hallo in die runde,
hier das ergebnis des heutigen abends:
Sehr geehrte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung,
Sie haben Frau Lewitscharoff mit dem Georg-Büchner-Preis für das Jahr 2014 ausgezeichnet , dem bedeutendsten deutschen Literaturpreis.
Wie Sie wissen, hielt Frau Lewitscharoff anlässlich dieser Preisverleihung in Dresden eine Rede. Diese Rede ist aufgrund ihres befremdlichen Inhalts einem breiteren Publikum bekannt geworden, als es sonst bei solchen Gelegenheiten üblich ist.
Frau Lewitscharoff beleidigt in ihrer Rede hetero- und homosexuelle Paare, die reproduktionstechnischer Hilfe bedürfen.
Neben den ungewollt kinderlosen Paaren diffamierte sie eine weitere Menschengruppe, nämlich alle mit Hilfe von assistierter Reproduktion entstandenen Kinder. "Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas."
Zwar hat Frau Lewitscharoff sich für diese Aussage entschuldigt, doch die Entschuldigung war halbherzig. Zudem handelte es sich um eine zu einem bedeutenden Anlass vorbereitete Rede und nicht eine spontane, unbedachte Äußerung. Die Ungeheuerlichkeit dieser und anderer Aussagen in der Rede wäre jedem humanistisch – oder auch aufgeklärt christlich - gesonnenen Menschen nicht erst nach der Kritik aufgefallen. Dass Frau Lewitscharoff diese Ungeheuerlichkeiten nicht bemerkt haben will, ist nicht entschuldbar.
Auch ihr Hinweis auf eine traumatische Kindheit zieht da nicht. Die Autorin ist in einem Alter, in dem man die Verantwortung für sein Handeln übernehmen und sich nicht mehr mit dem herausreden sollte, was andere in der Kindheit an einem verbrochen haben oder was einem früher schlimmes passiert ist. Da könnte ja jedes der von Frau Lewitscharoff als „zweifelhaftes Geschöpf“ beleidigten Kinder später ungestraft ein Mörder werden, mit dem Verweis auf diese traumatisch wirkende Diskriminierung.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich Frau Lewitscharoff nicht kritisiere, weil sie die Reproduktionsmedizin ablehnt. Ich habe großen Respekt vor Menschen, die kritisch hinterfragen, was technisch möglich ist. Ich kann auch gut nachvollziehen, dass manch einen die Vorstellung der assistierten Befruchtung befremdet.
Ich werfe Frau Lewitscharoff jedoch vor, dass sie respektlos Andersdenkenden und anders entstandenen umgeht. Ich erwarte von einer Literaturpreisträgerin unabhängig von ihrer persönlichen Meinung eine niveauvolle Diskussion ohne Diskrimierung und ohne Aussagen, die in anderen Zusammenhängen ganz schnell als Volksverhetzung interpretiert werden würden.
Ich bin entsetzt, dass die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung es bis jetzt offensichtlich nicht für nötig fand, zu dieser einer Demokratie unwürdigen Rede Stellung beziehen.
Hand auf’s Herz: Hätten Sie genauso geschwiegen, wenn Frau Lewitscharoff nicht die aus assistierter Reproduktion resultierenden Kinder, sondern eine andere, oft von Diskriminierung betroffene Gruppen wie beispielsweise Ausländer oder Juden als „zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch“ bezeichnet hätte?
Vielleicht wird Ihnen ja erst durch diesen Vergleich deutlich, wie befremdlich Ihr Schweigen auf die Gruppe der ungewollt Kinderlosen wirkt. Darf man so etwas über Ausländer (zu Recht) nicht sagen, aber über harmlose Kinder, die für ihre Entstehung genauso wenig können?
Sie haben Frau Lewitscharoff den Georg Büchner Preis verliehen. Wie Sie sicher besser als ich wissen, engagierte sich der Dichter, Philosoph und Mediziner Georg Büchner für die Menschenrechte. Für sein Engagement nahm er sogar die Flucht in Kauf.
Zwar geht die neuere Forschung davon aus, dass die sozialrevolutionäre Haltung Büchners in der Vergangenheit überschätzt wurde. Er sei vielmehr Anhänger eines aufgeklärten Christentums gewesen. Auf gar keinen Fall jedoch war der Dichter Vertreter des fundamentalistisch-dumpfen Christentums, dem Frau Lewitscharoff in ihrer Rede huldigt. Georg Büchner würde sich mit hoher Wahrscheinlichkeit beim Anhören dieser Rede im Grabe umdrehen.
Selbst eher wertkonservative Kreise sind davon überzeugt, dass Literatur nicht im Elfenbeinturm stattfindet. Autoren haben eine gesellschaftliche Verantwortung im Sinne unserer Demokratie, des respektvollen Umgangs miteinander und des Tolerierens andersartiger Meinungen und Lebenswege. Talent verpflichtet.
Aus den genannten Gründen fordere ich Sie auf
- Bitte nehmen Sie Ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr und beziehen öffentlich und deutlich Stellung zu der Rede der Frau Lewitscharoff
- Entziehen Sie ihr als deutliches Signal den Georg Büchner Preis.
Falls Sie einen anderen Empfänger für den Georg Büchner Preis suchen und der Preis auch ins Ausland verliehen werden kann, empfehle ich Ihnen den holländischen Autor Maarten ’t Hart. Dieser Autor hat sich intensiv mit dem Thema der ungewollten Kinderlosigkeit befasst. Er schreibt darüber sowohl mit hoher Sachkompetenz als auch mit einem großartigen Einfühlungsvermögen.
Mit freundlichen Grüßen
falls noch jemand eine idee hat... morgen drucke ich das dann aus und ab geht die post. leider etwas langatmig, ich habe das ganze schon arg gekürzt...
liebe grüße
mondschaf