An die Juristinnen unter Euch

Unsere Hauptkategorie. Hier wird über alles rund um den Kinderwunsch diskutiert. :-)
Schnellchen
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Beitrag von Schnellchen »

Hallo Ihr lieben Juristinnen,

wir benötigen in Sachen Kostenerstattung und Abrechnung über die Chipkarte bei der ICSI Eure tatkräftige Unterstützung.

Das Problem ist folgendes:

Mit Urteil vom 03.04.2001 hat das BSG anerkannt, dass die ICSI über die Krankenkassen abgerechnet wird. Die genaue Urteilsbegründung findet Ihr hier als Download: http://www.babyhilfe.de/phpnuke/downloa ... load&sid=5

Nach anfänglichen Schwierigkeiten gibt es nun immer mehr Kassen, die sich auch nach dem Urteil richten und bis zu 4 Versuchen ihren Patientinnen genehmigen. Die Abrechnung über Chipkarte erfolgt jedoch bislang nur in Bayern.

Und nun kommt unser Problem dazu:
Der Bundesausschuss für Ärtze und Krankenkassen sowie der KBV haben erklärt, dass sie erst nach einer erneuten Multi-Center-Studie, die momentan über die Lübecker Uni-Klinik läuft, auch weiter über die Abrechnung über Chipkarte verhandeln würden. Sie wollen sich das Fehlbildungsrisiko "ansehen". Hier ein Meinungsaustausch von einigen Forumsmitgliedern dazu: http://www.klein-putz.de/phpBB/viewtopi ... tart=30&32

Unsere Frage an Euch ist nun:
Ist es rechtens, dass sich der Bundesausschuss und der KBV über dieses Urteil "hinwegsetzen" oder kann man an das BSG herantreten und darauf hinweisen, dass das Urteil immer noch nicht völlig umgesetzt ist.

Es wäre schön, wenn sich eine von Euch einmal mit dieser Materie befassen könnte. Wir als Nichtjuristinnen sind da auf Euch angewiesen.

Vielen Dank und lieber Gruß
Iris
joachim
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Beitrag von joachim »

Hallo Iris,

auch als nichtangesprochene(r) Nichtjurist(in) möchte ich auf folgenden Sachverhalt hinweisen:

Das Urteil des BSG vom 3.4.2001 verpflichtet die Kassen zur Kostenübernahme bei einer ICSI-Behandlung, es regelt aber in keiner Form die Abrechnungsmodalitäten. Die Kosten für Kassenleistungen sind in einem Katalog enthalten, der zwischen Ärzten und Kassen (bzw. ihren Verbänden) ausgehandelt werden. Für die ICSI-Behandlung liegt (noch) keine verbindliche und einvernehmliche Kostenabsprache vor.

Dass die Abrechnung über Chip-Karte (noch) nicht überall erfolgt, ist sicherlich wenig kulant und eine Hürde für uns Patienten, aber sicherlich auch legitim (das Urteil wird eingehalten, sofern die Kosten erstattet werden). Einige von uns profitieren sogar von dieser Übergangsregelung, da z.T. Präparate für die Stimulation verordnet werden, die nachweislich wirkungsvoller und schonender, aber für Kassenpatienten eigentlich nicht zulässig (Kostendämpfung) sind! Wer also XXX HP auf seinem Rezept hat, sollte lieber...

Schöne Grüße

Joachim
Schnellchen
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Beitrag von Schnellchen »

Das Problem dabei ist, dass durch den Bundesausschuss und die KBV die Kassen gehindert werden an Chipkartenabrechnung und auch weiterhin sich einige Kassen sträuben, Zusagen für 4 ICSIs zu geben. Insofern ist es schon wichtig, dass wir hier eine juristische Unterstützung bekommen.

Die Medikation liegt im Ermessen der Ärzte und da kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass meine letzte Stimulierung über DM 15.000,00 gekostet hat, die Kasse aber aufgrund der Erklärung der Ärzte ihr gegenüber diese Kosten trotzdem übernommen hat. Nicht jede Frau reagiert z.B. auf Menogon oder ähnliches.

Problem ist weiterhin, dass es sein kann - die Betonung liegt auf KANN - dass der Bundesausschuss und auch die KBV aufgrund dieser Studie die ICSI nicht in den Leistungskatalog aufnimmt und wir wieder ganz am Anfang stehen.

Von daher bitte ich im Namen vieler hier im Forum um juristischen Beistand und Prüfung durch eine/n Jurist/in.

Iris
Andreas
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Beitrag von Andreas »

Hi Joachim,

ich bin auch kein Jurist, möchte aber etwas zur Aufklärung in der Sache beitragen.

1) Das BSG-Urteil stammt vom 3.4.2001, der Urteilsvolltext liegt seit 12.7.2001 vor.
2) Im Urteil findet sich wohl etwas über die Abrechnungsmodalität.
a) Das Gericht sagt völlig korrekt, daß ICSI noch nicht in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wurde. Daher kann ICSI außer in Bayern noch nicht als SACHLEISTUNG (über Chipkarte) abgerechnet werden.
b) damit bleibt die Kostenerstattung (Vorkasse des Paares und nachträgliche Erstattung durch die Kasse).
c) Das Gericht zeigt aber einen dritten Weg auf. Es sagt, daß der Versicherte von seiner Kasse verlangen kann, daß diese direkt mit den Leistungserbringern (Arzt, Apo) abrechnet. Das ist das Verfahren mit den Abtretungserklärungen, was ja bei einigen Paaren gemacht wird.

Soviel zum Urteil.

Daß die Aufnahme in den Leistungskatalog nur durch den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen geschehen kann, ist bekannt.

Warum hat Iris diesen Beitrag verfaßt?
1) Anläßlich der Termine 3.4.2001 und 12.7.2001 ist es eben nicht zu verstehen, daß der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen die Richtline zur künstlichen Befruchtung noch immer nicht geändert hat.

2) Aus zuverlässigen Quellen wissen wir, daß der Bundesausschuß erneut über die Fehlbildungsrate bei ICSI diskutiert. Neben positiven Gerüchten gibt es u.a. Gerüchte, die sagen, daß der Bundesausschuß sich auch über das Gerichtsurteil hinwegsetzen könnte und die ICSI-Aufnahme in den Leistungskatalog auch weiterhin untersagen würde. Das Bundesgesundheitsministerium, das die geänderte Richtlinie in Kraft setzen muß, hat bereits signalisiert, daß es das Votum des Bundesausschuß akzeptieren und inhaltlich keine Änderung der Richtlinie vornehmen wird.

3) Da ich sehr viele Kassenprobleme kenne, die aus dem derzeitigen Schwebezustand erwachsen, überragen für mich die Nachteile eindeutig die Vorteile. Die Nachteile sind zur Zeit: viele Kassen verlangen pro Versuch einen Einzelantrag. Für diesen Einzelantrag müssen teilweise ärztliche Gutachten sowie mehrere Spermiogramme beigebracht werden. Manche Kassen legen jeden Einzelantrag dem Medizinischen Dienst vor. Und das dauert. Der zweite Nachteil ist die Vorkasse, die viele Paare leisten müssen. Drittens gibt es eine Reihe von Anträgen, die mit Hinweis auf die fehlende Entscheidung des Ausschuß seit Wochen oder Monaten ruht. Viertens gibt es immer wieder Probleme, weil die Ärzte nicht nur den einfachen Leistungssatz in Rechnung stellen, sondern den 1,8 oder 2,3-fachen Satz. Schließlich gibt es immer wieder Auseinandersetzungen um die Narkosekosten und den Apothekenrabatt bei den Medis, den die Kassen teilweise nicht erstatten wollen.

Natürlich gibt es auch Situationen, in denen Paare und Ärzte vom Schwebezustand profitieren. Neben dem von Dir genannten Fall sind es vorrangig die Ärzte. In Bayern gibt es auf Chipkarte gerade noch DM 3.980.- für eine ICSI incl. IVF (ohne Medis). Da werden sich einige Ärzte umstellen müssen.

Mein Fazit:
Würde der Ausschuß endlich im Sinne des BSG-Urteiles entscheiden, gäbe es endlich pro Antrag vier Versuche und es entfielen die Vorkasse und die ganzen Abrechnungsprobleme, die es zur Zeit noch gibt.

Viele Grüße. Andreas

P.S. Während ich noch getippt habe, hat Iris schon ihren Beitrag abgeschickt. Deshalb überschneiden sie sich teilweise. :smile:

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Schnellchen
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Beitrag von Schnellchen »

Danke Andreas für deine Ausführungen - ich denke, das wird den JuristInnen weiterhelfen...

Liebe Grüße
Iris

<font size=-1>[ Diese Nachricht wurde ge&auml;ndert von: Schnellchen am 2001-12-04 19:42 ]</font>
Schnellchen
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Beitrag von Schnellchen »

hopp nach oben
Lieber Gruß
Iris





joachim
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Beitrag von joachim »

Hallo,

offenbar ist mein Kommentar unbeabsichtigt vollkommen mißverstanden worden:

1.Auch ich finde den Zustand (Vorkasse, Einzelanträge etc.) belastend, störend, unnötig und und und.
2.Aus meiner Sicht gibt es aber keine juristische Handhabe, wenig kulante Kassen zu einem kulanteren Handeln zu zwingen.
3. Die dafür notwendige Einigung zwischen Kassen und Ärzten scheitert, wie von Andreas zu Recht erwähnt, nicht nur an den Kassen. Auch einige KiWu-Praxen leben ganz gut mit dem derzeitigen Zustand.

P.S. Neben den unterschiedlichen Herstellungsverfahren für die Medikamente gibt es unterschiedliche Reinheiten (HP) mit nochmals deutlicherem Preisunterschied. Stimulationsprobleme bei Privatpatienten sind seltener als bei Kassenpatienten... Bei KiWU gibt es echte 2-3-Klassen-Medizin! (Leider!!! Um nicht wieder mißverstanden zu werden)

Schöne Grüße

Joachim
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annamir
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Beitrag von annamir »

Hallo Joachim,
Medikamente gibt es unterschiedliche Reinheiten (HP) mit nochmals deutlicherem Preisunterschied. Stimulationsprobleme bei Privatpatienten sind seltener als bei Kassenpatienten... Bei KiWU gibt es echte 2-3-Klassen-Medizin! (Leider!!! Um nicht wieder mißverstanden zu werden)
könntest Du diese Aussage mal bitte genauer erläutern?

liebe grüsse
annamir, peter & paul
Riccarda
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Beitrag von Riccarda »

Also, mit dem Urteil des BSG ist das so: Grundsätzlich bestimmt der Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen, welche Heilbehandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden. Die Gerichte sind daran gebunden und können nur dann anders entscheiden, wenn der Beschluss des Bundesausschusses gegen höherrangiges Recht verstößt. Genau dies hat das BSG vorliegend angenommen. Es hat einen Systemmangel darin gesehen, dass zwar die Kosten für IVF ( also Unfruchtbarkeit der Frau) bezahlt werden, nicht aber für ICSI (Unfruchtbarkeit des Mannes). Es hat darauf hingewiesen, dass, solange sich nicht belegen lässt, dass ICSI eine erheblich höhere Gefährdung mit sich bringt für den Nachwuchs als die anderen Methoden der künstlichen Befruchtung, dass solange auch die beiden Befruchtungsmethoden gleich zu behandeln sind. Es hat weiter ausgeführt, dass es den Klägern nicht zuzumuten war, mit einem Befruchtungsversuch so lange zuzuwarten, bis ICSI im Leistungskatalog aufgenommen ist oder der Ausschuss weitere Voraussetzungen in den Leistungskatalog aufgenommen hat. Deshalb war die Krankenkasse unter dem Gesichtspunkt der unaufschiebbaren Leistung zur Kostenübernahme zu verurteilen.
Konsequenz für die Krankenkassen ist jetzt, dass sie hinter Studien her sind, die belegen, dass ICSI zu einer (aus ihrer Sicht möglichst hohen) Fehlbildungsrate bei den Neugeborenen führt. Dann haben sie einen Grund, diese Kosten nicht mehr übernehmen zu müssen. Bislang gibt es aber keine derartigen Studien. Die Lübecker Studie dürfte dazu wohl kaum ausreichen. Von daher würde ich der KK mit Klage drohen, falls sie die Zahlung bzw. Kostenzusage verweigert. Denn eins ist auch klar: Das BSG hat ausdrücklich gesagt, dass ein Zuwarten auf eine Entscheidung des Bundesausschusses für die Patienten nicht zumutbar ist. Alles klar?
Ciao Riccarda
Andreas
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Beitrag von Andreas »

Hi Riccarda,

herzlichen Dank für diese Antwort.

Wahrscheinlich bleibt uns eben nichts anderes, als darauf zu warten, daß in 3-4 Monaten die Ergebnisse aus Lübeck veröffentlicht werden und der Bundesausschuß dann die ICSI in den Leistungskatalog aufnehmen wird.

Viele Grüße. Andreas
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