Hallo Kosmee!
Ich glaube wir sind uns sehr ähnlich. Der Post von dir spricht mir aus der Seele, ich konnte es nur so nicht ausdrücken.
Sehr lange habe ich mich gefragt warum Kinderwunsch in der Öffentlichkeit so ein Tabuthema ist und auch wenn sich das in den letzten Jahren ein kleines bisschen geändert hat, niemand redet wirklich gerne darüber.
Unerfüllter Kinderwunsch hat für so viele immer noch etwas mit Versagen zu tun. Doch warum? Man kann ja schließlich nichts dafür dass der Körper "spinnt" und an jeder anderen Krankheit gibt man sich schließlich auch nicht die "Schuld".
Als ich gestern im Krankenhaus eine alte Lehrerin von mir getroffen habe und sie sah dass ich schwanger bin, war sie zwar sehr erfreut und flippte fast aus, dann meinte sie aber auch dass ich mir, im Vergleich zu meinen Klassenkameradinnen schon "recht viel Zeit gelassen habe".
Am liebsten hätte ich, wie im Style von Milhetmama (übrigens sehr gute Reaktion auf sowas. Glaub ich dass Leute dann nie wieder die Klappe aufmachen

) gesagt dass ich schon mit 19 Mutter geworden wäre, wenn es denn geklappt hätte und manche Menschen halt eben medizinische Hilfe zum Kinderkriegen benötigen. Hab's mir dann aber (leider) verkniffen.
Danach war ich irgendwie auch traurig und enttäuscht, machte mir sogar Vorwürfe und Schuldgefühle meiner Tochter gegenüber. Es kamen so Gedanken auf, dass ich früher einfach nicht hart genug für ein Kind gekämpft habe oder dass ich, explizit meine Tochter nach den fehlgeschlagenen ersten IUIs aufgegeben hatte.
Dann als ich den Thread hier gelesen habe fiel mir etwas auf.
Zumindest in unserem Kulturkreis bekommen alle Leute schon als Kinder eingehämmert "Jeder ist seines Glückes Schmied." Demnach lernt man, dass das Leben welches man lebt zu 100% selbst ausgesucht ist und alles im Leben eine "Wahl" darstellt. Deshalb darf man sich auch nicht beschweren wenn man damit nicht zufrieden ist oder gerne etwas anders machen würde oder gar andere für, z.B. ihre Kinder beneidet.
"Du musst ja nur Kinder bekommen, wenn du welche willst." Ist leider immer noch ein weit verbreiteter Irrglaube.
Bei manchen funktioniert das. Manche Leute können, selbst mit Ü40 entscheiden wann sie gerne ss werden möchten, wann das zu geboren werdende Kind Geburtstag haben soll, setzen die Pille ab und im ersten ÜZ klappt es dann auch. Leider weiß die Allgemeinheit so wenig über Reproduktion, dass das noch für viele die Standartposition ist.
Dass es aber Menschen gibt bei denen es auf natürlichem Wege nicht klappt und sogar welche bei denen es nicht mal mit den eigenen Keimzellen klappt passt ja nicht ins Weltbild der Wählbarkeit des maßgeschneiderten Lebens.
Wenn man nun sagt; Nein, ich habe mir nicht "lange Zeit gelassen" sondern es hat leider erst jetzt geklappt ABER wenigstens hat es überhaupt geklappt! Beginnt das Gegenüber unter Umständen mit blöden Diskussionen und unter Umständen kommt man sogar in Rechtfertigungsnot warum man es denn dann nicht hat sein lassen und einfach das Beste aus seinem kinderlosen Leben gemacht hat, um das einen ja so mancher "beneidet".
Das bringt sogar manche Betroffenen dazu zu lügen. Denn wenn man sich alles so wie es ist "ausgesucht" hat, ist man stark, selbstbewusst und nicht angreifbar. Man hat volle Kontrolle über sein Leben, seinen Körper, seine Psyche, und kommt mit jeglichen Schicksalsschlägen super zurecht.
Doch niemand würde sowas absurdes behaupten wenn man eine Person mit krankem oder behindertem Kind sieht. Keiner würde sagen "Sie haben sich also entschieden ein Kind mit Downsyndrom zu bekommen." Außer vielleicht im Bezug auf Abtreibung wegen Behinderung, was ja schon die obszönität dieser Einstellung auf den Punkt bringt.
Niemand würde aber sagen "Sie haben also für eine Krebserkrankung entschieden." Und ja, man kann Krebs nicht mit ungewollter Kinderlosigkeit vergleichen, das Beispiel soll lediglich zeigen dass wir von dieser "jeder ist seines Glückes Schmied" Einstellung weg müssen und aufhören uns dafür zu rechtfertigen warum dieses und jenes im Leben nun so gelaufen ist. Vor allem aber darf oder soll man sich auch deshalb keine Vorwürfe machen. Es gibt keine Kontrolle, nur eine Illusion der Kontrolle.