß sie deswegen verglichen oder gar abgewertet werden müssen.
Auf diese Weise könnte dann auch ein DI-Kind ein von mir als "mein Kind" im Sinne einer sozialen Vaterschaft wirklich voll angenommenes Kind sein. Allerdings steht dem erschwerend die Frage der Haltung der Umwelt zur Entstehung des Kindes entgegen. Kurz gesagt erfährt man ja als Adoptiv-/Pflegschaftsvater eher Bewunderung und Zustimmung, als DI-Vater jedoch eher Verwunderung, Ablehnung oder sogar manchmal Spott. Der zumeist gewählte Ausweg, die Entstehung des Kindes deswegen weitgehend geheim zu halten, erschwert es jedoch, sich in dem von mir geschilderten Sinne ehrlich als sozialer Vater zu fühlen, weil man nach außen ständig auch den biologischen Vater mimen muß und so doch leicht verführt ist, wieder in den Vergleichs- und Abwertungsmechanismus zurückzufallen.
Eine Lösungsmöglichkeit könnte nun sein, daß man relativ offen mit der Entstehungsgeschichte des Kindes umgeht: Man setzt weitgehend alle Freunde, Verwandte und Bekannte in Kenntnis, mit denen man häufiger zu tun hat. Übrig bleibt so die "reine" Außenwelt, die in der Regel sowieso nicht Bemerkungen in dieser Richtung macht, so daß man de facto nur in sehr seltenen Fällen zum Schutz des Kindes und zur Vermeidung allzu "dummer" Bemerkungen etwas neben der Wahrheit bleibt, aber in den allermeisten Begegnungen nicht der Situation ausgesetzt ist, etwas verschweigen oder umschiffen zu müssen.
Allerdings bliebe auch so noch das für mich sich recht problematisch anfühlende Gefühl übrig, innerlich nicht voll dazu stehen zu dürfen, wie unsere Familie entstanden wäre. Es stellt sich so die Frage, ob nicht auch der Rest an "Schein-Wahrung" besser aufgegeben werden sollte. Dies würde natürlich nicht bedeuten, jeden ungefragt über die DI-Elternschaft aufzuklären, aber es könnte heißen, sich die Freiheit zu nehmen, auch gegenüber der fremden Außenwelt in Situationen, in denen es einem wichtig erscheint, eine entsprechende Information geben zu können. Möglicherweise könnte dies gegenüber Unbekannten, die z.B. Fragen nach der Ähnlichkeit des Kindes stellen, auch nur eine kleinere Halbnotlüge sein, die nicht in die biologische Scheinvaterschaft hineinzwingt, z.B. der Hinweis, wir seien "eine Art glückliche Patchwork-Familie" o.ä., um weitere Nachfragen dann ggf. einfach abwürgen zu können ("Das wäre jetzt eine sehr schöne, aber viel zu lange Geschichte...").
Ein solcher Umgang würde mir dann alle Hindernisse ausräumen, auf meine Weise ehrlich zu einem DI-Kind zu stehen, und die gestorbenen Urwünsche könnten so wirklich friedlich begraben bleiben. Zweifelsohne stellt diese Haltung bisweilen auch eine Herausforderung an das Selbstbewußtsein des Kindes dar, der andere Kinder so nicht ausgesetzt sind. Jedoch scheint mir der Gewinn für das Kind im Endeffekt größer zu sein: Es hätte keinen gelegentlich "irgendwie unsicheren" Vater, sondern könnte immer spüren, daß der Vater mit sich und der Beziehung zu seinem Kind im Reinen ist.

und Gruß von
B.
