Ablehnung ICSI durch GKV - nach 2 IVF Versuchen

Rechtsanwalt Philipp-Alexander Wagner beantwortet hier Fragen rund ums Medizinrecht.

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Wer hat Ideen einer möglichen Nachfolge?

Moderator: RA Wagner

rappelkiste*10
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Ablehnung ICSI durch GKV - nach 2 IVF Versuchen

Beitrag von rappelkiste*10 »

Hallo Herr Wagner,

nach zwei erfolglosen IVF Versuchen (Versuche nach Geburt 2009) mit einer sehr einsgeschränkten Befruchtungsrate, riet uns unsere Kinderwunschklinik dringend es für den 3. Versuch mit einer ICSI zu versuchen.

Diagnose:
Sie Tubenverschluss links, Corpus luteum Insuffizienz, Ovulation nachgewiesen, schlechte Oozytenqualität
ER Normozoospermie, eingeschränktes Spermiensurvival, Nachweis von Spermienantikörpern

1. IVF 2 von 8 regelrecht befruchtet
2. IVF 5 von 15 regelrecht befruchtet

laut unseres behandelnden Arztes handelt es sich um einen besonderen Fall, in dem eine besondere Gametenqualität (Oozyten und/oder Spermien) eine auffallend hohe Spermienbindung an der Eizelle zulässt , die anschließend in deutlichem Gegensatz zur Befruchtungsrate stehe. Es zeigten sich in beiden IVF Versuchen eine hohe Anzahl nicht regelrecht befruchteter Eizellen sowie ein eingeschränkter Score der verbliebenen 2PN Stadien. Die verbliebenen Embryonen wiesen ebenso eine verringerte Qualität auf, bzw. zeigten keine fortlaufende Zellteilung. Abhilfe soll eine ICSI schaffen, um die Befruchtungsrate zu erhöhen und den Anteil der 2PN guter Qualität zu erhöhen.

Der MDK der von unserer GKV hinzugezogen wurde hat unser Anliegen mit folgender Begründung abgwiesen:
" Eine Kostenübernahme der geplanten ICSI Behandlung zu Lasten der Krankenkasse wird aus sozialmedizinischer Sicht nicht befürwortet.
In den Richtlinien des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen ist bei den vorliegenden Diagnosen und deren Konstellation eine ICSI Behandlung nicht vorgesehen. Eine Kostenübernahme durch die KK ist somit nicht zu befürworten."

Die Werte der vorliegenden Spermiogramme meines Mannes sind in der Tat über den in der Richtlinie festgelegten, das wussten wir ja bereits vorher, wenn es sich auch um keine große Differenz handelt. Die Richtlinie besagt ja auch weiter, dass nach einer ERSTEN IVF nach nicht eingetretener Befruchtung die Behandlung umgestellt werden darf.
Da aber eine Befruchtung eingetreten ist, haben wir gedacht, dass wir es erst nochmal mit einer 2. IVF versuchen, da das ja vor 3 Jahren bereits einmal geklappt hat, und dann ggf die ICSI heranziehen. Die KK hat sogar telefonisch bestätigt, dass wenn wir nach dem ersten Versuch einen erneuten Antrag auf Änderung der Behandlungsmethode gestellt hätten, diesem mit hoher Wahrscheinlichkeit stattgegeben worden wäre. (was sich im Nachhineine natürlich leicht behaupten lässt)

Unsere Fragen nun:
Sehen Sie Aussicht auf Erfolg bei Einlegung eines Widerspruchs?
Muss sich die GKV streng an das Gutachten des MDK halten, oder gibt es da wohl Entscheidungsspielraum bei "Sonderfällen"?
Hinzu kommt die Tatsache, dass mein 40. Geburtstag in knapp 3 Monaten bevorsteht und ich fürchte, dass dies auch als willkommene Gelegenheit gesehen wird, ein Verfahren einfach zu verschleppen? Oder würde, falls die Entscheidung der KK doch grundsätzlich positiv ausfallen würde, das Datum der Antragsstellung gelten? (Normalerweise zählt ja der Beginn der Downregulierung zur Stimulation als "Stichtag".)
Könnte man während des Widerspruchsverfahrens, es drauf ankommen lassen und falls die KK doch noch positiv entscheidet, die Kosten dann erstattet bekommen?

Ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich in diesem Forum mit unseren Sorgen und Fragen auseinandersetzten. Von Ihrer Homepage weiss ich um ihre Vorgeschichte.
Mit freundlichen Grüßen
I.
Rappelkiste*10
RA Wagner
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Wechsel von IVF auf ICSI

Beitrag von RA Wagner »

Hallo Rappelkiste*10,

nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung dürften IVF und ICSI aufgrund der differenzierten Indikationsstellung nur alternativ angewandt werden. Einzige Ausnahme ist nach der Richtlinie die Fallkonstellation eines totalen Fertilisationsversagens nach dem ersten Versuch einer IVF. In einem solchen Fall könnte in maximal zwei darauffolgenden Zyklen die ICSI zur Anwendung kommen, auch wenn die Voraussetzungen nach Nr. 11.5 der Richtlinie (Regelung zur den Werten der Spermiogramme bei einer ICSI) nicht vorliegen würden. Ein Methodenwechsel innerhalb eines IVF-Zyklus ist nach der Richtlinie ausgeschlossen. Der Methodenwechsel ist ferner auf einem Folgebehandlungsplan zu beantragen. Da der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) für außerhalb der in der Richtlinie genannten Indikationen keine positive Empfehlung abgegeben hat, vertreten die gesetzlichen Krankenkassen die Auffassung, dass außerhalb dieser Indikation keinesfalls Kosten übernommen werden können.

Möglicherweise könnte nach einer Rechtsprechung des Landessozialgerichtes Bremen hier argumentiert werden, dass die zugrundeliegenden Richtlinien des GBA bezüglich der Voraussetzungen eines Wechsels der Behandlungsmethoden nicht rechtmäßig sind. Ob die Grundsätze dieses Urteils auf Ihren Sachverhalt angewandt werden können, ist unklar, da bei dem vorgenannten Urteil ein Fertilisationsversagen nach dem zweiten Versuch vorlag und dieses in Ihrem Fall nicht gegeben ist. Gegen eine Kostenübernahme der ICSI könnte sprechen, dass gemäß Ihren Angaben die Werte der Spermiogramme über den Werten der Richtlinie liegen. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichtes haben Patienten keinen Anspruch auf eine künstliche Befruchtung, wenn die in den Richtlinien über die künstliche Befruchtung festgelegten Grenzwerte für die Indikation nicht erfüllt sind. Im Ergebnis sehe ich jedoch eine Möglichkeit zur Argumentation in einem möglichen Widerspruchsverfahren, auch wenn die Erfolgsaussichten fraglich sind.

Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes würde ich nicht davon ausgehen, dass die Krankenkasse von dem Votum des MDK abweichen wird. Sie werden somit gegen die Entscheidung der Krankenkasse einen Widerspruch einlegen müssen. Bitte beachten Sie zur Vermeidung von Nachteilen hierbei die gesetzten Fristen.

Im Hinblick auf die Altersgrenze sollten Sie überlegen, ob Sie die Behandlung des Versuches finanziell selber tragen und zu versuchen, sich die Kosten nachträglich wiederzuholen. Risiko ist, dass, wenn Sie im Widerspruchsverfahren oder einem möglichen gerichtlichen Verfahren nicht obsiegen, Sie auf den Kosten für diesen Versuch sitzen bleiben. Beginn der Behandlung ist nach Ziffer 9.1 der Richtlinie der erste Tag der Down-Regulation. Ein Widerspruchsverfahren würde die Altesgrenze nicht verschieben, so dass der Versuch vor dem 40. Geburtstag durchgeführt werden sollte.

Ich hoffe, dass Sie den nächsten Versuch durchführen können und Ihr Ziel eines Wunschkindes erreichen.

Ihr RA Wagner
Die erteilte Auskunft kann eine Rechtsberatung unter Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht ersetzen. Es handelt sich somit nur um eine vorläufige erste Einschätzung. Für eine verbindliche Rechtsauskunft fragen Sie bitte hierzu einen Rechtsanwalt Ihrer Wahl. Aktuelle Meldungen und Urteile (News) zum Kinderwunschrecht sowie zu meiner Person unter www.ra-kinderwunschrecht.de
rappelkiste*10
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Beitrag von rappelkiste*10 »

Lieber Herr Wagner,
ich bedanke mich ganz herzlich, dass Sie sich die Zeit genommen haben mir so ausführlich zu antworten. Wir werden es mit einem Widerspruch versuchen, da wir ja nichts zu verlieren haben.
Gleichzeitig haben wir uns bereits entschieden, den ICSI Versuch zu starten und es darauf ankommen zu lassen.
Nochmals Hochachtung, dass Sie sich hier so engagieren!
Beste Grüße
i.
rappelkiste*10
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Beitrag von rappelkiste*10 »

Hallo Herr Wagner,

jetzt habe ich doch noch kurz ein Frage oder Bitte:
ich habe mir das von Ihnen genannte Urteil des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen herausgesucht und komme zu dem Schluss, dass es bei einer möglichen Argumentationsweise anhand der dort nachlesbaren Entscheidung eigentlich um die Gewichtung der rechtlichen Vorraussetzungen (§ 27 a SGB V höheres Recht gegenbüber den Richtlinien der GBA, "Ausgangspunkt der Indikationsfestlegung soll sein, dass hinreichende Aussicht besteht, dass durch die gewählte Behandlungsmethode eine Schwangerschaft herbeigeführt wird (§ 27 a Abs 1 Nr. 2 SGB V, Nr. 8 Satz 1 der Richtlinie"zitiert aus dem erwähntem Urteil)) gehen könnte, sowie die "Unwirtschaftlichkeit" einer weiteren genehmigten IVF und die Wirtschaftlichkeit einer ICSI im Rahmen von insgesamt drei möglichen Versuchen.

Wenn Sie mir da nochmal kurz einen Tip für unseren Widerspruch geben könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Unsere Krankenkasse hat ja sogar die Aussage getroffen, dass, wenn wir den Methodenwechsel nach der ersten erfolglosen IVF beantragt hätten, dann wäre das so durchgegangen. Erst nach der 2. IVF hätten sie den MDK einschalten müssen. Wie gesagt, das sagt sich am Telefon leicht. Schriftlich haben wir das natürlich leider nicht.

Herzlichen Dank und viele Grüße
Inge
RA Wagner
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Verbot des Methodenwechsels von IVF auf ICSI

Beitrag von RA Wagner »

Hallo Rappelkiste*10,

Aufhänger für den Widerspruch sollte sein, dass gemäß dem Ihnen bekannten Urteil davon auszugehen ist, dass die Regelung des GBA, wonach ein Methodenwechsel nur nach einem ersten Versuch möglich ist, gegen höherrangiges Recht (§ 27a SGB V) verstößt. Nach der Entscheidung ist anhand der Regelung des § 27a SGB V eine Verbot des Methodenwechsels nicht zwingend, so dass die Regelung des GBA bezüglich dieser Reglung rechtswidrig sein soll. Dieses Argument könnten Sie versuchen, auch für Ihren Fall zu nutzen.

Die von Ihnen bereits genannten Argumente der höheren Erfolgschance und der Wirtschaftlichkeit sollten von Ihnen ergänzend angeführt werden. Möglicherweise lässt sich die Krankenkasse vor dem Hintergrund der Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen darauf ein und genehmigt den weiteren Versuch. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.

Ihr RA Wagner
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rappelkiste*10
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Beitrag von rappelkiste*10 »

Hallo Herr Wagner,
also nochmals vielen Dank. Das hat uns sehr geholfen, zumal ich das Anschreiben der Kasse nochmal genau gelesen habe und dort noch vor dem Verweis auf das Gutachten des MDK, als Grund für die Ablehnung angeführt wird, dass der Antrag erst nach der 2. IVF erfolgte und nicht bereits nach der ersten wie es in der Richtlinie steht.
Beste Grüße
I.
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luzie773
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Beitrag von luzie773 »

Hallo Rappelkiste,

lass Dir auch unbedingt nochmal das Gutachten des MDK von der Krankenkasse geben, falls Dir das zeitlich noch reicht. Eventuell ergeben sich daraus auch noch weitere Hinweise und Ansatzpunkte.
Das liegt der KK vor und es sollte kein Problem sein, Dir das innerhalb eines Tages per Fax zukommen zu lassen.

Ich hatte auch so meinen Spaß mit meiner ersten KK (TKK) und dem MDK :argh:

Ich drücke die Daumen, dass Du Erfolg hast.

Grüße
Luzie
Bild Baujahr 76, SD-Unterfunktion, V.a. Autoimmunthyreopathie, aktuell 125 µg L-Thyrox, leichte Gelbkörperschwäche, neg. PC-Test, AMH 2,29, leicht erhöhte Killerzellen, PAI-1 4G/4G homozygot, MTHFR heterozygot, 3 fehlende KIR-Gene
Bild Baujahr 73, Spermiogramm prima

KiWu seit 01/2010
09/2011-09/2012 5 IUIs
11/2012 IVF (12 EZ, Nullbefruchtung)
03/2013 ICSI (18 EZ, Nullbefruchtung)
05/2013 Spontanschwangerschaft, MA 8.SSW
09/2013 Spontanschwangerschaft, MA 10.SSW
07/2014 Spontanschwangerschaft, MA 11.SSW
06/2015 gesunde Spontanschwangerschaft

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rappelkiste*10
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Beitrag von rappelkiste*10 »

Liebe Luzie,
danke für den Tip. Das Gutachten hatte mir unsere Sachbearbeiterin bereits auf unseren Wunsch zukommen lassen. Sie ist eigentlich sehr nett, hat mich sogar erstmal angerufen, bevor sie die Ablehnung verschickt hat und fühlt durchaus mit uns, aber ihr sind momentan wohl die Hände gebunden, was uns natürlich wenig hilft. Sie wird das ja auch nicht weiterentscheiden. Für das Widerspruchsverfahren gibt es ein gesondertes Gremium, das über unseren Fall befinden wird.

Aus dem Gutachten ergibt sich übrigens nur sehr wenig. Zwei Standardsätze dazu, dass eben bei vorliegendem Fall die in der Richtlinie beschriebenen Indikationen nicht gegeben sind... das wars. Aber vielleicht ist beim derzeitigen Stand unseres Falles weniger sogar mehr.

Wir versuchen es auf jeden Fall mit dem Widerspruch und den Versuch werden wir starten, da ich ja quasi schon fortgeschrittenen Alters bin
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Ich drücke Dir ganz fest die Daumen, dass es bei Dir klappt. Ich bin in einer vergleichsweise komfortablen Situation...

Herzlich
i.
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luzie773
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Beitrag von luzie773 »

Liebe Inge,

meine Erfahrungen hinsichtlich Sachbearbeiter (sehr nett, aber leider ohne Entscheidungskompetenz) und Gutachten des MDK (wenig Inhalt und streng an die Richtlinien angelehnt) waren ähnlich, auch wenn es nicht um den Wechsel von IVF auf ICSI ging.

Ich drücke Dir ganz fest die Daumen, dass Du mit Deinem Widerspruch Erfolg hast. Vielleicht kann sich ja auch die Krankenkasse mal zu einer Einzelfallentscheidung durchringen, das dürfen die nämlich durchaus ;-). Gib doch mal Bescheid wie es ausging.

Und ganz viele *dd* für Deinen nächsten Versuch.

Grüße
Luzie
rappelkiste*10
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Beitrag von rappelkiste*10 »

alles deutet darauf hin, dass wir nun doch noch Hilfe seitens der GKV bekommen. Schriftlich bekomme ich das am Montag.
Lieber Herr Wagner, ganz herzlichen Dank für Ihre geniale Hilfe!
Beste Grüße
Gesperrt

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