"Fertilitätsbehinderung"

Aktionen, (Leser-) Briefe, TV-Beiträge als Downloads, etc.
Antworten
Ovaria
Rang0
Rang0
Beiträge: 163
Registriert: 28 Mai 2003 16:15

"Fertilitätsbehinderung"

Beitrag von Ovaria »

Liebe Leute,

da ist ein Begriff, der mir schon lange durch den Kopf geht: "Fertilitätsbehinderung"...möchte euch dazu ein paar Fragen stellen und wäre dankbar für eure Meinug. Also....

1. z.B. sind Frauen mit Endometriose berechtigt eine Erwerbsminderung geltend zu machen auf Grund ihrer Krankheit und eingestuft zu werden in ein System, das den Grad einer Behinderung festlegt (bei Endo, je nach Stadium bis zu 70%).

Ist es somit rechtlich zu vereinbaren wenn aufgrund einer vorliegenden Behinderung keine Kinder empfangen oder ausgetragen werden konnten und entsprechendes Paar bei Feststellung der Behinderung die Adoptionskritereien nicht mehr erfüllen konnte?

Könnte man hier nicht zu recht von einer "Fertilitätsbehinderung" sprechen?

2. Die selbe Frage stellt sich für mich bei zeugungseingeschränkten oder zeugungsunfähigen Männern (alle Ursachen sollten hier gelten....vielleicht außer bewußt vorgenommener Vasektomie)

Sollte ein Mann, der zeugungsunfähig ist, weil eine Operation der Leistenhoden zu spät vorgenommen wurde, deshalb ggfs. weniger Altersrente beziehen? Oder seine Frau eine gekürzte Witwenrente?

3. Ist es rechtlich zu vereinbaren, wenn Behinderten Therapien gestrichen werden, die eine Heilung (im Sinne von Realisierung des Kinderwunsches) möglich machen? Gäbe es Möglichkeiten, damit vor Gericht zu gehen?

4. An wen kann man sich wenden, um die Thematik mit Experten zu vertiefen? VdK o.ä. ? Was ist da das offizielle Verfahren, eine Erkrankung als "Behinderung" neudediniert anzuerkennen?

5. Welchen rechtlichen Schutz haben Behinderte generell, wenn es um die Durchsetzung ihrer Rechte geht? Gibt es ein "Anti-Diskriminierung-Gesetz" für sowas?

6. Wie seht ihr die Chancen für die Aufnahme der "Fertilitätsbehinderung" in die bereits existierende Liste der Behinderungen?

ist wohl was lang geworden :-? ...freue mich über jede Antwort

LG Ovaria :wink:
"All animals are equal, but some animals are more equal than others."

G. Orwell, Animal Farm
anke-martin
Rang0
Rang0
Beiträge: 113
Registriert: 26 Jan 2004 13:55

Deine Fragen zur Behinderung...

Beitrag von anke-martin »

... werden grade eifrig bei http://www.wunschkinder.net/ im Forum diskutiert. Vielleicht magst Du nochmal mit einsteigen!?
anke und martin

BildBildBild
rebella67
Rang5
Rang5
Beiträge: 13586
Registriert: 10 Jan 2002 01:00

Beitrag von rebella67 »

Hallo Ovaria,

ich sehe die Chancen, in so eine Liste mit rein zu kommen, sehr gering. Fruchtbaren Leuten fällt das sehr schwer, solche Gedankengänge
nachzuvollziehen, denn Unfruchtbarkeit tut ja nicht körperlich weh. Außerdem war das bisher nie ein Thema, warum sollte es dann jetzt eins sein?
So zumindest schätze ich diejenigen ein, die den Weg dorthin ebnen könnten. Ich hatte mal eine Diskussion in einem anderen Forum, da waren
auch herkömmlich Behinderte und da bin ich echt niedergemacht worden, daß ich die genetische Besonderheit meines Mannes als Behinderung
deklariert habe. Und dabei zieht das bei ihm nicht mal nur Unfruchtbarkeit nach sich, sondern auch noch andere gesundheitliche Probleme.

Aber, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wende Dich doch mal vorsichtig an einen Behindertenverband und sage denen am besten nicht die ganze
Wahrheit (damit sie Dir die Fragen auch beantworten).

Zu Deiner 3. Frage - die müßtest Du etwas umformulieren, denn von einer Heiling der Unfruchtbarkeit kann ja bei KB nicht die Rede sein, sondern
allenfalls von einer Heilung von den psychischen Problemen aufgrund ungewollter Kinderlosigkeit.

LG, Rebella
Ovaria
Rang0
Rang0
Beiträge: 163
Registriert: 28 Mai 2003 16:15

Beitrag von Ovaria »

Hallo Anke + Martin,

das Thema haben wir hier im Kleinputz schon hinlänglich diskutiert und sind zu der Auffassung gelangt, dass ungewollte Kinderlosigkeit eine Erkrankung ist und auch als solche anerkannt werden sollte.

"Fertilitätsbehinderung" beschreibt für mich den Zustand von Menschen, die auf assistierte Reproduktionsmöglichkeiten zurückgreifen müssen. Mich selbst damit als "behindert" zu bezeichnen stellt für mich kein Problem dar. Allerdings scheinen manche (auch Betroffene) nicht dieser Ansicht zu sein und möchten von dem vermeindlichen Stigma "behindert" deutlich Abstand nehmen.
Eine in die Tiefe reichende, selbstgebaute Analyse möchte ich mir hier dazu sparen :wink: ...nur soviel: "Vorurteile" und "kultiviertes Halbwissen" (letzteres besonders von "Gutmeinern", uninformierten Journalisten und Politikern) sind gewaltige Monster und machen vielen Menschen einfach nur Angst, auch Angst, sich persönlich damit auseinander zu setzen oder überhaupt die eigene Fertilität zu hinterfragen. Es hält sich eben hartneckig der Irrglaube: "Frau kann bis 40 und Mann ohnehin immer" - aus eigener Erfahrung kann ich nur bestätigen: es gibt Hürden und Hemmnisse zu überwinden, sich mit Infertilität eingehend zu beschäftigen.

Ich vergleiche die Patientengruppe der ungewollt Kinderlosen gerne mit der jungen Schwulenbewegung oder der Situation geistig Erkrankter um die Jahrhundertwende. Zu letzterer Gruppe wurden sogar sonntägliche Familienausflüge unternommen um sich zu gruseln oder sich zu entsetzen (würde ich fast analog zu manch mieser medialer Berichterstattung sehen wollen).

Öffentliches Interesse war also wohl da, traf es aber einen verwandten Menschen, so wurde dieser versteckt oder ins nächste Irrenhaus abgeschoben (ließt man manche Berichte aus dem Familienleben Betroffener, dann ist das gleichwertig zu sehen).

Die Schwulenbewegung ist aus der Liberalität der 60er und 70er hervorgegangen und hat bis dato mit unverminderter Verhemenz für gesellschaftliche und politische Rechte gekämpft. Mit gutem Erfolg, würde ich sagen. Die entscheiden Faktoren waren Kontinuität und "Outing", gepaart mit Sensibilisierung der Öffentlichkeit in Bezug auf die Menschenrechtsaspekte.

Unsere Situation ist ähnlich dramatisch von der seelischen und körperlichen Belastung der Betroffenen, jedoch unterlassen wir es meistens, Leidensdruck zu zeigen oder zu benennen, was zu Nicht-Wahrnehmung des Problems führt und der Gruppe insgesamt in gesellschaftspolitischer Hinsicht nicht weiterhilft, im Gegenteil: man bestätigt durch schamhaftes Verscheigen Vorurteile.

Für mich persönlich hat die ganze Problematik auch einen Menschen- oder Bürgerrechtsaspekt, der bisher auf grund medizinisch-wissenschaftlichem Angang des Themas etwas in den Hintergrung getreten ist. Daran möchte ich etwas ändern.

Besonders hinweisen möchte ich im Zusammenhang "ungewollte Kinderlosigkeit als Krankheit" auf Beiträge von Birgit~ u.a., die sehr informative Links zu diesem Themenkomplex hier beigetragen haben, sowohl medizinische, als auch juristische Quellen und Zitate werden aufgezeigt.

Im Kinderwunschforum bin ich auch von Zeit zu Zeit unterwegs, allerdings ist dort die Interessenslage meistens auf medizinisch-relevante Verfahrensfragen konzentriert und die Struktur erlaubt nicht die relative Langlebigkeit der Beitäge, wie hier im KP, was ich persönlich bevorzuge (im unstimmulierten Zustand :D).

Trotzdem danke für die Einladung+ liebe Grüße

Ovaria
"All animals are equal, but some animals are more equal than others."

G. Orwell, Animal Farm
Ovaria
Rang0
Rang0
Beiträge: 163
Registriert: 28 Mai 2003 16:15

Beitrag von Ovaria »

Hallo Rebella,

das mit den Behindertenorganisationen habe ich auch schonmal überlegt...nicht nur Frage 3 ist nochmals zu überarbeiten :wink:.

Z.Zt. bebrüte ich mental die griffigsten Formulierungen und schlagkräfigsten Argumente für einen Brief an Frau L-Sch...bei mir dauert das schonmal ein paar Tage.

Die Zeit für eine Aufnahme von Fertilitätsbehinderung in den Kanon der "allgemeinen gesetzlich anerkannten Behinderungen" sehe ich auch noch nicht als reif an, allerdings würde es viel Sinn machen die Strategie der "Nadelstiche" auf breitester Ebene fortzusetzen.

Das mit der unangebracht bornierten Reaktion der Behindertenlobby sehe ich als zum Teil finanziell bedingtes Problem: in Zeiten schrupfender Töpfe für Behindertenförderung käme eine neue "Behindertengruppe" so gar nicht gut. Zudem sind viel "Randgruppen" längst nicht so tolerant und liberal, wie sie selbst gerne behandelt würden.

Der größe Malus ist aber wohl der allgemeine Umgang mit dem Thema "Infertilität", meint: Vorurteile existieren, Betroffene sind verunsichert und verschweigen Leid und Behandlung, halbgare Informationen werden medial breitgetreten....fertig ist die "Desinformationsbrühe" - ob nun bewust gesteuert (von wem auch immer?) oder entstanden aus Angst und Verunsicherung.
Diese unwürdige Situation gehört geklärt.

Liebe Grüße

Ovaria
"All animals are equal, but some animals are more equal than others."

G. Orwell, Animal Farm
mina2
Rang1
Rang1
Beiträge: 311
Registriert: 15 Aug 2001 02:00

Beitrag von mina2 »

Hallo Rebella und Ovaria,
Über die Idee, Infertilität als Behinderung anzuerkennen, denke ich auch schon lange nach (ich bin nur nicht so konsequent und fleißig wie Ihr).
Rebella du schriebst:" ich sehe die Chancen, in so eine Liste mit rein zu kommen, sehr gering. Fruchtbaren Leuten fällt das sehr schwer, solche Gedankengänge
nachzuvollziehen, denn Unfruchtbarkeit tut ja nicht körperlich weh."
Aber Behinderung ist doch nicht an das Kriterium "Schmerzen" gebunden. So weit ich weiß, tut blind sein oder taub sein auch nicht unbedingt weh. Und die Hilfsmittel, die Behinderte in Anspruch nehmen können, sind ja auch eben nicht unbedingt auf "Heilung" ausgerichtet (der Rollstuhl "ertüchtigt" nicht deine Beine), sondern darauf, die fehelnde Körperfunktion zu ersetzen oder zu überbrücken. Blinde haben (oft?) einen Assistenten, der ihnen hilft die INformationslücke durch das Nichtsehen zu überbrücken. Unfruchtbare Paare brauchen den Arzt und die Reprotechnologie als Assistenten, um den Weg, den die Keimzellen und der Embryo nicht selbst schaffen, zu überbrücken.
Gruß Mina
Ovaria
Rang0
Rang0
Beiträge: 163
Registriert: 28 Mai 2003 16:15

Beitrag von Ovaria »

Hallo Mina,

erstmal: danke für die Blumen :oops:...sooo fleißig bin ich gar nicht, nur über die gemeine Behandlung von ungewollt Kinderlosen druch (fast alle) Politiker,einige mediale Schmierfinken, die das Thema für Quote ausbeuten ohne wirklich zu informieren und generell böse auf Sprüche wie: "Entspannt euch mal, dann klappts schon". Das motiviert genauso, wie der eigentliche Kinderwunsch - mich zu mindest.

Was du da über Schmerzen sagst....leider tendieren viel zu viele Paare und Betroffene dazu eben keine Schmerzen zu äußern (körperlich oder psychisch). Das stützt die vielen Vorurteile, die es über uns so gibt. Viele Außenstehende, denken, dass KB eine Sache sei, die manipulativ mit dem Erbgut umgeht ....Stichwort:Designerbabies mit blauen Augen und hochgezüchtetem IQ....so ein BLÖDSINN, sorry. Bisher weiß man ja nicht mal genau, warum soviele Embryonen es nicht schaffen, als Kind geboren zu werden.

Bisher geht es ausschließlich um eine technische Überbrückung von Hindernissen und die wird auch noch sehr restriktiv vom Gesetzgeber gehandhabt.

"Fertilitätsbehindert" sind für mich alle Leute, die diese Techniken in irgendeiner Form nutzen müssen um Nachwuchs zu bekommen, "sehbehindert" bei Brillenträgern oder "hörbehindert" bei Schwerhörigen ist doch auch kein soooo gewaltiges Akzeptanz-Problem....und nur weil es bei uns um die "weichen Teilchen" geht, traut sich keiner so richtig ran ans Thema. Ob die ganze Aufklärung des 19. Jahrhunderts oder die Akzeptanz- und Toleranzbewegungen unserer Zeit wohl völlig umsonst waren, was die Bedeutung und Wahrnehmung von Menschen- und Bürgerrechten angeht? Manchmal scheint es so zu sein....gruselige Zeiten, zivilisatorischer Rückschritt....bbbbrrrrrrr *mecker*!

Liebe Grüße, trotz zeitweiligem Pessimismus :wink:

Ovaria
"All animals are equal, but some animals are more equal than others."

G. Orwell, Animal Farm
Antworten

Zurück zu „Gesundheitsreform und Versorgungsstrukturgesetz“