Auslegungsspielräume des Embryonenschutzgesetzes
Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie 2004; 1 (2): 104-111
Volltext (PDF) Summary
Keywords: Deutschland, Embryonenschutzgesetz, Ethik, Europäische Union, Gesetz, In-vitro-Fertilisation, IVF, PID, Präimplantationsdiagnostik, Recht, Reproduktionsmedizin
Seit Jahren klagen Reproduktionsmediziner über das deutsche Embryonenschutzgesetz und die dort vermutete Dreierregel, nach der nur maximal drei 2-PN-Zellen weiterentwickelt werden dürfen. Der Grund für diese Praxis ist aber nicht die Gesetzgebung, sondern eine zu enge Auslegung des ESchG durch die Bundesärztekammer. Deren Empfehlungen haben aber nur den Charakter eines antizipierten Gutachtens. Allerdings haben manche Berufsordnungen, etwa die für Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein, diese Empfehlung als geltendes Landesrecht transformiert und damit erst verbindliches, aber juristisch angreifbares Berufsrecht geschaffen. Andere Länder, wie etwa Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen u. a. haben dies hingegen nicht getan, während Länder wie etwa Hessen den Weg der umstrittenen dynamischen Verweisung gewählt haben. Möglicherweise werden daher Gerichte prüfen, ob die besonders strikten Berufsordnungen überhaupt gültig sind. Die Autorin verneint dies, da das ESchG im Gegensatz zum Schweizer Fortpflanzungsmedizingesetz keine Dreierregel enthält. Dies läßt sich anhand der Ziele und Inhalte des Gesetzes zeigen. Auch eine andere vieldiskutierte Frage stellt sich bei genauer rechtlicher Analyse sehr viel weniger eindeutig dar als häufig angenommen. Präimplantationsdiagnostik ist nach dem ESchG nur dann verboten, wenn eine totipotente Zelle entnommen und untersucht wird. Der historische Gesetzgeber wählte nämlich bewußt eine sehr fragmentarische Regelung und beschränkte sich darauf, im Wege einer gesetzlichen Fiktion totipotenten Zellen den Status von Embryonen einzuräumen und sie damit als eigenständige strafrechtliche Schutzgüter anzusehen. Pluripotente Zellen hingegen können de lege lata – auch dann, wenn der Restembryo dabei geschädigt werden sollte – untersucht werden. Unstrittig straflos ist auch das schlichte Verwerfen eines Embryos, wenn die Frau, von der er stammt, den Transfer nicht wünscht. Der Staat und insbesondere die Gesetzgebung hat aber eine verfassungsrechtlich verankerte Beobachtungspflicht. Sollte sich künftig eine parlamentarische Mehrheit finden, die sich der Mindermeinung innerhalb der Verfassungsrechtler anschließt und in jeder PID einen Menschenwürdeverstoß sieht, müßte sie dies gesetzlich festschreiben. Erst dann, und nicht schon deswegen, weil derartige Forderungen häufig erhoben werden, wäre die derzeit außerhalb Deutschlands praktizierte PID – etwa nach Brüsseler Vorgaben – verboten. Der verfassungsrechtlich abgesicherte Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht gebietet es aber, streng zwischen verfassungsrechtlichen Forderungen de lege ferenda und der Auslegung des geltenden ESchG zu unterscheiden. Gegen diesen Grundsatz wird vielfach verstoßen. Die Autorin plädiert daher für eine klare Unterscheidung zwischen ethischen Bekenntnissen, politischen Postulaten, verfassungspolitischen Schriften und einer angemessenen Auslegung des ESchG. Statt Auslegungsspielräume zu nutzen, haben es Standesorganisationen der Ärztinnen und Ärzte in der Vergangenheit versäumt, die Interessen der Patientinnen und der behandelnden Ärztinnen und Ärzte im Rahmen des geltenden Rechts durchzusetzen.
...finde ich bemerkenswert und habe das so von einem Repromediziner noch nie gehört. Dort ist wohl gängige Meinung, darf man nicht, geht nicht, machen wir nicht...
Kennt ihr Praxen/Zentren/Kliniken in D, die das EschG "liberaler" auslegen?
LG Ovaria
"Auslegungsspielräume des EschG" aus Journal für R
"Auslegungsspielräume des EschG" aus Journal für R
"All animals are equal, but some animals are more equal than others."
G. Orwell, Animal Farm
G. Orwell, Animal Farm
Hallo Ovaria und andere,
ich habe dies hier gerade mal versucht, nachzuvollziehen. Der ersten Aussage, nämlich, daß das ESchG keine Dreierregel enthält, kann ich nicht folgen. Denn darin steht ja u.a.:
?§ 1 Mißbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
3. es unternimmt, innerhalb eines Zyklus mehr als drei Embryonen auf eine Frau zu übertragen,
5. es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen?
Und da innerhalb eines Zyklus nach 3. nicht mehr als 2 Embryonen übertragen werden sollen, darf man nach 5. auch nicht mehr als diese befruchten.
Die zweite Aussage, nämlich, daß eine PID an pluripotenten Zellen möglich wäre, ist schon recht interessant, vor allen Dingen als ein weiterer Faktor der widersprüchlichen Gesetzgebung. Jedoch ? ab wann beinhaltet der Embryo pluripotente Zellen? Nach meinem Halbwissen gibt es diese doch erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der Embryo längst transferiert sein müsste. Ich bitte hier mal um Hilfe. Wer kann das genauer erklären?
Schön, daß hier auch noch mal diese Aussage getroffen wurde: Unstrittig straflos ist auch das schlichte Verwerfen eines Embryos, wenn die Frau, von der er stammt, den Transfer nicht wünscht. Das ist richtig und wird ja von mir auch bereits als Tipp weiter gereicht. Einige Ärzte sollen dies ihren Patientinnen hinter vorgehaltener Hand empfehlen. Auf die Weise kann ein Transfer von nur 2, aber etwas aussichtsreicheren, Embryonen stattfinden. Folge: Etwas erhöhte Geburtenrate und verminderte Mehrlingsrate. Die Erhöhung der Geburtenrate findet jedoch nicht in dem Maße statt als wenn man 2 Embryonen aus der gesamten Anzahl auswählt. Dieser Trick kann im Übrigen bei jedem Repromediziner angewandt werden, wenn man ihn nicht vorher einweiht.
Ich habe mir unter diesem Aspekt auch noch einmal die ?Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der assistierten Reproduktion? zu Gemüte geführt. (http://www.wunschkinder.net/demo/gesetz ... gesetz.htm). Und dabei ist mir aufgefallen, daß diese eigentlich bereits ein Witz sind. Da steht ja so vieles drin, was oft nicht eingehalten wird. Ich spare mir das jetzt hier mal, alles aufzuzählen. Aber klar, wenn diese sowieso nur ?den Charakter eines antizipierten Gutachtens? haben ......
Schade, daß Deine Quellenangabe nicht den Namen der Autorin enthält. Kannst Du den bitte nachliefern, Ovaria?
Gruß, Rebella
ich habe dies hier gerade mal versucht, nachzuvollziehen. Der ersten Aussage, nämlich, daß das ESchG keine Dreierregel enthält, kann ich nicht folgen. Denn darin steht ja u.a.:
?§ 1 Mißbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
3. es unternimmt, innerhalb eines Zyklus mehr als drei Embryonen auf eine Frau zu übertragen,
5. es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen?
Und da innerhalb eines Zyklus nach 3. nicht mehr als 2 Embryonen übertragen werden sollen, darf man nach 5. auch nicht mehr als diese befruchten.
Die zweite Aussage, nämlich, daß eine PID an pluripotenten Zellen möglich wäre, ist schon recht interessant, vor allen Dingen als ein weiterer Faktor der widersprüchlichen Gesetzgebung. Jedoch ? ab wann beinhaltet der Embryo pluripotente Zellen? Nach meinem Halbwissen gibt es diese doch erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der Embryo längst transferiert sein müsste. Ich bitte hier mal um Hilfe. Wer kann das genauer erklären?
Schön, daß hier auch noch mal diese Aussage getroffen wurde: Unstrittig straflos ist auch das schlichte Verwerfen eines Embryos, wenn die Frau, von der er stammt, den Transfer nicht wünscht. Das ist richtig und wird ja von mir auch bereits als Tipp weiter gereicht. Einige Ärzte sollen dies ihren Patientinnen hinter vorgehaltener Hand empfehlen. Auf die Weise kann ein Transfer von nur 2, aber etwas aussichtsreicheren, Embryonen stattfinden. Folge: Etwas erhöhte Geburtenrate und verminderte Mehrlingsrate. Die Erhöhung der Geburtenrate findet jedoch nicht in dem Maße statt als wenn man 2 Embryonen aus der gesamten Anzahl auswählt. Dieser Trick kann im Übrigen bei jedem Repromediziner angewandt werden, wenn man ihn nicht vorher einweiht.
Ich habe mir unter diesem Aspekt auch noch einmal die ?Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der assistierten Reproduktion? zu Gemüte geführt. (http://www.wunschkinder.net/demo/gesetz ... gesetz.htm). Und dabei ist mir aufgefallen, daß diese eigentlich bereits ein Witz sind. Da steht ja so vieles drin, was oft nicht eingehalten wird. Ich spare mir das jetzt hier mal, alles aufzuzählen. Aber klar, wenn diese sowieso nur ?den Charakter eines antizipierten Gutachtens? haben ......
Schade, daß Deine Quellenangabe nicht den Namen der Autorin enthält. Kannst Du den bitte nachliefern, Ovaria?
Gruß, Rebella
Liebe Grüße, Rebella
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http://www.kup.at/kup/pdf/4427.pdf
hoffe der link geht, sonst: Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, aktuelle Ausgabe
Autor(in?): M. Frommel
hoffe der link geht, sonst: Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, aktuelle Ausgabe
Autor(in?): M. Frommel
"All animals are equal, but some animals are more equal than others."
G. Orwell, Animal Farm
G. Orwell, Animal Farm
Hallo Pandabär,
Der Tipp ist, daß man bei der Punktion angeben kann, man wolle 3 Embryonen transferiert bekommen. Es werden dann 3 Embryonen kultiviert. Viele wollen aber keine 3 Embryonen, aus Angst vor einer Drillingsschwangerschaft. Es ist daher auch ratsam, nur 2 zu nehmen. Wenn aber nur 2 Embryonen kultiviert werden, ist gegenüber dreien die Gefahr größer, daß keiner dabei ist, der eine wirkliche Chance hat. Am Tag 3 nach der Befruchtung lässt sich schon genauer ? wenn natürlich auch nicht mit Sicherheit ? sagen, ob die Embryonen gute oder schlechte Aussichten haben, sich zu einem Menschen zu entwickeln. Wenn die Frau dann also am Transfertag sagt, nein, sie habe sich das überlegt, sie wolle nur noch 2 Embryonen transferiert bekommen, dann darf der Arzt nicht alle 3 übertragen. Er wird dann also die beiden mit den besseren Aussichten auswählen.
Allerdings ist für den 3. Embryo dann eine Not-Kyro vorgeschrieben. Ich würde mich da aber persönlich weigern, eine solche zu bezahlen. Aus wirtschaftlicher Sicht macht das für das Einfrieren eines einzelnen Embryos mit möglicherweise sowieso schlechten Aussichten auch nicht so viel Sinn. Eine Not-Kyro muß immer an die Ärztekammer gemeldet werden. Die Ärzte wollen aber bei der Ärztekammer nicht auffallen, weshalb eventuell dieser 3. Embryo verworfen werden könnte. Das ist natürlich das Ungewisse, auf was man sich einlässt. Entweder verwirft der Arzt den 3. Embryo oder er macht eine Not-Kyro. Im letzten Fall würde ich sehen, daß der Staat die Kosten dafür übernehmen muß, weil er ja die Kyro vorschreibt. Leider gibt es dazu bisher keine Erfahrungsberichte. Und ich selber konnte das auch nicht mehr so machen, weil ich zum Zeitpunkt meiner IVF nichts von dieser Möglichkeit wusste.
Liebe Grüße, Rebella
Der Tipp ist, daß man bei der Punktion angeben kann, man wolle 3 Embryonen transferiert bekommen. Es werden dann 3 Embryonen kultiviert. Viele wollen aber keine 3 Embryonen, aus Angst vor einer Drillingsschwangerschaft. Es ist daher auch ratsam, nur 2 zu nehmen. Wenn aber nur 2 Embryonen kultiviert werden, ist gegenüber dreien die Gefahr größer, daß keiner dabei ist, der eine wirkliche Chance hat. Am Tag 3 nach der Befruchtung lässt sich schon genauer ? wenn natürlich auch nicht mit Sicherheit ? sagen, ob die Embryonen gute oder schlechte Aussichten haben, sich zu einem Menschen zu entwickeln. Wenn die Frau dann also am Transfertag sagt, nein, sie habe sich das überlegt, sie wolle nur noch 2 Embryonen transferiert bekommen, dann darf der Arzt nicht alle 3 übertragen. Er wird dann also die beiden mit den besseren Aussichten auswählen.
Allerdings ist für den 3. Embryo dann eine Not-Kyro vorgeschrieben. Ich würde mich da aber persönlich weigern, eine solche zu bezahlen. Aus wirtschaftlicher Sicht macht das für das Einfrieren eines einzelnen Embryos mit möglicherweise sowieso schlechten Aussichten auch nicht so viel Sinn. Eine Not-Kyro muß immer an die Ärztekammer gemeldet werden. Die Ärzte wollen aber bei der Ärztekammer nicht auffallen, weshalb eventuell dieser 3. Embryo verworfen werden könnte. Das ist natürlich das Ungewisse, auf was man sich einlässt. Entweder verwirft der Arzt den 3. Embryo oder er macht eine Not-Kyro. Im letzten Fall würde ich sehen, daß der Staat die Kosten dafür übernehmen muß, weil er ja die Kyro vorschreibt. Leider gibt es dazu bisher keine Erfahrungsberichte. Und ich selber konnte das auch nicht mehr so machen, weil ich zum Zeitpunkt meiner IVF nichts von dieser Möglichkeit wusste.
Liebe Grüße, Rebella
Liebe Grüße, Rebella
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Danke Rebella für die Erklärung.
Pandabär
Pandabär
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