
Im Auftrag der MdB Nicole Maisch hat mir heute noch der "Info-Service" der grünen Bundestagsfraktion geantwortet:
"Vielen Dank für Ihr Schreiben zum Thema Stammzellforschung / Änderung des Stammzellgesetzes und Ihrer ganz persönlichen Perspektive dazu.
Gesetze mit ethischen Inhalten wie zum Beispiel zur embryonalen
Stammzellforschung werden im Bundestag fraktionsübergreifend beschlossen - d.h. in der Regel liegen Initiativen verschiedener Gruppen vor, an denen
Abgeordnete aller Fraktionen beteiligt sein können (Gruppenanträge). Auch das Stammzellgesetz kam im Jahr 2002 über Gruppenanträge zustande.
Im Zusammenhang mit einer möglichen Änderung des Stammzellgesetz wird im Parlament derzeit über fünf verschiedene Gruppeninitiativen diskutiert. Hier
ein kurzer Überblick:
1. Gruppenantrag Hinz, Klöckner, Däubler-Gmelin, Goldmann u.a. - Stichtag
bleibt bei 1.1.2002; adulte Stammzellforschung soll noch stärker ausgebaut
werden (149 Unterstützer bei Einbringung; Drs.-Nr. 16/7985).
2. Gesetzentwurf Hinz, Klöckner, Däubler-Gmelin, Goldmann u.a. - Stichtag
bleibt bei 1.1.2002; Rechtsunsicherheit für Forscher bei Auslandstätigkeiten
soll beseitigt werden (67 Unterstützer bei Einbringung; Drs.-Nr. 16/7984)
3. Gesetzentwurf Röspel, Aigner, Tauss, Rachel u.a. - Stichtag soll auf
den 1.5.2007 verschoben werden; Rechtsunsicherheit für Forscher bei
Auslandstätigkeiten soll beseitigt werden (185 Unterstützer bei Einbringung;
Drs.-Nr. 16/7981)
4. Gesetzentwurf Hüppe, Dött, Eichhorn, Krings u.a. - embryonale
Stammzellforschung soll ganz in Deutschland verboten werden (52 Unterstützer bei Einbringung; Drs.-Nr. 16/7983)
5. Gesetzentwurf Flach, Stöckel, Reiche, Hintze - Stichtag soll ganz
gestrichen werden; Importzweck für embryonale Stammzellen soll von Forschung auf Verwertungszwecke ausgeweitet werden; Strafbarkeit bei Verstößen gegen das Stammzellgesetz sowohl im In- als auch im Ausland soll ganz gestrichen werden (92 Unterstützer bei Einbringung; Drs.-Nr. 16/7982)
Alle diese Initiativen finden Sie zum Download auf dem Dokumentenserver des Deutschen Bundestages:
http://dip.bundestag.de/parfors/parfors.htm unter angabe der Drs.Nr.
Es gibt eine große Mehrheit in der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, die aus
ethischen und auch forschungspolitischen Gründen gegen eine Verschiebung des Stichtages im Stammzellgesetz ist. Diese Position wird inzwischen auch von vielen anderen Abgeordneten anderer Fraktionen aus der Union, SPD, FDP und Linke unterstützt. Nach Auffassung dieser Gruppe haben sich keine
wesentlichen Änderungen seit der Debatte im Jahr 2002 um das Stammzellgesetz ergeben, die eine Verschiebung ausreichend begründen.
Bei dem seinerzeit sehr schwierigen Abstimmungsverfahren zum Stammzellgesetz wurden von den Parlamentariern viele verschiedene Aspekte gründlich geprüft - Schutzrechte für Embryonen und für Paare, die Embryonen im Ausland für die Stammzellforschung zur Verfügung stellen, Freiheitsrechte für die Forschung sowie Anspruchsrechte von Patienten. Mit ihrer Entscheidung für das Stammzellgesetz haben die Abgeordneten zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht wollen, dass Embryonen vernichtet oder speziell nur zu Forschungszwecken hergestellt werden, auch nicht im Ausland. Und sie haben gleichzeitig Grundlagenforschung mit bereits vorhandenen embryonalen Stammzellen in Deutschland unter bestimmten Bedingungen (z.B., dass die embryonalen Stammzelllinien im Ausland vor dem Stichtag 1.1.2002 gewonnen worden sein müssen) erlaubt.
Heute wie damals gibt es keine Aussicht darauf, dass embryonale Stammzellen zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden können. Die Zweifel, dass embryonale Stammzellen zur Therapie von Krankheiten eingesetzt werden können, sind sogar gegenüber 2002 gestiegen. Darum sprechen sich die Abgeordneten, die sich gegen eine Verschiebung des Stichtages, auch für eine Konzentration auf alternative Stammzellforschungsansätze - im Interesse heutiger und
zukünftiger Patienten - aus. Diese Form der Stammzellforschung sei nicht nur
ethisch unbedenklich, sondern auch im Sinne einer "Ethik des Heilens"
wesentlich erfolgreicher als die embryonale Stammzellforschung.
Zugelassene embryonale Stammzellen sind kein "Schrott in der Petrischale"
Auch wenn einige Forscher immer wieder behaupten, dass die in Deutschland
zugelassenen embryonalen Stammzellen kontaminiert und genetisch verändert wären und Grundlagenforschung nicht möglich sei - dies entspricht einfach nicht den derzeit bekannten wissenschaftlichen Tatsachen. Grundlagenforschung mit den in Deutschland zugelassenen embryonalen Stammzellen findet nicht nur in Deutschland erfolgreich statt, sondern diese werden auch in anderen Ländern in der Grundlagenforschung genutzt.
Auch für einen Vergleich zwischen adulten Stammzellen oder reprogrammierten Zellen mit stammzellähnlichen Eigenschaften ist es nicht notwendig, über die bereits in Deutschland zugelassenen embryonalen Stammzellen weitere zuzulassen und deswegen den Stichtag zu verschieben. Bei den jüngst im November 2007 publizierten Erfolgen haben die Wissenschaftler für den Vergleich, ob ihre reprogrammierten Zellen stammzellähnliche Eigenschaften haben, genau die embryonalen Stammzellen genutzt, die auch in Deutschland bereits zugelassen sind. Dies zeigt, dass diese "alten" embryonalen Stammzellen also alles andere als "Schrott in der Petrischale" (Spiegel, 9.5.07) sind, sondern sogar in den Ländern genutzt werden, in denen kein Stammzellgesetz die Forscher daran hindert, neuere embryonale Stammzellen zu nutzen.
Sensible Öffentlichkeit
Nach Auffassung einer großen Mehrheit der Abgeordneten von Bündnis90/Die
Grünen wurden seit der Verabschiedung des Stammzellgesetzes vor rund fünf
Jahren keine überzeugenden neuen ethischen, rechtlichen oder
wissenschaftlichen Argumente vorgelegt, die eine Änderung des mit dem
Stammzellgesetz gefundenen Kompromisses ausreichend begründen.
Nach Ansicht von Bündnis90/Die Grünen gibt es immer wieder
Forschungsvorhaben, die zu risikoreich sind oder Bereiche betreffen, die
ethisch oder moralisch nicht vertretbar sind. Daher muss der Ruf nach
Forschungsfreiheit stets gegen den gesellschaftlichen Nutzen und ethische
Grenzen abgewogen werden. In der embryonalen Stammzellforschung wird ein hochsensibles Thema berührt, das dem Schutz der Menschenwürde gerecht werden muss. Wettbewerbsfähigkeit ist ein legitimes Ziel der Forschung; sie ist jedoch nur innerhalb der Grenzen ethischen Handelns zu rechtfertigen. Eine Freigabe der Forschung ohne ethische Grenzen rein aus wettbewerblichen und ökonomischen Gründen ist nicht akzeptabel.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen die Argumente der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen vermitteln.
Mit freundlichen Grüßen
C. Ilawa
Info-Service der Bundestagsfraktion
______________________________
Bündnis 90/Die Grünen
im Deutschen Bundestag
11011 Berlin
Mehr Infos:
www.gruene-bundestag.de
Ich habe darauf heute Folgendes geantwortet:
"Sehr geehrter Frau Ilawa,
vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort auf meine Mail, die Sie mir im Namen von Frau Maisch zugesandt haben.
In ähnlicher Weise, wie Sie es hier vorgetragen haben, wird ja auch in der Begründung des Gruppenantrags Hinz, Klöckner, Däubler-Gmelin, Goldmann u.a. argumentiert. Allerdings erwähnen Sie selbst, dass von Seiten der Forschung die bestehenden Regelungen als Behinderung empfunden werden, weil die Stammzellenlinien vor 2002 inzwischen kontaminiert seien und außerdem gemeinsame internationale Projekte verhindert werden, weil in Deutschland nicht mit den selben Linien wie z.B. in den USA geforscht werden darf. Dass diese Klagen der Forscher als irrevelant zu übergangen werden, zeigt, dass es weniger um eine sachliche Auseinandersetzung darüber geht, wie die Stammzellenforschung in Deutschland auf verantwortliche, aber nicht blockierende Weise ermöglicht werden kann, sondern die ethischen Bedenken den Vorrang genießen und entsprechend dieser Vorgabe dann der Forschungsstand uminterpretiert wird. Das halte ich schlicht für unehrlich. Ehrlicher wäre es dann wenigsten offen zusagen, dass man die embryonale Stammzellenforschung aus ethischen Bedenken grundsätzlich ablehnt und demzufolge verbieten möchte.
Auch der Verweis darauf, dass die embryonale Stammzellenforschung zu therapeutischen Zwecken bislang nicht eingesetzt werden konnte, greift insofern zu kurz, als die Aufteilung in eine "gute" Forschung mit adulten Stammzellen und eine abzulehnende Forschung mit embryonalen Stammzellen etwas aufteilt, was in der Forschungspraxis eigentlich nicht aufzuteilen ist. Denn wie die laufenden Forschungen zeigen, ist es notwendig, Anwendungen, die später mit den schwieriger "umprogrammierbaren" adulten Stammzellen therapeutisch angewendet werden sollen, zunächst in einem ersten Schritt auf der Humanebene mit den vielfältiger einsetzbaren embryonalen Stammzellen auf ihre generelle Möglichkeit zu erproben. Mit der Forschung an adulten Stammzellen alleine wird man, so wie es aussieht, leider keinen Durchbruch im Bereich der therapeutischen Anwendungen erreichen.
Insofern überzeugt mich die Positionierung der Grünen in der aktuellen Stammzellendebatte leider überhaupt nicht. Für eine Partei, die sich in den letzten Jahren oft damit gerühmt hat, sich für "intelligente Lösungen" einzusetzen (was in anderen Feldern, wie z.B. der Bildungspolitik durchaus der Fall ist), verhalten sich die Grünen auf diesem Feld seltsam antiquiert, was für mich eine große Enttäuschung ist.
Mit freundlichen Grüßen
Berti,
der für heute

allen wünscht - dasselbe kann man auch zur Haltung der Grünen sagen
