
Streichung des § 27 a SGB V - künstliche Befruchtung
Sehr geehrte Familie...,
vielen Dank für Ihre Zuschrift, in der Sie sich für den Erhalt der
künstlichen Befruchtung im Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenversicherungen (§ 27 a SGB V) einsetzen.
Im Gesundheitsmodernisierungsgesetz ist unter anderem die ersatzlose
Streichung dieses im Jahr 1990 eingefügten Paragraphen vorgesehen. Die
Gesundheitsreform umfasst ein Gesamtpaket von strukturellen und
finanzpolitischen Reformschritten. Zu nennen sind hier insbesondere:
verstärkte Wettbewerbselemente in der ambulanten Versorgung
(Einzelverträge für FachärztInnen, Gesundheitszentren, integrierte
Versorgung), die Einführung des Hausarztmodells, die Reform des
ärztlichen Vergütungssystems, mehr Wettbewerb in der
Arzneimittelversorgung, die vollständige Finanzierung des Krankengeldes
durch die Versicherten, die Steuerfinanzierung versicherungsfremder
Leistungen, die Erhöhung von Zuzahlungen und die Streichung einiger
Punkte des Leistungskataloges.
Die Entscheidung, die künstliche Befruchtung zu streichen ist nach einem
umfassenden Abwägungsprozess getroffen worden, in den folgende
Überlegungen eingegangen sind:
· Ist Kinderlosigkeit eine behandlungsbedürftige Krankheit? Dies wird
vielfach bestritten.
· Gibt es einen Anspruch auf ein Kind, das genetisch von beiden
Elternteilen abstammt? Das dürfte kaum zu begründen sein.
· Ist es gerechtfertigt, dass die Kosten der künstlichen Befruchtung
durch die Versichertengemeinschaft der gesetzlichen Krankenkassen
getragen werden? 1999 wurden für etwa 9000 nach einer IVF-Behandlung
geborenen Kinder 10% der für die ambulante gynäkologische Versorgung zur
Verfügung stehenden Mittel aufgewendet. Durch die Übernahme der ICSI als
Kassenleistung ist dieser Anteil inzwischen weiter gestiegen. Die
Methoden der künstlichen Befruchtung beanspruchen mithin Ressourcen, die
anderweitig für die Behandlung von Frauen gebraucht werden.
· Sind die verschiedenen Methoden der künstlichen Befruchtung aufgrund
der geringen Erfolgsquoten (9%-15% "baby-take-home-rate") adäquate
Behandlungsmethoden? Was rechtfertigt, dass im Gegensatz zu
Behandlungsmethoden anderer Krankheiten oder der Zulassung als
Medikament, eine vergleichsweise sehr geringe Erfolgsquote akzeptiert
wird? Qualitätsanforderungen, die ein wichtiges Ziel der
Gesundheitsreform darstellen, sind in diesem Bereich nicht erfüllt.
· Stehen die großen physischen (z. B. Hormonbehandlung mit Präparaten,
die im Verdacht stehen, hormonabhängige Karzinome wie Eierstockkrebs
auszulösen, sowie die "Begleiterscheinung" Überstimulationssyndrom, das
in einzelnen Fällen lebensgefährliche Auswirkungen haben kann) und
psychischen Belastungen (z. B. Erfolgserwartungen bei geringer
Erfolgsquote, hohe Zahl von Mehrlingsschwangerschaften) der behandelten
Frauen in einem ausgewogenen Verhältnis zu der Tatsache, dass diese bei
85%-90% der Paare nicht zu einer Schwangerschaft führt? Das darf
bezweifelt werden.
Von geschätzten 600.000 bis 1,5 Millionen ungewollt kinderlosen
Ehepaaren entscheidet sich jährlich nur ein kleiner Anteil (etwa 50.000)
für die medizinische Kinderwunschbehandlung. Diese Entscheidung ist in
einem individuellen Abwägungsprozeß mit ärztlicher Beratung geschehen
und musste die finanziellen Aspekte nicht mitberücksichtigen. Jedoch
verhindert die Konzentration auf die medizinische Behandlung ungewollter
Kinderlosigkeit die Suche nach alternativen Lösungen. So liegen
Untersuchungen vor, wonach bei einer viermonatigen psychologischen
Kurzberatung zur Bewältigung der unfreiwilligen Kinderlosigkeit eine
Schwangerschaftsrate von 15,8% erzielt wurde und damit erfolgreicher als
eine sechsmonatige invasive IVF-Behandlung (14,6%) war. Ebenso geraten
andere Möglichkeiten, wie Adoption oder Pflegschaft aus dem Blick.
Wie Sie sehen, gibt es gute und wichtige Gründe für die Entscheidung,
die Methoden der künstlichen Befruchtung nicht mehr durch die
Solidargemeinschaft zu finanzieren.
Wer dies verändern wollte, müsste eine Alternative für das
Ausgabevolumen von etwa 145 Millionen Euro bestimmen. Darüberhinaus
wären die ethischen und qualitativen Einwände zu widerlegen. Das kann
ich in Ihren Ausführungen nicht erkennen. Ich werde Ihrem Anliegen daher
nicht folgen.
Für Ihre persönliche Zukunft wünsche ich Ihnen alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Biggi Bender
Biggi Bender, MdB
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