ich möchte euch auf einen Leserbrief von Cornelia Lubinski in der heutigen (14.11.) Ausgabe der Kölnischen Rundschau aufmerksam machen.
Sollte Cornelia Lubinski hier im Forum unterwegs sein, dann möchte ich ihr auf diesem Wege herzlich für diesen Brief danken. Denn auch mir hat es in den Fingern gejuckt, etwas in dieser Art zu dem Thema zu schreiben. Allerdings möchte ich mich nicht so öffentlich outen. Ich möchte nicht, dass meine Arbeitskollegen sich hinter meinem Rücken das Maul zerreißen, wie bei einer anderen Kollegin geschehen. Daher: Danke für den Mut und die Offenheit, Cornelia.

Damit ihr wisst, worum es geht, hier der Text:
.. und dann geht das Martyrium los
Nach einem Bericht über eine Umfrage, laut der junge Männer lieber "Freizeit statt Familie" wollen, erreichten uns viele Leserbriefe, die Kritik an "egoistischen Zeugungsverweigerern" übten. Unserer Leserin Cornelia Lubinski platzte daraufhin der Kragen: Sie habe, schreibt sie, "vorsichtig ausgedrückt die Nase voll, von den ganzen Debatten um die Kinderlosigkeit deutscher Paare" - und verweist darauf, dass der Kinderwunsch für viele Paare ein unerfüllter Lebenstraum bleibt. Cornelia Lubinski ist kaufmännische Angestellte, 35 Jahre alt, seit sechs Jahren verheiratet und hat bisher fünfmal versucht, sich diesen Lebenstraum durch künstliche Befruchtung zu erfüllen - vergeblich. In ihrem Brief, den wir in voller Länge wiedergeben, schildert sie unter anderem, welches Martyrium das für sie bedeutete:
Ich lese immer von "repräsentativen" Umfragen und Statistiken, aus denen angeblich hervorgeht, dass die Deutschen keine Kinder mehr wollen. Was heißt eigentlich repräsentativ? Abiturienten die Frage zu stellen, ob sie einmal Kinder haben möchten, ist doch - mal ehrlich gesagt - lächerlich. Wer denkt in diesem Alter schon an Kinder? Meist kommt der Wunsch doch erst Jahre später.
Wer weiß eigentlich, ob die "Akademiker-Paare" wirklich keine Kinder haben wollen? Wer gibt denn öffentlich zu, bei der Kinderplanung zu "versagen"? Ich möchte nicht abstreiten, dass es Paare gibt, die keine Kinder möchten. Aber wer hat mich eigentlich befragt? Wer hat meine kinderlosen befreundeten Ehepaare befragt? Ich wüsste nicht, dass sie oder ich jemals hätten Stellung dazu nehmen dürfen.
Ich kenne genug Paare, die sich Kinder wünschen und alles Mögliche anstellen würden bzw. bereits auf sich genommen haben, um sich diesen Lebenstraum - ja: Lebenstraum - erfüllen zu können. Niemand von denen, die uns kinderlose Paare als "egoistisch" oder als "Zeugungsverweigerer" betiteln, haben einmal hinter die Kulissen geschaut. Wer bitte schön - außer mir in diesem Moment - gibt offen zu, ungewollt kinderlos zu sein? Erst wenn man sich einmal geöffnet hat, hört man auch von anderen Paaren, dass sie die gleichen Probleme haben. Und es werden immer mehr. Die Spezialkliniken können sich jedenfalls nicht über zu wenig Patienten beklagen.
Niemand weiß, was es heißt, vom Frauenarzt vertröstet zu werden: "Machen Sie sich keine Sorgen. Sie dürfen nur nicht so oft daran denken und sich darauf versteifen!" Das haben bestimmt schon viele Frauen gehört. Dann wartet man eben ab. Nach weiterer vertaner Zeit kommt dann auch der Frauenarzt auf die Idee, da könnte etwas nicht stimmen. Nun geht das Martyrium los. Erst Voruntersuchungen im OP, Vollnarkose mit den üblichen Nebenwirkungen, und dann geht's weiter in eine Spezialklinik, stundenlanges Warten für einmal Blutabnahme, einmal Ultraschall - und das alles neben dem Job. Und weil einmal nicht ausreicht, macht man die Prozedur mindestens zehnmal.
Dann die "Behandlung" und anschließend 14 Tage warten und bangen. Hat es geklappt? Nein! Dann das ganze noch einmal. Wenn das auch nichts gebracht hat, wieder einen Schritt weiter. Die letzte Möglichkeit - eine ICSI oder für viele IVF: Tagelanges Aufputschen mit Hormonen, sich selbst in den Bauch spritzen, bis er über und über von blauen Flecken übersät ist - wobei man heute noch nicht die gesundheitlichen Folgen für eine Frau absehen kann. Aber man weiß ja, wofür - denn "wir" sind ja "egoistisch".
Nachdem man wie eine Mastkuh voll Hormone gepusht wurde - jede Frau in den Wechseljahren kann mir nachempfinden, was Hormone bei einem Menschen psychisch und körperlich auslösen - kommt die Entnahme der Eizellen unter Vollnarkose - mit den entsprechenden Nebenwirkungen, versteht sich. Man kommt sich vor, als wäre eine Dampfwalze über einen gerollt. Tage später, wenn überhaupt möglich, das Wieder-einsetzen der Eizellen. Dann, wieder 14 Tage langes warten. Wieder die Nachricht: "Nichts!" Sie können mir glauben: da zieht man Ihnen den Boden unter den Füßen weg. Das ganze machen Sie ein paar Mal, bis Sie psychisch und körperlich nicht mehr können. Aber, "wir" sind ja "egoistisch".
Hinzu kommt noch, dass wir als Berufstätige brav jahrelang in die Krankenkasse eingezahlt haben. Dank der neuen Gesundheitsreform bezahlt sie für drei Versuche aber nur noch die Hälfte, ab dem vierten Versuch bezahlt man alles selbst. Dann heißt es pro jedem weiteren Versuch ca. 4000 Euro aus eigener Tasche bezahlen! Wir hätten weiß Gott schon viele schöne Urlaube von dem Geld machen können. Aber "wir" sind ja "egoistisch". Hier muss ich den Leserbriefschreibern Recht geben: Politiker, tut was! Ihr wollt Kinder, dann unterstützt uns auch! Es kann doch nicht sein, dass man alle Behandlungen, ganz egal wie sie einem gesundheitlich bekommen, in ein einziges Jahr packen muss, um wenigstens steuerlich entlastet zu werden!
Viele sagen: "Adoptiert doch ein Kind!" - die stellen sich immer alles so einfach vor. Wenn man überlegt, dass pro Jahr in unserem Kreis etwa 17 Paare auf ein Kind kommen ist die Chance ziemlich gering, die Auserwählten zu sein. Wenn man dann vom Jugendamt "begutachtet" wird - so habe ich es von einem "egoistischen" kinderlosen Ehepaar gehört -, stellt es aus Sicht des Amtes bereits ein Problem dar, wenn man eine steile Treppe im Haus besitzt, oder sich ein Fluss oder gar Teich hinter dem Haus befindet. Was soll man denn dazu noch sagen? Was machen bloß all die Kinder, die in einer Großstadt an einer befahrenen Straße aufwachsen müssen?
So sieht leider die Realität aus. Ich hoffe, dass sich immer mehr Paare öffnen werden und einmal die Wahrheit sagen. Was ist daran verkehrt, wenn man erst einmal einen ordentlichen Beruf erlernen möchte, um seinem Kind später eine solide finanzielle Grundlage zu schaffen? Wer kann etwas dafür, wenn man sich nach ein paar Jahren für ein Kind entscheidet und es nicht klappt? Das ist doch besser, als die Kinder nach der Geburt umzubringen (wie man leider häufig lesen muss) oder Kinder einfach verwahrlosen zu lassen. Jedes Mal geht mir die Hutschnur hoch, wenn ich so etwas lese. Mensch, Ihr jungen Mütter, gebt Eure Kinder wenigstens anonym in einer Babyklappe ab! Ich kann Euch genug Paare nennen, die sich nichts Sehnlicheres wünschen, als Euer Kind wie ihr eigenes großziehen und lieb haben zu dürfen.
Vielleicht versteht jetzt jemand, dass man sich nach einem jahrelangen Martyrium auch mal wieder anderweitig "Spaß" und "Erfüllung" sucht. In die Disco gehört man nicht mehr hin - zu alt! Wenn man abends ausgeht, findet man keinen seiner Freunde mehr, da sie bei den Kindern zu Hause sind - verständlich. Man gehört zurzeit irgendwie nirgendwo mehr hin. Vielleicht ändert sich das, wenn die Kinder einmal aus dem Gröbsten heraus sind.
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LG, Luisa