Hetze in katholischer Zeitung

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rebella67
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Hetze in katholischer Zeitung

Beitrag von rebella67 »

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DT vom 18.11.2006
Von Alexander Kissler

Kaum ist der kleine Vinzent geboren, da werden ihm Blutstropfen entnommen, die in einen Glaskolben wandern. Wenige Sekunden später hält die Krankenschwester einen Computerausdruck in Händen: ?Neurologische Erkrankungen: 60 Prozent Wahrscheinlichkeit, manisch-depressiv: 42 Prozent Wahrscheinlichkeit, Konzentrationsstörungen: 89 Prozent Wahrscheinlichkeit, Herzstörungen: 99 Prozent Wahrscheinlichkeit, früher Tod: wahrscheinlich, Lebenserwartung: 30,2 Jahre.? Vincents Lebensweg ist damit vorgezeichnet: Er wird ein Paria sein. Kein Kindergarten wird ihn aufnehmen ? ?die Versicherung deckt es nicht ab? ?, kein Arbeitgeber wird sich seine Ausbildung etwas kosten lassen. Vincent wird Raumpfleger, gesellt sich notgedrungen der ?neuen Unterschicht? bei.

?Sie möchten doch für Ihr

Kind den bestmöglichen Start?

Vincents Eltern haben daraus gelernt. Ihr nächstes Kind soll so entstehen, wie jetzt alle Kinder entstehen, im Genlabor. Ein glatzköpfiger Techniker klärt sie auf: ?Wir können jetzt zuerst einmal über das Geschlecht entscheiden.? Die Eltern wollen für Vincent einen Spielkameraden, ein Brüderchen, mit hellbraunen Augen, dunklen Haaren, heller Haut. Der Techniker aber hat schon eigenständig weiteroptimiert: ?Ich war so frei und habe alle potenziell abträglichen Beschwerden ausgeschaltet. Vorzeitige Kahlheit, Kurzsichtigkeit, Alkoholismus und Suchtanfälligkeiten, Neigung zu Gewalt, Fettleibigkeit.?

Vincents Eltern intervenieren. Sie wollten nur das Risiko für schwere Krankheiten minimieren. Ihr Einwand verfängt nicht. ?Sie möchten doch für Ihr Kind den bestmöglichen Start. Glauben Sie mir, in uns steckt schon genug Unvollkommenheit. Ihr Kind braucht keine zusätzlichen Belastungen. Und vergessen Sie nicht: Dieses Kind ist immer noch von Ihnen. Nur eben das Beste von Ihnen. Sie könnten tausendmal natürlich empfangen und nie ein solches Ergebnis erzielen.? Alles vom Ergebnis her zu denken, vom Zweck, nicht vom Mittel her ist der Kern jener vitalistisch überwölbten mechanistischen Weltanschauung, die in dem Spielfilm ?Gattaca? von 1997 zur Staatsdoktrin geworden ist, die aber bereits heute den globalen Wertediskurs bestimmt.

Es wäre naiv, hier auf die Selbstbegrenzungskräfte der angewandten Wissenschaft zu hoffen. Was einmal wissbar gemacht worden ist, will auch genutzt werden. Die jüngsten Forderungen der DFG zur Freigabe der Embryonenforschung belegen diesen Zusammenhang. ?Der freie, wissende Mensch?, schrieb einmal Carl Friedrich von Weizsäcker, ?beherrscht seine Objekte, und eben darum findet er an ihnen keinen Halt.? Des Menschen liebstes Objekt aber ist in diesen Tagen der Mensch.

Kein Science-Fiction-Film, sondern ein sehr ernster Artikel in der Fachzeitschrift ?The new scientist? war vor wenigen Tagen überschrieben: ?Die Reproduktionsrevolution ? Sex zum Spaß, künstliche Befruchtung für den Nachwuchs.?

Demnach werde natürliche Empfängnis bald schon so ungewöhnlich, ja so unverantwortlich sein wie Rauchen während der Schwangerschaft. Obwohl zehn Prozent der Frauen während einer bekanntermaßen recht schmerzhaften In-vitro-Fertilisation schwer erkranken und sechs von 100 000 sogar sterben, obwohl auch die IVF-Babies signifikant häufiger Frühgeburten sind oder zu wenig wiegen, sei die Methode auf dem besten Wege, zum Standard zu werden. Schon heute werden neun von 100 künstlichen Befruchtungen in den USA aus Gründen der Geschlechtswahl vorgenommen; Embryonen werden verworfen, getötet, weil die Eltern unbedingt oder auf gar keinen Fall ein Mädchen wollen. Nicht genetisch vorbelasteten oder ungewollt kinderlosen Paaren soll geholfen werden, sondern das Kind nach Wunsch gilt als Dernier cru. Und dazu ist es nötig, Embryonen zu selektieren, zu entscheiden also, welches Leben gelebt werden, welches Leben heranreifen soll ? und welches, mit den Worten des polnischen Soziologen Zygmunt Bauman, zur Kategorie des verworfenen Lebens rechnet.

Diese Alternative markiert eine Grundsatzfrage unserer Gegenwart: Muss menschliches Leben eine bestimmte Qualität erfüllen, um vor den Zugriffen Dritter geschützt zu sein? Oder hat es per se, einfach weil es existiert und menschlich ist, ein unbedingtes Lebensrecht? Das Paradigma der Lebensqualität befindet sich auf dem Vormarsch. Es scheint kaum mehr aufzuhalten. Beim ersten ?CNN Zukunftsgipfel? am 15. Juni dieses Jahres hieß es: ?Die revolutionären Fortschritte in der Genetik und der Stammzellenforschung werden definitiv dazu führen, dass die Menschen länger leben und in ihren letzten Jahren eine höhere Lebensqualität haben. (...) Schon in wenigen Jahren werden wir den ?klinischen Bedarf? an neuen Behandlungswegen für Diabetes und Herzerkrankungen befriedigen können ? dank der Stammzellen. Das Klonieren des Schafes Dolly hat den Beweis erbracht, dass man die Diskette mit dem genetischen Programm neu beschreiben kann.? So sprach einer der ?Dolly?-Väter, Alan Colman, der heute ein Biotech-Unternehmen leitet.

Auch eine Anthropologin aus Lausanne, Daniela Cerqui mit Namen, sah eine neue Ära angebrochen. ?Wir versuchen nicht nur, unsere Lebensqualität zu verbessern oder Krankheiten zu bekämpfen. Wir kämpfen mehr und mehr gegen die menschliche Natur an sich. Wir akzeptieren (...) nicht länger unsere menschlichen Grenzen; wir überschreiten diese mittels Wissenschaft und Technik, und wir denken, wir müssten es tun. (...) Wenn wir selbst uns radikal modifizieren, könnten wir uns in eine neue Gattung verwandeln, die alles andere ist als menschlich.?

Die Avantgarde der Ethiker ist in den angelsächsischen Ländern

Wo ist diese Ideologie der Lebensqualität entstanden? In den sechziger, siebziger Jahren im angelsächsischen Raum als ?Neue Ethik?. So nämlich war 1970 ein Aufsatz in der Zeitschrift ?California Medicine? überschrieben. Bisher und noch immer sorge das jüdisch-christliche Erbe dafür, dass das menschliche Leben als solches der zentrale Faktor sei der ?westlichen Ethik?. Bald aber werde an dessen Stelle besagter neuer Wert treten: die Lebensqualität. ?Schwere Entscheidungen? stünden an, ja ?die Beschädigung und letztlich die Zerstörung der traditionellen westlichen Ethik?. Im Rahmen dieses Paradigmenwechsels werde es nötig, relative an die Stelle von absoluten und gleichen Werten zu setzen. Die ?Erosion der alten Ethik? zeige sich an der gewandelten Einstellung zur Abtreibung, die als ?moralisch, richtig und sogar notwendig? akzeptiert werde. Künftig werde an die Seite der Geburtenkontrolle die Geburtsselektion treten und die Todeskontrolle und die Todesselektion.

Die Autoren von ?A new ethic? haben 1970 einen erstaunlichen Weitblick bewiesen. Der Kampf um den Status des menschlichen Lebens ist entbrannt. Ob es sich um Embryonen- und Stammzellenforschung handelt, um Klonexperimente, Spätabtreibung, Sterbehilfe oder Todesstrafe und Folterverbot: Faktisch hat das menschliche Leben seinen privilegierten, seinen fraglosen Status eingebüßt. Zugleich wurde die Lebensqualität zur technischen, da durch Technik beeinflussbaren Größe.

Kein Zufall ist es, dass die akkurate Zeitansage von 1970 aus den USA stammt. Nordamerika und Großbritannien, ferner Australien und Neuseeland, beherbergen die Avantgarde der Ethiker. Unter dem Banner von Individualismus und Pragmatismus hat sich dort eine Denktradition ausgebildet und verstetigt, die nun, im Zuge einer Globalisierung der Werte, weltweit den Taktstock schwingt. Insofern ist es ein globales, kein regionales Ereignis, wenn nun Australien das seit 2002 gültige Klonverbot nicht verlängern will. Mit 34 zu 32 Stimmen votierte der Senat Anfang November dafür, das Klonen menschlicher Embryonen zuzulassen. Man habe hier ?die Gelegenheit zu einer großartigen Forschung?. Bekanntlich macht Gelegenheit Diebe ? doch reichen Chancen, Hoffnungen, Versprechungen aus, um der Neuen Ethik eine neue Gattung folgen zu lassen? Noch kein einziges Mal wurde im Tierversuch bewiesen, dass sich mit geklonten Zellen genetische Defekte therapieren, geschweige denn heilen lassen. Der ?proof of principle? fand noch nicht statt ? obwohl in den letzten Dekaden milliardenschwere Beträge in die Stammzellenforschung geflossen sind.

Der privilegierte Ort einer Denkweise, in der die von Dritten bestimmte Lebensqualität das Prärogativ hat über das Dasein und Sosein des Menschen, sind die so genannten Lebenswissenschaften. Ihnen liegt ein instrumentell ausgerichteter, zweckorientierter, abermals sehr pragmatischer Begriff von Leben zugrunde. Vereinfacht ausgedrückt: Leben ist, was funktioniert. Eine solche Auffassung ist weder verdammens- noch bemitleidenswert. Aber sie bildet das ideologische Gerüst eines vermeintlich streng objektiven Weltzugangs. Darum eignet den Forderungen aus dem Kreise der Deutschen Forschungsgemeinschaft keineswegs per se eine größere Dignität als den Forderungen anderer Lobbyverbände, seien es Pharmaindustrie, Bauernverband oder Handwerk.

Freiheit wird totalitär, wenn

sie ihre Grenzen nicht bedenkt

Aufgabe der Gesellschaft ? nicht nur der Politik ? ist es, die strategischen Interessen zu scheiden vom ethischen Anspruch, der sich dahinter verbirgt. Dient ein noch so verständlicher Gestaltungswille dem Allgemeinwohl oder folgt er einem Partikularinteresse? Kann Autonomie die Pflichtenethik aushebeln? Dringen möglicherweise die Folgen einer Entscheidung zugunsten eines Partikularinteresses über den Kreis der Anspruchsnehmer hinaus? Und falls dem so ist, falls also die Spät- und Nebenfolgen den momentanen Zugewinn an Gestaltungsfreiheit überwiegen: Ist dann eine solche Entscheidung überhaupt verantwortbar? Ist sie demokratisch?

Der Raum des Politischen ist der Raum des organisierten Streits. Deshalb sind politische Entscheidungen irrtumsanfällig, und deshalb müssen sie prinzipiell revidierbar sein. Wo der Mensch eine Bringschuld zu erfüllen hat, damit er als Mensch ganz akzeptiert wird ? sei es am Anfang, sei es am Ende des Lebens ?, da ist er schon eine Sache geworden, eine Ziffer, ein Hindernis. Insofern ist es symptomatisch, dass zur Hoch-Zeit globaler Verflechtungen an einer Neudefinition des Menschlichen gebastelt wird. Denn Freiheit wird totalitär, wenn sie ihre Grenzen nicht bedenkt.

Alexander Kissler ist Autor des Buches: Der geklonte Mensch. Das Spiel mit Technik, Träumen und Geld. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2006, 224 Seiten, ISBN 3-451292-610, EUR 19,90
Liebe Grüße, Rebella
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