... und für meine lieben MS-Mädelchens noch ein Beitrag über IVIG´s von der DMSG !!
Die Behandlung der Multiplen Sklerose mit intravenösen Immunglobulinen
Immunmoleküle mit Regulationsfunktion im Immunsystem.
Das Immunsystem spielt bei der Entstehung der Multiplen Sklerose (MS), der Entwicklung weiterer Schübe, dem Verlauf der Erkrankung und die sich daraus entwickelnde fortschreitende Behinderung eine entscheidende Rolle. Konsequenterweise zeigte daher auch der Einsatz immunmodulierender Therapien erste positive Ergebnisse: Durch die Behandlung mit beta-Interferonen und Glatirameracetat (früher "Copolymer-1" genannt) wird der Verlauf der schubförmigen und, wie wir aus neusten Studien wissen, auch die sekundär chronisch progrediente Verlaufsform der Multiplen Sklerose durch eine Behandlung mit Betaferon® positiv beeinflußt.
Trotz dieser ersten Erfolge bei der Behandlung der MS müssen weitere potentielle Therapien der MS wissenschaftlich untersucht werden, um weitere Behandlungsmöglichkeiten zur Verhinderung der Progredienz der Erkrankung oder sogar einer dauerhaften Verbesserung bestehender Funktionseinbußen zu ermitteln.
Intravenös verabreichbare Immunglobuline (abgekürzt als: IVIG) werden bereits seit einiger Zeit bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen mit Erfolg verwendet. Da diese konsequenterweise auch zur Behandlung der MS unter kontrollierten und unkontrollierten Bedingungen eingesetzt wurden, soll im folgenden ein Überblick über diese Therapie gegeben werden, auch wenn die Diskussion darüber noch nicht abgeschlossen ist.
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Bilduntertitel: Autoren Dr. med. D. Pöhlau, Chefarzt Sauerlandklink Hachen; Prof. Dr. med. D. Seidel, Ärztlicher Direktor Augustahospital Anholt
Offene Studien
Bereits seit 1982 werden im Rahmen offener und offen kontrollierter Studien über 800 MS-Patienten mit vorwiegend schubförmigem Verlauf mit IVIG behandelt. Während lediglich eine Studie mit überwiegend mit Kortison behandelten MS-Patienten, die zusätzlich mit IVIG behandelt wurden, keinen Erfolg der IVIG-Behandlung zeigen konnten, kommen alle anderen Studien zu dem Schluß, daß die IVIG-Therapie den MS-Betroffenen nützt.
Einschränkend muß jedoch gesagt werden, daß offene Studien im strengen Sinne keinen Beweis der Wirksamkeit zulassen, da dieses Studiendesign nicht dem wissenschaftlichen Standard, der u.a. Doppelblindstudien ("Goldstandard") voraussetzt, entsprechen.
Zur Erklärung: Eine Doppelblindstudie ist dadurch charakterisiert, daß zwei Gruppen von Patienten miteinander verglichen werden: Eine Gruppe bekommt das Medikament (das "Verum") die andere ein unwirksames Scheinmedikament (das "Placebo"). Weder die behandelnden Ärzte noch die Patienten wissen, wer das Medikament oder wer Placebo erhält. Am Ende der Behandlung (normalerweise nach zwei bis drei Jahren) werden die beiden Gruppen miteinander verglichen. Wenn man mathematisch beweisen kann, daß die "Verumgruppe" besser abschneidet als die "Placebogruppe", dann kann man mit Recht behaupten, daß das eingesetzte Medikament wirksam ist. Eine solche Wirksamkeit kann sich darauf beziehen, daß mathematisch beweisbar ("signifikant") weniger Schübe in der Verumgruppe auftreten oder sich weniger Patienten verschlechtern.
IVIG zur Behandlung akuter Schübe?
In zwei Studien wurden IVIG im akuten Schub eingesetzt. Eine kleine Studie an 6 Patienten (3 IVIG und 3 Kontrollpatienten) zeigte, daß durch hochdosiertes Kortison die Blut-Hirn-Schranke sehr viel schneller "abgedichtet" werden kann als durch IVIG.
In einer weiteren Studie mit MS-Patienten, die im akuten Schub entweder nur Kortison (plus Placebo) oder Kortison und IVIG erhielten, zeigte sich kein Vorteil der zusätzlichen IVIG-Therapie (mündl. Mitteilung Fr. Prof. Haas). Dies spricht dafür, daß IVIG in der Behandlung des akuten Schubes weder als alleinige Therapie noch als zusätzliche Therapie zu Kortison einen Nutzen haben.
IVIG zur Verminderung der Schubrate und Verlangsamung der Progression bei schubförmiger Multipler Sklerose
Vor kurzem wurden die Ergebnisse einer großen österreichischen Doppelblindstudie zur Behandlung der schubförmigen MS mit intravenösen Immunglobulinen in der international sehr angesehenen Zeitschrift "Lancet" veröffentlicht. In dieser multizentrischen, von Fazekas und Mitarbeitern in Österreich durchgeführten randomisierten Doppelblindstudie wurden in 13 Zentren 148 Patienten mit schubförmiger MS untersucht. Diese erhielten über zwei Jahre einmal im Monat 0,15 – 0,20 g IVIG pro Kilogramm Körpergewicht (75 Patienten) oder eine Placebo-Infusion (73 Patienten).
Ergebnis: MS-Patienten, die mit Immunglobulinen behandeltet wurden, zeigen eine nachweislich um 59% niedrigere Schubrate im Vergleich zur Placebogruppe (signifikante Schubreduktion), signifikant mehr schubfreie Patienten und eine Verlangsamung der Progression der Behinderung (siehe Abb. 1).
Abb. 1: Einfluß einer IVIG-Therapie auf die Progression der MS bei Patienten mit schubförmiger MS:
IVIG
Placebo
Verbesserungen um mindestens 1 EDSS* Punkt
31%
14%
Stabil
53%
63%
Verschlechtert um mindestens 1 EDSS* Punkt
16%
23%
*Die Behinderung wurde mit der 10-Punkte-Skala nach Kurtzke, der sogenannten EDSS-Skala gemessen. Die Therapie wurde ohne ernsthafte Nebenwirkungen vertragen.
Zwei weitere Studien, in denen Patienten mit schubförmiger MS ebenfalls von der Behandlung mir IVIG profitierten, wurden jüngst veröffentlicht.
In Schweden wurde in einer Doppelblindstudie der Frage nachgegangen, ob durch die Behandlung mit IVIG weniger frische kontrastmittelaufnehmende Herde im Kernspintomogramm des Schädels auftreten. Dazu wurde eine sogenannte "Cross-Over Studie" durchgeführt. 26 Patienten (9 Männer/17 Frauen) mit schubförmiger MS erhielten 6 Monate lang IVIG oder Placebo: Nach diesen sechs Monaten Behandlung folgte eine dreimonatige Behandlungspause, als sogenannte "Auswaschphase", dann ein "Cross-Over" zur jeweiligen anderen sechsmonatigen Behandlung. Also bekam jeder Patient sechs Monate lang IVIG und sechs Monate lang Placebo. Alle vier Wochen wurden die Patienten neurologisch und mittels Kernspintomogramm untersucht.
Die Patienten erhielten in der Verumphase alle vier Wochen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen eine hohe Dosis IVIG (1g IVIG/kg Körpergewicht).
Ergebnis: Es stellte sich eine hochsignifikante Reduktion der Kontrastmittel anreichernden "frischen" entzündlichen Herde unter der Behandlung mit IVIG dar. Für die Gesamtfläche der Läsionen fand sich ein Trend zu einer Reduktion durch die IVIG-Behandlung. Auch die Schubrate war signifikant reduziert: In der Verumgruppe traten 10 Schübe auf, in der Placebogruppe 16 Schübe.
Unklar ist derzeit noch, ob die ungewöhnlich hohe Nebenwirkungsrate (vor allem Kopfschmerzen, Hautekzeme) auf die hohe Dosis oder auf sonstige, in dem Präparat vorhandene, "allergisierende" Stoffe zurückzuführen ist.
In einer israelischen Zwei-Jahres-Studie an 40 Patienten (20 IVIG, 20 Placebo) mit schubförmigem Verlauf konnte eine hochsignifikante Verminderung der Schubrate bewiesen werden. In einer Gruppenanalyse hatten sich in der Verumgruppe mehr Patienten gebessert als in der Placebogruppe (23,5% zu 10,8%). Im Kernspintomogramm des Kopfes ließ sich kein Unterschied zwischen den Verum- und den Placebopatienten ermitteln. Die Behandlung erfolgte in dieser Studie nach einem anderen Regime: Am Anfang erfolgten fünf Infusionen an fünf Tagen hintereinander, dann eine Infusion alle acht Wochen über zwei Jahre. Es wurden pro Infusion 400mg IVIG/kg Körpergewicht (oder Placebo) gegeben.
IVIG zur Behandlung von chronisch progredienten Verläufen der MS?
Aus offenen Studien gibt es Berichte über einen möglichen Nutzen einer IVIG-Behandlung bei sekundär chronisch progredienten Verläufen.
Nach ersten ermutigenden Ergebnissen aus einer eigenen Pilotstudie wurde in Bochum eine große Doppelblindstudie zur Behandlung der chronisch progredienten MS initiiert. Diese Studie wird über zwei Jahre laufen und zwei Fragen klären: 1. Ob eine Behandlung mit IVIG die Progression der Behinderung verlangsamt und ob eine IVIG-Behandlung 2. zu einer Verbesserung bestehender Störungen führt. Neben den Patienten mit sekundär chronisch progredienter MS wird auch eine kleine, abgegrenzte Gruppe von Patienten mit primär chronisch progredienter MS untersucht. In dieser Studie wird eine Dosis von 400 mg/kg Körpergewicht eingesetzt. In einer weiteren Doppelblindstudie wird eine 2,5fach höhere Dosis verwendet. In ca. zwei Jahren werden Ergebnisse aus beiden Studien vorliegen.
IVIG zur Schubprophylaxe nach der Entbindung
Während der Schwangerschaft nimmt die Schubrate, insbesondere im letzten Drittel ab, um dann nach der Entbindung deutlich anzusteigen. Durch eine fünftägige Behandlung mit IVIG unmittelbar nach der Entbindung (400mg IVIG pro kg Körpergewicht), und zwei weiteren IVIG Infusionen nach sechs und zwölf Wochen konnte bei einer kleinen Gruppe von MS-Patientinnen, die nach vorhergehenden Entbindungen einen Schub bekommen hatten, die Schubwahrscheinlichkeit nach einer weiteren Schwangerschaft stark vermindert werden. Ein Vorteil ist, daß Kinder von Müttern, die IVIG bekommen, gestillt werden können.
IVIG zur Remyelinisierungsförderung?
Bei der MS sind nach dem Abklingen der akuten Entzündung vor allem Leitungsstörungen für Funktionseinbußen verantwortlich. Diese sind in erster Linie auf einen Untergang der Isolierschicht (Myelin) der Nerven (Demyelinisierungen) und unzureichende Reparationsvorgänge (Remyelinisierungen) zurückzuführen. Außerdem findet auch ein Untergang von Nervenfasern (sogenannten Axonen) statt, dieser Schaden ist offenbar irreparabel.
Bisher werden länger bestehende Funktionseinbußen vor allem mit symptomatischen Therapieverfahren (z.B. antispastischen Medikamenten) behandelt. Wenn es gelänge, die Remyelinisierung zu fördern, könnten evtl. gewisse Besserungen eintreten. Deshalb werden zur Zeit Strategien zur Remyelinisierungsförderung intensiv untersucht. Erste Patientendaten sprechen ebenfalls für eine mögliche remyelinisierungsfördernde Wirkung von IVIG: So konnten Sehstörungen nach abgelaufenen Sehnervenentzündungen durch IVIG etwas gebessert werden.
Eine weitere Auswertung der bereits zitierten österreichischen Doppelblindstudie zeigte, daß sich die mittels der EDSS-Skala gemessene Behinderung innerhalb der ersten 6 Monate etwas besserte und nach dieser Zeit stabil blieb. In einer anderen Doppelblindstudie an 76 Patienten konnte allerdings keine Abnahme der MS-bedingten Lähmungen durch IVIG erzielt werden.
Zur Zeit wird die mögliche remyelinisierungsfördernde Potenz der IVIG in weiteren Studien untersucht. Ein Beweis dafür ist noch nicht erbracht. Es ist auch nicht zu erwarten, daß sich länger bestehende schwere Behinderungen durch IVIG dramatisch bessern lassen. Dies liegt daran, daß nach einer Zerstörung der Nervenfasern (Axone) keine Remyelinisierung mehr stattfinden kann. Wahrscheinlich verhindert auch stabiles "Narbengewebe" eine Remyelinisierung. Es ist wahrscheinlich, daß eine Remyelinisierung nur eine gewisse Zeit nach der akuten Demyelinisierung möglich ist.
Wie wirken intravenöse Immunglobuline?
IVIG sind aus natürlichem Eiweiß bestehende Immunmoleküle, die von spezialisierten körpereigenen Blutzellen produziert werden. Sie üben neben der Abwehr von Krankheitserregern vielfältige Regulationsfunktionen im Immunsystem aus. So vermindern IVIG die Aktivierung von Immunzellen und neutralisieren Entzündungsbotenstoffe. Besonders gut ist dies für den sogenannten "Tumor-Nekrose-Faktor-alpha" untersucht, der eine wichtige Rolle bei der Demyelinisierung spielt. Außerdem wird die Aktivität von "Freßzellen" (Makrophagen) dosisabhängig vermindert. Auch bei der sogenannten experimentell allergischen Enzephalomyelitis (EAE), einem anerkannten Tiermodell der MS, führt eine IVIG-Behandlung der Versuchstiere zu einem selteneren Auftreten und milderen Verlauf der EAE.
Mögliche Nebenwirkungen von Immunglobulinen
IVIG sind Blutprodukte, die aus "Pools" von Plasmaspenden von bis zu 10.000 Einzelspendern gewonnen werden. Da es wichtig ist, daß ganz viele verschiedene Immunglobuline infundiert werden, ist eine synthetische Herstellung von Immunglobulinen unmöglich. Aufgrund von vielen Trennungs- und Reinigungsschritten bei der Herstellung ist die Übertragung von bekannten Viren nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen, insbesondere kann kein AIDS-Virus übertragen werden, da dieses bereits beim ersten Reinigungsschritt abgetötet wird. Auch die Übertragung von Viren, die Leberentzündungen (Hepatitis) hervorrufen, wie sie in nur einem Fall eines Patienten in der schwedischen Studie auftrat, ist bei den heute verwendeten Immunglobulinen so gut wie unmöglich. Allerdings kann nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, daß es vielleicht Viren oder noch kleinere Krankheitserreger gibt, die heute noch unbekannt sind, aber durch IVIG übertragen werden.
IVIG wurden bereits weltweit bei vielen Hunderttausenden von Patienten eingesetzt. In Anbetracht dieser Vielzahl von Infusionen traten Nebenwirkungen selten auf. Vor allem sind Nierenstörungen beschrieben, deshalb ist bei Patienten mit vorbestehenden Nierenerkrankungen oder länger bestehender Zuckerkrankheit Vorsicht geboten. Außerdem sind allergische Reaktionen möglich, Kopfschmerzen und Erhöhungen der Zellen im Nervenwasser (sog. "aseptische Meningitiden"). Da bei der Infusion von hohen Mengen von IVIG die Fließfähigkeit des Blutes schlechter wird, können in Einzelfällen Durchblutungsstörungen des Herzens und des Gehirns auftreten.
Zusammenfassung
Bei Patienten mit schubförmigem Verlauf einer Multiplen Sklerose ließ sich eine Verminderung der Schubrate durch eine Behandlung mit IVIG in mehreren Doppelblindstudien zeigen.
Die Beeinflussung von Kernspinparametern durch eine IVIG-Behandlung zeigt widersprüchliche Ergebnisse, evtl. sind höhere IVIG-Dosen nötig, um auch im Kernspintomogramm Wirksamkeit zeigen zu können. Allerdings gibt es zur Zeit noch keine verläßlichen Angaben darüber, welche IVIG Dosierung therapeutisch am günstigsten ist.
IVIG sind in jeder Apotheke erhältliche Arzneimittel, sie sind bislang nicht zur Behandlung der MS zugelassen, deshalb erfolgt eine Behandlung im Rahmen eines sogenannten "Heilversuches". Eine Jahresbehandlung mit IVIG bezüglich der Kosten ist mit einer Interferon-Behandlung vergleichbar.
IVIG stellen eine Alternative in der Behandlung der schubförmigen MS dar bei Patienten, die für eine Behandlung mit beta-Interferonen nicht in Frage kommen oder bei denen diese Therapie nicht oder nicht mehr wirkt. Auch bei Patienten, die neben der MS noch an anderen Autoimmunerkrankungen leiden, sollte eine IVIG-Therapie in Erwägung gezogen werden. Auch Frauen, die nach einer vorhergehenden Entbindung MS-Schübe entwickelten, kommen für eine IVIG-Behandlung in Frage.
Es gibt erste Evidenzen dafür, daß IVIG auch bei sekundär chronisch progredientem Verlauf nützen, also die Progression der Behinderung verlangsamen könnten. Der Einfluß einer IVIG-Behandlung auf die Behinderung und die Progredienz der Erkrankung bei Patienten mit primär und sekundär chronisch progredientem Verlauf wird zur Zeit im Rahmen von zwei großen Studien untersucht.
Hinweis: Dieser Text enthält Abbildungen; wir verweisen auf das gedruckte Original.
Quellenangabe:
Pöhlau, D. (Sauerlandklinik, Sundern-Hachen); Seidel, Dietmar (Augustahospital Anholt, Isselburg): Die Behandlung der Multiplen Sklerose mit intravenösen Immunglobulinen: Immunmoleküle mit Regulationsfunktion im Immunsystem. In: AKTIV (Fachzeitschrift der DMSG) 03/1999, Nr. 182, S. 12 - 16.
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