So,
nun habe ich auch die Grünen-Stellungnahme verdaut. Sie war zwar nicht ganz so schlimm wie befürchtet, aber Stoff zum ärgern war trotzdem reichlich drin. Berta und ich haben uns deswegen entschlossen, der Grünen-Sprecherin gleich eine Mail zurückzuschreiben, die ich Euch hier mal zum Lesen geben möchte:
"Sehr geehrte Frau Hochstein,
als bisherige grüne Stammwähler und selbst von dem Problemkreis "unerfüllter Kinderwunsch" Betroffene haben wir mit Interesse Ihre Antworten auf die Wahlprüfsteine des Internetforums "Klein-Putz" und des Selbsthilfegruppenzusammenschlusses "Wunschkind e.V." gelesen. Wenngleich wir erkennen konnten, daß Sie sich um eine differenzierte Antwort bemüht haben, waren wir leider über die Mehrzahl ihrer Stellungnahmen doch sehr enttäuscht.
So haben wir wenig Verständnis, daß die Grünen die geltende Kostenregelung rundweg verteidigen, obgleich hiermit den betroffenen Paaren nicht nur, wie Sie schreiben "mehr Eigenverantwortung", sondern eine enorme, sozial schwächer gestellte Paare nicht selten überfordernde Belastung abverlangt wird. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß aufgrund der geltenden Regelungen Paare pro ICSI-Versuch beispielsweise eine Summe von ca. 1500-2000 Euro zuzuzahlen haben. Wir hätten durchaus Verständnis, wenn eine Zuzahlung im Rahmen der geltenden 2 %-Belastungsgrenze verlangt würde, doch finden wir es unerträglich, wenn Menschen aus den unteren Einkommensschichten nun vor die Frage gestellt werden, ob sie sich die Erfüllung ihres Kinderwunsches finanziell überhaupt leisten können oder nicht. Und selbst wer nicht so sozial (was man als "moderne Linkspartei", wie die Grünen sich definieren, tun sollte) denkt, müßte sich aus Gründen der Bevölkerungsstatistik einmal darüber Gedanken machen, ob denn nicht Kinderwunschbehandlungen in allen Fällen, in denen medizinisch gesehen reelle Erfolgsaussichten bestehen, eine volkswirtschaftlich langfristig gesehen sinnvolle Ausgabe sind.
Ebenso unverständlicher ist die Begrenzung auf nur drei IVF/ICSI-Versuche. Keineswegs ist es ja so, daß ein Paar nach drei erfolglosen Versuchen pauschal als nicht aussichtsreicher Fall einzustufen ist. Sicher ist nach mehreren negativ ausgefallenen Versuchen eine Überprüfung sinnvoll, ob weitere Versuche noch angezeigt sind, aber angesichts der statistischen Erfolgschancen pro Versuch, zu denen wir unten noch kommen, hat nun einmal ein nicht unerheblicher Teil der behandelten Frauen nach drei erfolglosen IVFs oder ICSIs lediglich ?Pech? gehabt hat. Für dieses Pech werden die Paare nun damit bestraft, daß sie mit noch größeren sozialen Härten konfrontiert werden.
Erfreulich war Ihre Zustimmung zum Punkt "Abschaffung der Benachteiligung Unverheirateter" und sowie zum Umgang mit heterologen Befruchtungen zu lesen. Allerdings fragen wir uns, warum die Grünen sich dann während ihrer bisherigen Regierungsbeteiligung nicht stärker für Änderungen eingesetzt haben. Warum wurde z.B. nicht einmal stärker darauf gedrängt, daß die von Andrea Fischer begonnenen Anstrengungen zur Regelung der Spendersamenbehandlungen nicht unter Ulla Schmidt fortgeführt wurden? Müßten wir im Falle einer Neuauflage von Rot/Grün hier dann wieder mit Leisetreterei rechnen?
Ein richtiggehendes Ärgernis war für uns Ihre Antwort zur Frage der Weiterkultivierung von mehr als drei Embryonen, da hier offenbar sachliche Unkenntnis vorliegt. Schon allein der vergleichende Blick auf die IVF/ICSI-Erfolgsquoten in Europa zeigt ja, daß Deutschlands Praxen mit Erfolgsquoten von 20 bis maximal 30 Prozent pro Versuch vergleichsweise mäßig dastehen. Eine Anwendung der von "Klein-Putz" vorgeschlagenen Regelungen würde Erfolgschancen ermöglichen, die um gut 10 Prozentpunkte höher liegen würden, also etwa 30 bis 40 Prozent pro Versuch. Über positive Erfahrungen wird hier beispielsweise aus den skandinavischen Ländern berichtet, wie kürzlich auf einer Gynäkologen-Tagung der DGGG in Berlin zu erfahren war, auf der auch ein Vertreter der Grünen anwesend war, wie im Klein-Putz-Forum berichtet wurde. Es wäre zu wünschen, daß Sie sich einmal darum bemühen, sich sachlich wirklich kundig zu machen, warum in Deutschland die Erfolgschancen bei künstlicher Befruchtung so deutlich herabgesetzt sind. Statt sich hinter sachlich unzutreffenden Behauptungen zu verstecken, müßten Sie sich dann nämlich ehrlicherweise die Frage stellen, ob die Grünen die medizinischen, psychischen und finanziellen Belastungen, die durch die eingeschränkten Behandlungserfolgschancen in Deutschland entstehen, den betroffenen Paaren wirklich aus "ethischen" (für unser Empfinden eigentlich eher: theologisch-ideologischen) Gründen zumuten wollen oder nicht.
Unverständlich ist uns auch, warum PID generell tabu für die Grünen bleibt und selbst nicht in Fällen möglich ist, in denen schwere genetische Defekte vorliegen. Uns ist z.B. ein ICSI-Paar bekannt, bei dem der Mann Träger eines Chromosomenfehlers ist, bei dem nur die Hälfte der gezeugten Nachkommen überlebensfähig ist. Die andere Hälfte der mit seiner Frau erreichten Schwangerschaften führen zur Fehlgeburten, oder das Kind stirbt wenige Wochen nach der Geburt. Wie ist es ethisch zu rechtfertigen, daß diesem Paar die Möglichkeit der PID verwehrt wird?
Auch die pauschale Ablehnung der Eizellenspende ist für uns nicht nachvollziehbar. Es ist zutreffend, daß hier Mißbrauchspotential bestünde, aber warum kann die Eizellenspende nicht mittels klarer gesetzlicher Regelungen, die dem Mißbrauch eben vorzubeugen hätten, erlaubt werden? Was wäre beispielsweise dagegen einzuwenden, wenn eine Frau ihrer unfruchtbaren Schwester Eizellen spenden möchte?
Auch ihre Antwort zur Frage der Stammzellenforschung war für uns wenig befriedigend. Sicher ist vor dem von Ihnen erwähnten ?ungerechtfertigten Stammzellen-Hype? zu warnen, aber das kann doch deswegen nicht bedeuten, daß ethisch und medizinisch sinnvollen Projekten nicht reale Forschungsmöglichkeiten gegeben werden, was bisher eben nicht wirklich der Fall ist. Auch wenn die Stammzellenforschung noch in der Phase der Grundlagenforschung steckt, ist sie aufgrund ihres auch aus realistischer Sicht ja durchaus nicht abzustreitenden Potentials förderungswürdig.
Wie mir bekannt ist, sind unter den Nutzern des "Klein-Putz"-Forums überproportional viele Menschen, die in ihrer Parteienpräferenz den Grünen nahestehen. Es ist uns zwar verständlich, daß die Grünen aufgrund ihrer traditionellen Kritik an übersteigertem Technikglauben der Reproduktionsmedizin auch mit einem gewissen Maß an Skepsis gegenübertreten. Wenngleich auch alternative Behandlungsmethoden ihren Platz haben und z.T. auch noch mehr gefördert werden sollten, wird aber jeder, der sich mit der Problematik genauer auseinandersetzt, feststellen, daß viele von Infertilität Betroffene auf die Reproduktionsmedizin einfach angewiesen sind, wenn sie eine Familie gründen wollen. Infertilität ist in den meisten Fällen ein völlig unverschuldetes Lebensschicksal und bedeutet für die Betroffenen in der Regel eine schwere Lebenskrise. Daß neben den Belastungen, die durch die immer noch vorherrschende Tabuisierung dieses weitverbreiteten, vermutlich durch Umweltbelastungen mitverursachten Gesundheitsproblems entstehen, die Betroffenen hohe finanzielle Bürden auf sich nehmen müssen und ihre Behandlungschancen darüberhinaus durch gesetzliche Restriktionen eingeschränkt werden, ist für viele ungewollt Kinderlose - wie für uns auch - nicht nachvollziehbar. Ich würde Sie deshalb bitten, mehrere der von Ihnen namens der Grünen vertretenen Positionen noch einmal zu überdenken. Gerne stehen wir wie auch andere Mitglieder des Internet-Forums "Klein-Putz" für einen weiteren Gedankenaustausch zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen"

B.