ari - nicht so schnell aufgeben bei der PKV!
all: Da ich an den Beiträgen gesehen habe, dass vielleicht ein kleiner Grundlagenartikel nicht schaden kann, hier kommt er:
http://www.kup.at/kup/pdf/6581.pdf
Da ist an sich alles gesagt, was man wissen muss, inklusive Fundstellen für Urteile. Auch die "15%-Regel" ist da erwähnt, die Grundlage dafür ist, dass eine private KV mehr als 3 Versuche finanzieren
muss.
Mit dem Embryonenschutzgesetz ist das ja so eine Sache. Ein Aspekt ist die morphologische Selektion im Blastozystenstadium (bzw. das Verbot der Weiterkultivierung von mehr als drei befruchteten Eizellen bis zur Blastozyste und anschliessende Auswahl der besten ein bis drei Embryonen ausschliesslich anhand morphologischer Kriterien).
Seit geraumer Zeit besteht ein Streit zwischen zwei Auffassungen, ob diese Therapie - die den "Stand der Medizin" darstellt - auch in Deutschland zulässig wäre, bei einer weiten Auslegung der gesetzlichen Vorschriften, oder ob die Auslegung, wie bisher, so ist, dass eindeutig nicht mehr als 3 befruchtete Eizellen weiterkultiviert werden dürfen.
Pro "weite Auslegung" sind 3 Rechtsgelehrte, u.a. der Verfasser des einzigen Kommentars zum EmbSchG.
Gegen die "weite Auslegung" ist ein Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (einer der heimlichen Herrscher, oder glaubt ihr ernsthaft, dass die "Ulla" zu mehr als zur Frühstücksdirektorin taugt). Dann natürlich der Oberschlaumeier Lauterbach ... Aber lassen wir das, bleiben wir also bei den nicht bekannten Leuten.
Die Bundesärztekammer traut sich leider nicht, sich der weiten Auslegung anzuschliessen. In den Richtlinien aus 2006 kann man ein gewisses Zerwürfnis erkennen. Im Haupttext heisst es - in Nibelungentreue (Unabhängigkeit?) zum Staatssekretär im Gesundheitsministerium - dass eindeutig nur 3 befruchtete Eizellen weiterkultiviert werden dürfen. Hier hat sich wohl der federführende Jurist der Kammer durchgesetzt. In einem Kommentar dazu heisst es dann - mehr Einfluss hatten die führenden deutschen Repromediziner wohl nicht - dass man aber endlich doch die guten Erfahrungen im Ausland berücksichtigen sollte und die morphologische Selektion im Blastozystenstadium zulassen sollte, am besten in einer Gesetzesnovelle, in einem richtigen Fortpflanzungsmedizingesetz. Das kann man aber vergessen, eine solche sehe ich für die nächsten fünf Jahre nicht kommen.
So, nun das Gedankenspiel: man stelle sich vor, besagter Staatssekretär ändert plötzlich seine Meinung. Vielleicht würde dann auch die Bundesärztekammer ihre Einstellung ändern. Und plötzlich hätten wir eine Richtlinie, in der beispielsweise steht, dass bis zu 6 Eizellen weiterkultiviert werden dürfen.
Utopie? Vielleicht. Jedenfalls scheinen im Süden der Republik erste Schritte in diese Richtung zu gehen.
Eine weitere Möglichkeit wäre die Diskussion dieser Rechtsfrage vor dem Bundessozialgericht. Dazu käme es aber nur, wenn Paare, die gegen Ihre Versicherung streiten, sei es eine GKV oder eine PKV, weil sie Kostenübernahme ablehnt wegen im Ausland nicht eingehaltenem EmbSchG, sich dieser Argumentationslinie bedienen und in einem gerichtlichen Verfahren mit Sachverständigenbeweis einen entsprechenden Vortrag führen. Als Sachverständige können dabei die 3 Rechtsgelehrten benannt werden - evtl. werden sie ja tatsächlich vom Gericht bestellt.
Ich habe bisher immer nur gehört, dass in den Sozialgerichten diese Rechtsfrage überhaupt nicht thematisiert wurde.
Wer also auf diesem Weg ist, dem sei die Ausgabe 03/2008 der Zeitschrift "Der Gynäkologe" angeraten. Dort ist ein entsprechender Artikel zu finden, der es in sich hat. Die Verfasser leiten aus den amtlichen Statistiken ab (aus dem D.I.R.), dass anscheinend - wohl im Süden der Republik, tatsächlich mehr als 3 Eizellen weiterkultiviert zu sein scheinen. Zitat:
"Nach der aktuellen Statistik des Deutschen IVF-Registers (DIR) muss man vermuten, dass sich in der BRD eine unterschiedliche ART entwickelt, d. h.: Es gibt wohl Ärzte, die ihren Patientinnen den eSET/eDET anbieten, und andere Ärztinnen und Ärzte, die aufgrund der Rechtsunsicherheit
sich an der (Muster-)Richtlinie der BÄK und deren stringenten Interpretation der „Dreierregel“ orientieren. Eine Klärung der Rechtslage über Selbstanzeige und Strafverfahren ist für die Betroffenen unzumutbar und schadet dem Ansehen der Reproduktionsmedizin in der BRD."
(aus:
Hepp / Diedrich, Reproduktionsmedizin in der BRD, Wissenschaft, Recht und Ethik, in: Der Gynäkologe, Ausgabe 03/2008, S. 167-178)
Mit anderen Worten: es bestünden an sich gute Aussichten auf eine zumindest gewisse Chance in einem Rechtsstreit. Was mich wundert, ist, dass ich davon bislang noch nichts gehört habe. Vielleicht liegt es daran, dass es eben ein absolutes Spezialthema ist und klagewillige Paare schon genug um die Ohren haben. Andererseits: so kompliziert ist das ja auch nicht.
Wenn also die Versicherung sagt, die morphologische Selektion stelle einen Verstoß gegen § 1, Nr. 3 und 5 EmbSchG dar, so beruft sie sich dabei auf die Auslegung dieses Gesetzes durch die Bundesärztekammer. Diese kann aber falsch sein. Ein klagendes Ehepaar kann sich auf die aktuelle Statistik, das D.I.R. berufen und kann, unter Hinweis auf o.g. Artikel darlegen, dass diese Auffassung falsch sein kann. Ein Gericht wird sich dann damit befassen müssen. Wie gesagt, der einzige Kommentar zum deutschen EmbSchG, spricht sich für die weite Auslegung aus. Ein Gericht kann ihm folgen oder nicht aber entschieden ist es aus meiner Sicht noch nicht.
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Ich wollte das schon lange mal schreiben, hoffe, es interessiert Euch am Rande. Für mich, der ich kein Mediziner bin - und auch kein Rechtsanwalt - war es ein Einstiegspunkt in das ganze Thema IVF, weil ich mir natürlich Gedanken gemacht habe darüber, wo und wie können wir es am schnellsten schaffen.
Anmerken wollte ich noch:
"nur in Deutschland übliche Kosten" ist an sich kein Problem. In Deutschland wird bei den Selbstzahlern ja auch kräftig hingelangt, wenn man Prof. Zechs Preise mit Deutschland vergleicht, sollte man fairerweise mit den Preisen für deutsche Selbstzahler vergleichen. Die Spannbreite liegt da (ohne Medis) nach meinen Informationen zwischen 3.500 und 6.000 EUR pro ICSI-Versuch, je nach Institut.
LG cruzeiro