Verfasst: 16 Mär 2008 16:47

"Vielen Dank für Ihre Email zur Änderung des Stammzellgesetzes. Voraussichtlich im April werden wir im Bundestag darüber abstimmen müssen, ob der Stichtag für die Einfuhr embryonaler Stammzellen verschoben bzw. aufgehoben oder ob auf die Forschung an embryonalen Stammzellen ganz verzichtet wird. Wie in allen anderen Fraktionen gibt es auch in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hinsichtlich dieser Frage unterschiedliche Positionen. Die überwiegende Mehrheit unserer Fraktion ist allerdings der Ansicht, dass es keinen überzeugenden Grund gibt, den Stichtag im Stammzellgesetz zu ändern.
Bislang wurden keine neuen wissenschaftlichen; rechtlichen oder ethischen Argumente vorgebracht, die eine Streichung oder Verschiebung des Stichtages im Stammzellgesetz notwendig machen. Weder die Anhörung des Forschungsausschusses noch eine von unserer Fraktion organisierte zusätzliche Veranstaltung mit Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft haben neue Erkenntnisse gebracht, die unsere Position zur embryonalen Stammzellforschung widerlegen.
In den vergangenen Jahren wurden von Seiten der Stammzellforscher immer wieder die verständlichen Hoffnungen von Patienten wie Ihnen genährt, mithilfe der embryonalen Stammzellforschung könnten Therapien gegen schwere oder bislang unheilbare Krankheiten entwickelt werden. Keine dieser Hoffnungen hat sich - auch in Ländern mit weniger restriktiven Gesetzen - bislang auch nur im Ansatz bestätigt: Die Wissenschaft befindet sich immer noch im Stadium der Grundlagenforschung. Es gibt keine klinischen Studien oder gar zugelassene Therapieverfahren, die auf embryonaler Stammzellforschung basieren. Auch die seit fast 10 Jahren immer wiederveröffentlichten Ankündigungen einzelner Firmen, bald mit der Durchführung klinischer Studien beginnen zu wollen, entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage. Es ist bezeichnend, dass diese Ankündigungen seit Jahren nicht von akademischen Forschern, sondern von Firmen kommen, die auf Risikokapital privater Investoren angewiesen sind.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) spricht neuerdings nicht mehr von therapeutischen Erwartungen an die embryonale Stammzellforschung. Auch in Kreisen' der internationalen Stammzellforscher steigen die Zweifel, ob mittels embryonalen Stammzellen überhaupt jemals Therapien am Menschen entwickelt werden können. Selbst bekannte Forscher wie lan Wilmut kehren der embryonalen Stammzellforschung den Rücken.
Es ist verständlich, dass Menschen wie Sie, die sich den Wunsch nach einem eigenen Kind nicht erfüllen können oder von einer schweren Krankheit betroffen sind, eine hohe Erwartung an die biomedizinische Forschung haben. Aber gerade deshalb sollten Sie ein Interesse daran haben, dass realistische und vielversprechende biomedizinische Therapieansätze unterstützt werden. Aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen ist der adulten Stammzellforschung und der Forschung an reprogrammierten Stammzellen der Vorrang einzuräumen. Hier gibt es erfolgversprechende und ethisch unbedenkliche Ansätze. Anders als bei der embryonalen Stammzellforschung werden adulte Stammzellen bereits teilweise international in klinischen Verfahren zur Behandlung von Herzinfarkten oder Leukämie eingesetzt.
Diese Therapieverfahren wurden ohne die Hilfe der embryonalen Stammzellforschung entwickelt. Bis heute basiert keine einzige Therapie mit adulten Stammzellen auf Ergebnissen der embryonalen Stammzellforschung oder bezieht diese in klinischen Studien mit ein. Es ist mithin schlichtweg falsch, wenn Stammzellforscher in Deutschland im Rahmen der aktuellen Debatte den Eindruck erwecken, dass nur mittels embryonaler Stammzellen Therapien mit adulten Stammzellen entwickelt werden könnten.
Die Verwendung von Embryonen ist Voraussetzung für die Entwicklung von humanen embryonalen Stammzelllinien. Damit sind das Gebot des Schutzes menschlichen Lebens und die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde berührt. Hinzu kommt, dass einer Verzweckung menschlichen Lebens Vorschub geleistet wird, d.h. menschliches Leben für Interessen Dritter zur Disposition gestellt wird. Mindestens hier dürfte Ihnen klar werden, dass der Hinweis auf die Abtreibungsdebatte nicht trägt.
Dass embryonale Stammzellen aus ethischer Sicht nicht wie normales „Forschungsmaterial" zu bewerten sind, zeigt -sich auch daran, dass nicht nur Deutschland, sondern fast alle anderen EU-Länder (mehr oder weniger restriktive) Schutzregelungen für den Umgang mit embryonalen Stammzellen beschlossen haben. Auch bei der nun diskutierten Änderung des Stammzellgesetzes muss der Ruf nach Forschungsfreiheit wieder gegen die skizzierten gesellschaftlichen Risiken und bestehenden ethischen Grenzen abgewogen werden. Eine Freigabe der Forschung ohne ethische Grenzen und ohne hinreichende Aussicht auf Erfolg, sondern aus rein wettbewerblichen und ökonomischen Gründen ist für mich nicht akzeptabel.
Ich möchte Sie zudem darauf hinweisen, dass die Entstehung von Embryonen zumeist mit einer erheblichen körperlichen Belastung und manchmal mit Krankheit und Tod für die Frauen einhergeht, die die verwendeten Eizellen gespendet haben. Durch eine Erweiterung der Forschung würden insbesondere sozial benachteiligte Frauen durch, finanzielle Anreize dazu motiviert, sich solch gravieren Gesundheitsgefahren auszusetzen.
Eine Reproduktionsmedizin mit dem Ziel der Heilung von Fruchtbarkeitsstörungen, die die Ethik des Lebens und die Würde des Menschen einerseits und die Ethik des Heilens andererseits nicht als Gegensätze, sondern als Einheit begreift, wird ihrer Verantwortung dafür gerecht, dass die Therapie von Fertilitätsstörungen nicht als gesellschaftliches Tabuthema fortbesteht. An meinem „grünen" Beitrag dazu soll es nicht mangeln.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Harald Terpe"
Ich habe ihm darauf heute so geantwortet:
Sehr geehrter Herr Dr. Terpe,
vielen Dank für Ihr Antwortschreiben vom 12.3.2008, dessen Text ich in den Blog des „klein-putz“-Forums eingestellt habe (http://www.klein-putz.net/forum/viewtop ... 43#2242643). Es hat mich gefreut zu sehen, dass Sie sich in Ihrer ausführlicher Antwort bemüht haben, auf mein E-Mail vom 13.2. detailliert einzugehen. Auch erkenne ich gerne an, dass Sie nach einer differenzierten, abwägenden Sichtweise der Dinge auch in dieser schwierigen Materie streben.
Dennoch bin ich nicht mit Ihrer Einschätzung zu den Chancen der embryonalen Stammzellenforschung einverstanden. Es ist zwar richtig, dass es inzwischen Forscher gibt, die daran zweifeln, ob therapeutische Ansätze möglich sein werden, aber das ist keineswegs die Mehrheitsmeinung in diesem Forschungsgebiet. Auch ist es meiner Meinung fragwürdig, gegen die embryonale Stammzellenforschung anzuführen, dass sie ähnlich wie 2002 ihr Feld immer noch die Grundlagenforschung ist. In der laufenden Grundlagenforschung sind Fortschritte durchaus erkennbar gewesen, und so erscheint er mir recht voreilig, schon nach so wenigen Jahren, während denen zudem in Deutschland eine sehr restriktive Gesetzgebung starke Beschränkungen auferlegte, bereits die embryonale Stammzellenforschung abzuschreiben.
Auch liegt es in der Natur der Sache, dass letztlich klinische Anwendungen v.a. im Bereich der adulten Stammzellen liegen werden, da ja eine große Hoffnung darin liegt, dass aus eigenen Zellen der Patienten gut verträgliche neue Organe (oder eben im Falle von Unfruchtbarkeit möglicherweise auch Spermien oder Eizellen) gewonnen werden können. Hier wird jedoch von vielen beteiligten Forschern immer wieder der Zusammenhang zwischen Grundlagenforschung und klinischen Anwendungen betont. Sie behaupten nun, dass dieser Zusammenhang „schlichtweg falsch“ sei. So steht nun ihre Meinung gegen die von renommierten Forschern, die sich dazu in der Öffentlichkeit geäußert haben. Da es sich hier um Forscher handelt, die in der universitären Forschung oder am Max-Planck-Institut arbeiten, fällt es mir schwer glauben, dass sie aus ökonomischen Verwertungsinteressen die Öffentlichkeit täuschen wollen.
Mit Blick auf den Schluss Ihres Schreibens würde ich mich sehr freuen, wenn Bündnis 90/Die Grünen sich künftig wirklich vermehrt dafür einsetzen würden, dass – wie Sie schreiben – „die Therapie von Fertilitätsstörungen nicht als gesellschaftliches Tabuthema fortbesteht“. Leider war hiervon bislang wenig zu spüren – es Bestand vielmehr der Eindruck, dass Ihre Partei, die ich bislang dennoch gewählt hatte, der Reproduktionsmedizin mit denn allergrößten Vorbehalten gegenübergestanden ist. Wenngleich es zu begrüßen ist, wenn auch Behandlungsmethoden der alternativen Medizin oder andere ganzheitliche Ansätze stärker berücksichtigt werden, ist es für viele von Fruchbarkeitsstörungen Betroffene eine reproduktionsmedizinische Behandlung letztendlich unvermeidlich. Bündnis 90/Die Grünen täten deshalb gut daran, ihre bisherigen Positionen zu reproduktionsmedizinischen Problemen grundlegend zu überdenken. Bei diesem Prozess der Neuorientierung täte die Partei gut daran, sich von Betroffenen und deren Verbänden (wie z.B. Wunschkind e.V. in Berlin) beraten zu lassen, denn schließlich ist die Selbsthilfebewegung ursprünglich einmal ein urgrünes Anliegen gewesen.
Mit freundlichen Grüßen
Berti
